Wo spielt das Wunderkind?

Nachdem die Fußball-EM vorbei war, begann ich, dieses Buch zu lesen.

Es geht um die Brüder Mark und Geoff. Mark lebt in den USA, hat Frau und Tochter und arbeitet als technischer Redakteur in eine Genossenschaft. Er ist eher ein stiller und ernster Mensch, der zu Tagträumereien neigt und sich viele Gedanken um sich und seine Mitmenschen macht. Dass er innerhalb kurzer Zeit auf der Arbeit zweimal ausrastet, ist deshalb sehr ungewöhnlich und seine Vorgesetzte verordnet ihm eine Auszeit.
Von seinem Bruder Geoff hat er jahrelang nichts gehört und so ist Mark überrascht, als dieser eines Tages aus London anruft und ihn um Hilfe bittet. Mark lässt sich von seiner Frau überreden, nach London zu fliegen und damit beginnt das Abenteuer. Geoff, eher ein Luftikus und bisher wenig erfolgreicher Talentscout für Fußballer, zeigt Mark ein Video, auf dem man einen Jungen auf einem Fußballplatz überirdisch gut spielen sieht.

Mit diesem Jungen könnte man Millionen verdienen, das Problem ist, dass Geoff nicht weiß, wo das Video in Afrika gedreht wurde. Da er ein Gipsbein hat und Mark eh der klügere von beiden ist, soll er gegen eine spätere Gewinnbeteiligung den Jungen finden. Mark lässt sich darauf ein und beginnt die Recherche. Er bekommt gegen Bares Hinweise von Lefebvre, einem französischen Bekannten von Geoff, ebenfalls Talentscout, aber mit viel mehr Erfahrung.
An dieser Stelle machte ich eine Lesepause und ging zum MSV, um noch mehr Fußballatmosphäre für das weitere Lesen im Kopf abzuspeichern.

Am Samstag spielte der MSV in Homberg gegen den ältesten Profifußballverein der Welt, dem Notts County FC aus England. Der MSV gewann 3:1 und als Zuschauer lernte man die neuen Spieler von Duisburg kennen. Meinen Favoriten hatte ich schnell ausgemacht, es war die Nr. 7. Ich wusste nicht, wie der junge Spieler hieß, nur er war unermüdlich und zeigte gute Pässe. Später sah ich dann seinen Namen- Bookjans- besser geht es nicht für eine Buchhändlerin…

Am Sonntag freute ich mich auf das Buch im Liegestuhl, doch nach wenigen Seiten wurde ich sehr überrascht. Der Autor wechselte plötzlich das Thema und schilderte den Alltag in der Genossenschaft, für die Mark arbeitete. Das erinnerte mich sehr an die Stromberg-Fernsehserie. Auch nett, aber doch nicht jetzt! Wo ist dieses Stadion, wo ist das Wunderkind Godwin? Ich war zunehmend verärgert und überblätterte diverse Seiten, bis es unvermittelt wieder mit der Fußballgeschichte weiterging. Mark findet das Stadion, aber es ist schließlich Lefebvre, der nach Afrika fliegt, um Godwin nach Europa zu holen. Ob er das schafft?
Das Buch hat ein völlig unerwartetes Ende, dessen Plausibilität ich mit einem „Na ja“ bewerte. Ein Buch also mit Licht und Schatten.
Aber trotzdem war es keine verlorene Lesezeit, denn ich war zum MSV gegangen und das war ein schöner Nachmittag, der die Fans hoffnungsvoll nach Hause fahren ließ, ganz nach dem Motto:

Beobachtete mich ein zweiter Maigret? (FR Nr. 17)

Um mich auf unseren Besuch in Vichy einzustimmen, las ich diesen Simenonkrimi:

Linke Seite: Der Kurpark

Sein Chef und seine Frau haben Maigret überredet, endlich eine Kur in Vichy zu machen, um Überarbeitung und Übergewicht etwas entgegenzusetzen. Bei dem Ehepaar stellt sich schnell eine Kurroutine ein zwischen spazieren gehen, gesundes, ekelig schmeckendes Wasser trinken, im Park auf der Bank sitzen, gut essen oder sich in der Oper oder dem Kurhaus etwas Abwechslung gönnen.

Als wir in Vichy besuchten, war in der Oper „Tag der offenen Tür“- das haben wir gerne ausgenutzt!
Auch im Kurhaus gab es eine besondere Veranstaltung.

