Nordirland Nr. 1-Carrickfergus

Bevor ich mit meinen Reiseberichten beginne, möchte ich zwei Dinge vorab erwähnen. Wenn Sie mit einer Reise nach Nordirland oder Südwales liebäugeln und sehr an Ihrer Internetverbindung hängen, sollten Sie sich seelisch darauf vorbereiten, dass Sie oft keine oder eine nur sehr instabile Verbindung haben. Ich habe irgendwann akzeptiert, dass ich nicht mal eben gucken konnte, wann ein Museum geöffnet ist oder bis wann eine Fähre übersetzt. Man muss es nehmen wie es ist.
Wir sind mit unserem Caddy auf die beiden Insel gefahren. Ein Festlandauto mit der Fahrerseite links bedeutet, dass man als Mitfahrer aktiv mitfahren muss, denn als Fahrer sieht man öfter nicht den Gegenverkehr. Da heißt es dann: Frei, frei, frei, stop- Auto! Besonders auf solchen Straßen:

Und solche Straßen sind wir viel gefahren, um Landschaften zu bewundern, die nicht mit Bussen zugestellt waren. Das heißt dann aber auch, dass Sie nicht zu penibel sein dürfen, wenn es um Ihr Auto geht. Sie können an Büschen, Böschungen oder kleinen Mauern vorbei schrammen, abgesehen mal von den Autos, die Ihnen auf solchen Straßen entgegenkommen. Die meisten Fahrer waren sehr vorsichtig und nur wenige hatten es eilig oder waren selbst blind.

Als Unterkunft in Nordirland hatten wir eine Ferienwohnung in Carrickfergus gemietet, knapp 20 km von Belfast entfernt. Von hier aus machten wir verschiedene Fahrten ins Land und nach Belfast.

Vielleicht ist Ihnen dieser Name schon einmal begegnet? Es gibt ein bekanntes Lied, das viele Musiker in ihr Repertoire aufgenommen haben.

Bekannt ist die Stadt auch durch die normannische Burg aus dem 12. Jahrhundert. Diese gilt als eine der best erhaltenen Burgen Großbritanniens und wir statteten ihr einen Besuch ab.

Fotocollage oben links: Festtafel, dann König und Königin, unten rechts: Eine Ritterin der 21. Jahrhunderts als Ausdruck des nordirischen Feminismus.

In der Burg werden Szenen aus dem normannischen Alltagsleben dargestellt. Dabei werden einige Puppen eingesetzt. Zu zeigen, wie König John auf der Toilette sitzt und seine Frau Affreca schmachtend in die Ferne sieht, ist für mich ein Indiz für den speziellen englischen Humor.
Die Innenstadt von Carrickfergus ( oder auch nur Carrick genannt) ist eher trist, ein kleines Museum versucht, mit Kultur die Stadt etwas zu beleben.

Bei der Suche nach Urlaubslektüre entdeckte ich durch Zufall einen Krimi, der 1981 in Carrick spielt, also in einer Zeit, in der die Kämpfe in Nordirland noch tobten und in Belfast und anderen Städten der Ausnahmezustand herrscht. Bombenattentate, Hungerstreiks, Ausgangssperren, das war damals der Alltag.

Der junge Polizist Sean Duffy geht nach Beendigung seiner Ausbildung nach Carrick, weil er hofft, dass diese Stelle als Sprungbrett in die nahe Hauptstadt Belfast dient. Seine Entscheidung wiegt im Laufe der Geschichte immer schwerer, denn er ist Katholik und Carrick ist fast rein protestantisch. Zu seinen Kollegen und Nachbarn hat er zumeist ein gutes Verhältnis, doch bei den Ermittlungen in zwei Mordfällen kommt er Geheimnissen mächtiger Männern aus beiden politischen Lagern gefährlich nah und man versucht, ihn zu töten.
Dieser Krimi war spannend zu lesen und ich bekam eine erste Ahnung, was vor dem Friedensabkommen vor 27 Jahren in Nordirland im Detail passiert ist. Das Thema Nordirlandkonflikt wird uns permanent auf unserer Reise begleiten.

Von JJ über Klaus Nomi nach Manchester

Bereit für ein paar Gedankensprünge?

Am Wochenende gewann JJ für Österreich den European Song Contest mit seinem Lied „Wasted Love“. Der junge Mann stellte sein Können als Countertenor unter Beweis und alle waren und sind noch aus dem Häuschen.

Als ich das Lied hörte, dachte ich sofort an Klaus Nomi, der ebenfalls mit seiner Countertenorstimme eine gewisse Berühmtheit erlangte. Allerdings bereits Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. Für die damalige Zeit war er wie ein Wesen vom anderen Stern, wie aus seiner Biografie hervorgeht.