Maigret findet Gefallen an dem Kuraufenthalt, doch hält dieser ihn nicht davon ab, aus Routine andere Kurgäste zu beobachten und sich über deren Leben Gedanken zu machen.

Oben rechts der Musikpavillon, darunter die Heilquellenhalle, Anlaufstelle für Wassertrinker, links der Kurhalleneingang

Eine elegante Frau in fliederfarbenem Gewand fällt ihm besonders auf, ihre Ausstrahlung irritiert den Kommissar. Ist sie auch ein Kurgast oder lebt sie in einen der prächtigen Wohnhäusern von Vichy?

Es ist der Mord an dieser Frau, der Maigret kurze Zeit später aus seiner Kurroutine herausholt. Der für Vichy zuständige Kommissar aus Clérmont-Ferrand ist ein ehemaliger Kollege von Maigret und nimmt den besonderen Spürsinn seines alten Vorgesetzten gerne in Anspruch. Ganz langsam setzt Maigret von der Dame in Lila ein Bild zusammen, das dem äußeren Anschein Lügen straft.
Maigret-Krimis werden mein Leseleben weiterhin begleiten. Ich weiß, dass mich immer eine spannende Geschichte ohne Firlefanz erwartet, genau richtig für einen ruhigen Krimiabend.

Die Fotos zeigen, dass das heutige Vichy noch viel Pracht bietet. Jedoch bröckelt es überall und einige Bauten waren wegen ausstehender Renovierung geschlossen. Der Kurpark war größtenteils eine Großbaustelle, ein Schild erklärte, dass der Park ins 21. Jahrhundert geführt werden sollte.Wir konnten uns noch nicht vorstellen, wie das aussehen wird. So wirkten einige ältere Ehepaare, die auf den Bänken saßen, etwas verloren und sie beobachteten das Treiben der Bauarbeiter und der Passanten.
Die alten edlen Einkaufsstraßen, auf den früher reiche russische Kurgäste ihr Geld ausgaben, haben viel von ihrem Glanz verloren. Wie überall finden sich dort zumeist nur Filialen der globalen Ladenketten.

Wie mit der besonderen Geschichte Vichys während des 2. Weltkrieges umgegangen wird, konnte ich während unseres kurzen Aufenthalts nicht endgültig beurteilen. Üppige Skulpturen feiern die „Grande Nation“, kleine Erinnerungstafeln an verschiedenen Häusern beeindruckten mich mehr.

Ein Jugendstiljuwel fanden wir etwas abseits in einem noch älteren Viertel. Die Ursprünge der Kirche St-Blaise liegen im 12. Jahrhundert, der Anbau jedoch stammt aus den Anfängen des 20.Jahrhunderts.

Die Statue einer schwarzen Madonna und viele wunderschöne Fenster insprierten mich zu diesem Madonnenbildern.

Nächsten Montag beende ich die Frankreichrundreise. Ich hoffe, dass Ihnen die Lektüre genauso viel Spaß gemacht hat, wie mir das Schreiben!?
In den nächsten Wochen gebe ich noch ein paar Tipps für Ausflüge in der näheren Umgebung bevor dann Helsinki ein neues Reisethema wird.

Ich wünsche mir einen Dok-go

Frau Yeom ist pensionierte Lehrerin. Als ihr Mann stirbt, kauft sie sich in Seoul einen kleinen 24-Stunden-Laden, um eine Aufgabe zu haben und unter Menschen zu kommen. Ihr Sohn ist ihr dabei keine Hilfe, denn er träumt von einem geschäftlichen Coup, der ihn reich macht und hat für seine Mutter kein Verständnis.
Im Laden werden Dinge des täglichen Bedarfs angeboten, sowie auch Fertiggerichte, die man sich als Kunde in einer Mikrowelle direkt warm machen und essen kann. Das Geschäft läuft nicht so gut, da ganz in der Nähe ein zweiter größerer 24 Stunden-Laden eröffnet hat. Das ändert sich, als Frau Yeom Dok-go einstellt. Er ist ein Obdachloser, der sich die abgelaufenen Fertiggerichte aus dem Mülleimer fischt. Dok-go ist groß wie ein tapsiger Bär, stottert, erinnert sich an nichts, da der Alkohol seine Sinne stets vernebelt, ist aber stets sehr höflich. Frau Yeom stellt ihn unter der Bedingung ein, dass er nicht mehr trinkt und Dok-go übernimmt die Nachtschicht. Der Verzicht auf den Alkohol macht sich bei Dok-go bald bemerkbar, denn er stottert nicht mehr und sehr langsam kommen seine Erinnerungen zurück. Dok-go hat ein schwer zu definierendes Charisma und wird zum Schwarm der älteren Kundinnen, weist unverschämte Kunden in die Schranken und kann gut zuhören und sich sehr in andere Menschen hineinversetzen. So hilft er mit seiner Herzenswärme und Klugheit beispielsweise einer erfolglosen Schauspielerin, einem Familienvater, den die Arbeit auffrisst oder seiner Kollegin Oh, die Angst um ihren Sohn hat, denn er hat sich in seinem Zimmer verschanzt und spricht nicht mehr mit ihr.
Frau Yeom weiß, welches Glück sie hat, Dok-go als Mitarbeiter zu haben, doch kommt auch ein Tag des Abschieds. Dok-go muss sich seinen Erinnerungen stellen, um seine eigenen Dämonen zu besiegen.

Ein „Wie schön“- Seufzerbuch! Das Buch tut einfach nur gut und man wünscht sich, Dok-go würde in der Nähe wohnen und wäre ein Freund.

Kopf hoch!

Eine Kollegin von mir hat einen Vortrag von Professor Volker Busch gehört und war begeistert von seinen klaren Gedanken zu unserer miesen Stimmung in Deutschland. So wurde ich neugierig und lieh mir dieses Buch aus.

Der Untertitel beschreibt, worum es geht. Dazu gibt es fünf Hauptfragen:
– Wie kann ich die heutigen Ungewissheiten besser tolerieren?
– Wie schaffe ich es, dass die permanenten negativen Meldungen in allen Medien mich nicht komplett herunterziehen? Wo finde ich gute Nachrichten?
– Wie komme ich aus dem Gedankenkarussel heraus, das mich immer wieder quält?
-Das Leben mit mehr Humor nehmen, wie kann das gelingen?
– Wie erreiche ich es, mehr Vertrauen in die Zukunft zu bekommen?

Professor Busch schreibt auf 347 Seiten in klarer und humorvoller Sprache und verzichtet fast immer auf Fachausdrücke aus der Psychologie und Neurologie. Er erzählt zur Anschauung seiner Thesen diverse Geschichten aus seinem Arbeitsalltag in einem Regensburger Krankenhaus und belegt die Aussagen mit Ergebnissen aus anerkannten wissenschaftlichen Untersuchungen.
Ich könnte nun viele Beispiele aufführen, welche Gedanken mir in diesem Buch gut gefallen haben, ich beschränke mich auf einen.
Kennen Sie den Satz:“ Was kann ich schon tun, das bringt ja eh nichts!“ Falsch! Wenn Sie sich bei einem Thema große Sorgen machen, sagen wir beispielsweise bei Umweltfragen, und sie persönlich etwas dagegen tun, helfen Sie sich in diesem Moment selbst. Ihr Gehirn registriert, dass etwas getan wird und beruhigt sich. Sind Sie öfter auf diesem Gebiet aktiv, wird ihr Gehirn zuversichtlicher und die Sorgen nehmen ab. Ja, so einfach ist unser Gehirn gestrickt, man muss sich nur ein bisschen mit ihm befassen.
Nach der Lektüre hatte ich den Eindruck, dass mir der Kopf wieder etwas gerade gerückt worden ist und ich eine große Portion Gelassenheit gewonnen habe. Um diese nicht wieder zu verlieren, werde ich mir das Buch selbst kaufen und jeden Tag ein oder zwei der angenehm kurzen Kapitel lesen, um meine Gedanken immer wieder auf Kurs zu bringen.

Anna O-Schlafwandlerin oder Mörderin?

30.8.1999-Sally Turner wird in ihrer Gefängniszelle tot aufgefunden. War es Mord oder Selbstmord?
30.8.2019- Die junge Anna O ermordet brutal ihre beiden Freunde und Geschäftspartner mit einem Messer, schreibt danach ihren Eltern eine Nachricht per Whats App, dass sie glaubt, die beiden umgebracht zu haben und fällt danach in einen Schlaf, der über vier Jahre lang dauert. Wie gehören diese beiden Ereignisse zusammen, war Anna O eine Mörderin oder begann sie die Tat, während sie schlafwandelte?

Dieser Krimi ist seit heute auf dem Markt und hat viele Vorschusslorbeeren bekommen.
Die Geschichte beginnt mit der Verlegung von Anna O nach London in die Schlafklinik „The Abbey“, wo u.a. der Spezialist für forensische Schlafforschung Benedict Prince arbeitet. Er bekommt vom Justizministerium den Auftrag, Anne O aus dem Schlaf zu holen, um sie endlich vor Gericht stellen und den Fall abschließen zu können. Baxter ist von Anna O und ihrem Fall fasziniert und auch besonders involviert, da seine Ex-Frau Clara damals als erste Polizistin am Tatort war. Die schlafende Anna O leidet an dem Resignationssyndrom und Baxter versucht, ihr durch Stimulationen wie z.B. Musik, die sie an glückliche Tage erinnert, wieder Hoffnung auf ein besseres Leben zu vermitteln und ihr damit einen Grund zu geben, wieder aufzuwachen. Der Plan geht auf, doch dann wird Baxters Chefin, Doktor Bloom, ebenfalls mit einem Messer ermordet und Baxter wird der Tat verdächtigt.
Der Autor des Buches, Matthew Blake schafft es, die Spannung Seite für Seite zu erhöhen, denn er unterbricht diese Geschichte immer wieder mit den Kommentaren einer anfangs unbekannten Person, die sich auch mit dem Fall intensiv beschäftigt und anscheinend mehr weiß, da sie ein Tagebuch von Anna O besitzt. Dieses Tagebuch ist ein weiterer Teil des Krimis und man erfährt viel über die geistige Verfassung von Anna O, die schon seit ihrer Kindheit Schlafwandlerin ist. Als junge Frau hatte sie journalistische Ambitionen und will über einen Fall berichten, der 20 Jahre zurückliegt und sich mit Sally Turner beschäftigt, die ihre beiden Stiefsöhne umgebracht haben soll. In den Aufzeichnungen schreibt Anna O über ihre letzten Tage vor dem 30. August und warum sie ein Motiv hatte, ihre beiden Freunde umzubringen.
Der Krimi ist, was die Themen angeht und die Möglichkeiten, wie sich alles erklären lasst, sehr vielschichtig und weicht erfrischend von den typischen Krimischemata ab. Besonders gefielen mir auch die Schilderungen, wie die Ermittlungen von der öffentlichen Meinung und deren Verschwörungstheorien beeinflusst werden. Auch als Leser ist man gegen diese Spekulationen nicht immer immun. Meine Vermutungen, wer die fadenziehende Person in der Geschichte ist, erwiesen sich bis zum Ende des Buches alle als falsch. Deshalb bekommt der Krimi von mir ein 👍.



Narcisse bleibt stehen…

…und will nicht mehr weiter. Da sind Butterblümchen, die man genüsslich abzupfen kann, die Sonne scheint und außerdem ist es Zeit, mal wieder ein bisschen zu träumen. Da hat der Mensch fast keine Chance.

Robert Stevenson, der Autor der „Schatzinsel“ ist im Jahr 1878 mit seinem Esel Modestine durch die Cevennen gewandert. Seine Route kann man heute auf einem beschilderten Weg nachgehen und das war der Traum von Erik Kormann, der Autor dieses Buches, das 2020 erschienen ist. Er leiht sich im späten Frühling bei einer Eselstation „Narcisse“ aus, der Kormanns Gepäck von Unterkunft zu Unterkunft tragen soll. Seine zwölf Tage mit Esel Narcisse, mit dem er über 230 Kilometer zusammen gelaufen ist, beschreibt er voller Humor und mit Liebe zu seinem tierischen Begleiter. Am Anfang mussten sich beide aneinander gewöhnen, denn jeder hatte seine Eigenheiten, aber von Tag zu Tag werden sie mehr ein eingespieltes Team, wie es einige Fotos im Buch belegen.
Bei anderen Wanderern ohne Esel sind Kormann, bzw. Narcisse die Fotostars und sie lernen viele nette Leute kennen. Mehr liebt der Autor allerdings die Stille, unvergleichlich sind die Pausen auf den Wanderungen: Esel futternd, Mensch, der die einsame schöne Landschaft genießt und dabei alle Probleme vergisst.
Sehr wichtig ist es für Kormann, über die richtige Behandlung des Esels während der Tour zu schreiben, so ist das Buch auch ein gutes Kompendium für alle, die mit einer längeren Eselwanderung liebäugeln. Hinweis vom Autor: Üben Sie erst einmal für ein paar Stunden und für ein Wochenende und finden Sie heraus, ob Sie Chef eines Esels werden können! Auf den letzten Seiten des Buches stehen diverse Adressen, wo es in Deutschland Eselstationen gibt.

Als ich das Buch nach dem Urlaub las, bekam ich noch einmal einen ganz anderen Blick auf die Region östlich von Mende und mein Fernweh meldete sich. Aber auch ohne diesen „Backround“ unserer Reise empfehle ich dieses Buch gerne. Es strahlt viel Wärme aus und das glaubwürdig. Ein paar Jahre später hat Erik Kormann Narcisse der Eselstation abgekauft und die beiden leben nun glücklich in der Uckermark.

Utopie in Nincshof

Eine kleine Frankreichauszeit muss auch mal sein…Hier eine weitere Urlaubslektüre:

Das Dorf Nincshof liegt an der österreichisch-ungarischen Grenze. Der Bürgermeister und zwei Mitstreiter möchten dafür sorgen, dass das Dorf aus dem Gedächtnis der Allgemeinheit verschwindet. Zu lange haben sich die da oben in Wien schon in die Belange des Dorfes eingemischt und die Herden von Radfahrern im Sommer sind den Herren ein ganz besonderes Dorn im Auge. „Freiheit den Nincsdorfern- Nincsdorf der Freiheit!“ ist der Kampfspuch, der aus einer alten Legende stammt. Ortsschilder werden abmontiert, im Internet Einträge gelöscht, in der nächsten Bibliothek alle Spuren von Nincsdorf entfernt.
Die Drei sind auf einem guten Weg und holen sich als Verstärkung noch Erna Rohdiebl mit ins Boot. Ende 70, hat sie in letzter Zeit subversives Potential bewiesen, als sie heimlich nachts in einem Privatswimmingpool mehrmals schwimmen gegangen ist.
Die Vier, sie nennen sich „Die Oblivisten“, haben Isa und ihren Mann im Visier. Das Ehepaar ist aus Wien neu in das Dorf gezogen. Sie ist Filmemacherin und interessiert sich auffällig für die Geschichte von Nincsdorf, ihr Mann ist Ziegenwirt und züchtet eine ganz seltene Ziegenart. Von den beiden drohen Aktivitäten, die die revolutionäre Bewegung in Gefahr bringen könnten. Ein Film über Nincsdorf, Ziegenberichte im Internet-undenkbar!
Doch dann lernt Erna Isa näher kennen und ihr kommen Zweifel an den oblivistischen Aktivitäten. Sie muss die Männer zur Vernunft bringen, als die Aktionen immer mehr aus dem Ruder laufen- kein leichtes Unterfangen.

Ein intelligenter und humorvoller Unterhaltungsroman, wie ich ihn schon lange nicht mehr gelesen habe.

Ein Buch im Buch im Buch im Buch…

Der Autor Jean-Philippe Touissant gerät in Panik, als er während der Coronazeit hört, dass der erste Lockdown bevorsteht. Er hat gerade sein Buch „Die Gefühle“ abgeschlossen, die Korrekturfahnen vom Verlag gegenzulesen, wird für diese besondere Zeit nicht erfüllend sein. So beschließt er, das Buch „Die Schachnovelle“ von Stefan Zweig zu übersetzen, einen Essay über das Übersetzen von Büchern zu verfassen und mit einem neuen Buch anzufangen, in dem er darüber schreibt, was es für ihn heißt, ein Buch zu schreiben.
Jetzt kommt der „Spiegel im Spiegel“- Effekt, denn wir lesen das fertige Buch, in dem er schreibt, wie er plant, ein Buch zu schreiben und es dann auch wirklich tut und quasi darin eintaucht. Für Touissant ist das Schreiben ein Akt, um innere Verknotungen zu lösen und so liest man beispielsweise von seiner Kindheit und Jugend mit dem besonderen Verhältnis zu den Eltern, er spricht das Thema Alter an, erinnert sich, wie er seine Frau Madeleine kennen und lieben gelernt hat, erzählt von seinem Leben in Brüssel, Paris und Berlin und setzt sich mit den Auswirkungen der Pandemie auseinander. Wie ein roter Faden zieht sich bei seinen Gedanken das Schachspielen durch das Buch, sei es, dass über Schwierigkeiten bei der Übersetzung der Schachnovelle geredet wird oder Touissant bei seinen Erinnerungen besonders auf Momente eingeht, in dem das Schachspiel im Leben eine große Rolle gespielt hat. Die Partien mit seinem Vater waren etwas ganz Besonderes, er hat Schachweltmeister „live“ gesehen und durch Schach hat er gute Freunde gefunden.

Dieses Buch ist ein Literaturleckerbissen. Persönliche Themen, Ideen und Gedanken des Autoren zum Schreiben und zum Schach sind so miteinander verschlungen, dass das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis wird. Muss man Schach spielen können, um das Buch genießen zu können? Nein, es fehlt dann nur die Kirsche auf einem großen Stück leckeren Schokokuchen.

Herzlich willkommen! (FR Nr. 4)

Meine Vorfreude auf die Einladung von Axel Birgin und seiner Frau Marie in Saint-Julien de Peyrolas war groß, denn ich hatte zuvor dieses Buch von Axel gelesen:

Er beschreibt mit Humor und dokumentiert es auch mit Fotos, wie er und seine erste Frau ein ca. 300 Jahre altes Gehöft mit viel dazugehörigem Land gekauft haben und dann anfingen, es zu renovieren und auch umzugestalten. Kein leichtes Unterfangen, wenn man eigentlich in Karlsruhe wohnt, kein Französisch spricht und auch handwerklich anfangs kein Tausendsassa ist. Aber die beiden haben viel Glück mit ihren Nachbarn, die immer tatkräftig zur Seite stehen und gute Ratschläge parat haben und Schritt für Schritt erschaffen sie sich ein kleines Paradies.
Inzwischen sind 30 Jahre vergangen. In der Coronazeit sind Axel und seine zweite Frau Marie erstmalig acht Monate am Stück in Frankreich und merken, dass sie nach Deutschland eigentlich nicht mehr zurück möchten. So sind sie heute in Karlsruhe nur noch zu Besuch und genießen ihr französisches Domizil. Na ja, fast immer, denn auch hier knarzt es manchmal, wie in dem Buch in kleinen Alltagsgeschichten zu lesen ist. Ergänzt werden diese Berichte durch Beschreibungen der besonderen Tierwelt auf ihrem Land und es gibt auch Erklärungen über typisch Französisches. Wussten Sie z. B., wie das typische Tabakschild zu seinem Aussehen kam?

Gibt es etwa eine Schutzheilige der Raucher???

Das Buch ist feiner Lesestoff für Frankreichliebende und Pflichtlektüre für alle, die von einem eigenen Heim in Frankreich träumen.

Der schöne Abend war schnell vergangen. Wir wurden herzlich empfangen und hatten uns viel zu erzählen, obwohl wir uns vorher persönlich gar nicht kannten.

Axel und Marie in ihrem Garten
Oben: Von der Terrasse hatte man einen grandiosen Blick bis zum Mont Ventoux.
Links unten: Der Hahn ist fast schon ein Wahrzeichen für das Anwesen, daneben: In der Einfahrt empfingen uns diese herrlichen blauen Iris und prompt war man in „Van-Gogh-Stimmung“!

Am nächsten Tag sahen wir uns morgens Aiguèze an. Zuerst mussten wir diese ziemlich spektakuläre Brücke überqueren.

Kurz danach empfing uns das wie aus dem Ei gepelltes provenzialisches Örtchen Aiguèze. Keine Menschenseele, wir hatten alle Schönheiten für uns alleine!

Danach ging es weiter zum Gorges d‘Ardèches. Es war unglaublich windig, beim Fotografieren musste man aufpassen, dass man nicht von den Aussichtspunkten weggeweht wurde.

Wir wären gerne länger geblieben, aber der Sturm wurde immer unangenehmer und es zog uns weiter Richtung Martigues, wo wir für die nächsten Tage unsere erste Ferienwohnung bezogen. Als wir ankamen, fragten wir uns etwas verwundert: „Sind wir wirklich noch in Frankreich“? Mehr dazu am Donnerstag.

Bitte Service!

Wir steigen ein in die brodelnde und knisternde Stimmung eines exquisiten Restaurants in Dublin. Daniel Costello ist der Besitzer und hat als Koch den Status eines Superstars. Um ihn herum arbeiten der Restaurantmanager, mehrere Köche, zwei Barmänner, die Empfangsdame und mehrere Kellner und Kellnerinnen, darunter auch Tracy und Hannah. Daniels Welt scheint vollkommen, denn auch familiär kann er sich mit seiner Frau Julie und den Söhnen Kevin und Oskar glücklich schätzen. Doch dann wird er „wegen einer Sache“ angeklagt und muss vor Gericht. Dies schadet seinem Ruf so sehr, dass er sein Restaurant schließen muss. Auch das Verhältnis zu Julie ist angespannt, denn „ die Sache“ sind sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen.
Abwechselnd aus der Sicht von Hannah, Julie und Daniel wird das Leben im Restaurant und die Zeit vor, während und nach der Gerichtsverhandlung geschildert.
Hannah ist eine sehr junge unerfahrene und schüchterne Studentin, die in den Semesterferien in dem Restaurant arbeitet. Während der Öffnungszeiten des Restaurants herrscht im Servicebereich permanent eine angespannte Stimmung, die manchmal ungewollt sogar in körperliche Aggressivitäten ausarten kann. Umso ausgelassener ist die Stimmung, wenn der letzte Gast gegangen ist. Das wird abendlich mit Alkohol und manchmal auch mit Drogen gefeiert. Während Tracy sich noch zusammen mit dem ein oder anderen Kollegen körperlich entspannt, stürzt Hannah oftmals betrunken ab und ist am nächsten Tag öfter unzulänglich. Aber Daniel lässt bei seiner „Süßen“ Milde walten, belohnt sie mit Komplementen oder widmet sich ihr persönlich, um ihr noch mehr beizubringen. Hannah ist in ihrer Unerfahrenheit einerseits stolz auf diese bevorzugte Behandlung, auf der anderen Seite kann sie immer schlechter damit umgehen…
Julie liebt ihren Mann. Er sieht gut aus, ist tatkräftig, seine ungebrochene Begeisterung für das Kochen und sein Restaurant und seine Loyalität ihr gegenüber rechnet sie ihm hoch an. Umso mehr ist sie verletzt und verunsichert, als es zu der Anklage kommt. Langsam formt sich bei ihr ein Bild von Daniel als Mädchen- und Frauenschwarm, das sie jahrelang ignoriert hat. Sie beginnt an Daniels Glaubwürdigkeit zu zweifeln, zieht sich von ihm zurück. Als sie Daniel in den Gerichtssaal begleitet, ändert sich dies, denn sie sieht Tracy, die aufreizende Anklägerin. Daniel ist für kurze Zeit in Julies Augen unschuldig, ein weiteres Zusammenleben scheint möglich sein…
Daniel kann als Herrscher über sein Reich alle Angestellten so behandeln, wie es ihm passt. Dazu gehört auch körperlicher Kontakt, wenn es sein muss. Deshalb versteht er die Welt nicht mehr, als es zur Anklage kommt. Wieso wird nicht mal darüber gesprochen, wie oft er Opfer von sexuellen Anspielungen von weiblichen Gästen war? Es gehören immer zwei dazu, wenn was passiert. Und wieso sind weiße Männer jetzt an allem schuld? Nur sehr selten plagen Daniel Schulgefühle und Angst, er ist der geborenen Sieger. Oder doch nicht?

Es gibt inzwischen diverse Romane zu diesem Thema und ich wollte ihn eigentlich „ nur mal eben anlesen“, aber die beschriebene Atmosphäre in dem Restaurant nahm mich zuerst gefangen. Dazu baute sich langsam eine Spannung auf, durch die sehr unterschiedlichen Blickwinkel, aus denen die Ereignisse beschrieben werden. Hannahs Unglück kommt immer näher, man ist überrascht von Tracys plötzlicher Anklage, hat Mitleid mit Julie. Und Daniels Gedanken sind noch einmal ein ganz anderes Thema.
Die irische Autorin hat einen beeindruckenden psychologischen Roman geschrieben und möchte mit ihm auf Missstände im irischen Justizsystem hinweisen, wie aus den Anmerkungen am Ende des Buches zu lesen ist. Diese Hindernisse bei der Behandlungen solcher Straffälle finden sich auch im deutschen Rechtssystem.