Geboren im Allgäu, lebte er während seiner Kindheit und Jugend zusammen mit seiner Mutter im Ruhrgebiet. Er zeichnete und sang gerne und wollte Opernsänger werden. Allerdings unterstützen seine Lehrer ihn nicht bei seinem Wunsch, sich als Countertenor zu spezialisieren und er brach deshalb die Ausbildung ab. Mit Aushilfsjobs und ersten kurzen Auftritten verdiente er sich seinen Lebensunterhalt, dann ging er nach Berlin. Dort entdeckte ihn David Bowie, der ihn für die Einspielung eines Songs als Backroundsänger engagierte. Nomis Hoffnung auf eine weitere Zusammenarbeit zerschlugen sich und er beschloss, nach New York weiterzuziehen. Auch hier kämpfte er sich durch, sang Operntitel und Rocklieder und wurde schließlich in den New Yorker Clubs Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre mit seiner außergewöhnlichen Stimme berühmt. Er bewegte sich im Dunstkreis von Keith Haring oder Andy Warhol und war unterwegs in der Schwulenszene New Yorks. In Japan wurde er eine Berühmtheit und auch in Europa hatte er mehrere Auftritte, so in Deutschland bei Thomas Gottschalk. Bei ihm sang er dieses Lied.

Kurze Zeit später starb Klaus Nomi an Aids und war damit einer der ersten prominenten Aidsopfer Anfang der 80er Jahre.

Die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit schwul zu sein, war damals in New York nur an wenigen Plätzen möglich. Dies beschreibt Olivia Laing in ihrem Buch „Die Stadt der Einsamkeit“ ausführlich. (Siehe unten Link zur Besprechung). Es waren u.a Plätze am Hafen, alte Piers und Häuser, in deren Winkel sich Männer trafen. Diese Beschreibungen hatte ich noch im Kopf, als ich jetzt in Manchester war und das Northern Quarter durchstreifte.
In Manchester gibt es weiter südlicher ein spezielles Gay Village, aber im Norden ist die LSBTQ Szene präsent.
Sieht man es mit dem Architekturblick, entdeckt man viele Backsteinschönheiten:


Diese Backsteingebäude verschwinden aber immer mehr und werden von Wolkenkratzern verdrängt, wie man oben auf zwei Fotos gut erkennen kann.

Denn es sieht im Northern Quarter auch so aus:

Wie gut, endlich keine Schmuddelecken mehr? Vor 40 Jahren wurden in New York mit dem Abriss der alten Vierten die Menschen vertrieben und in Manchester passiert Ähnliches. Was geht außer dem Lebensort noch verloren, wenn solche Straßenzüge verschwinden? Das zeige ich in meinem nächsten Beitrag.



Das Musical Anatevka- ist es noch zeitgemäß?

In dieser und der nächsten Spielzeit der Deutschen Oper am Rhein habe ich das Vergnügen, als „Scout“ Premieren zu besuchen und im Anschluss daran mich mit anderen Scouts (wir sind dieses Jahr 11 Personen) auszutauschen, bzw. eine kleine Rezension zu schreiben. Dabei wird besonders darauf wert gelegt, dass die Scouts nicht nur das Stück selbst, sondern auch die Örtlichkeiten und das Davor und Danach bewerten.
(Wer mehr über dieses Projekt wissen möchte, letzte Woche erschien dazu ein Zeitungsbericht in der Rheinischen Post: https://rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/duisburg-die-neuen-opernscouts-der-rheinischen-post_aid-120108911

„ Anatevka“ war am Freitag unser erster Premierenbesuch. Das Musical nahm mich direkt gefangen, als am Anfang das Lied „Tradition“ mit Stimmgewalt gesungen wurde. Sangen 50 Künstler (die ganze Dorfgemeinschaft von Anatevka auf der Bühne? Im weiteren Verlauf des Stücks war ich immer wieder beeindruckt von der Musik, Anatevka sollte nicht nur wegen „Wenn ich einmal reich wär“ bekannt sein, es bietet noch andere schöne „Ohrwürmer“. Was mich ebenfalls begeisterte, war das Bühnenbild mit den wandelbaren Tüchern.  In der Szene des Schabbatgebetes kam die Idee besonders zum Tragen. Durch die Transparenz der Tücher, durch die man andere Familien sehen konnte, die eine Kerze anzünden, ging  dieser Moment zu Herzen.

Und dann die Hochzeit von Zeitel und Mottel. Welche Achterbahn der Gefühle! Zuerst pure Lebensfreude mit dem Flaschentanz, dann menschelte es, als Tevje und Lazar Wolf sich wieder streiten und dann die Gewalt der russischen Männer, die randalieren und am Ende die Fiedel zerschlagen. Totenstille. Diese Szene werde ich sicherlich nicht vergessen.

Immer noch aufgewühlt und beeindruckt, war ich nach der Pause gespannt auf den zweiten Teil. Doch für mich fiel dieser musikalisch und szenisch etwas ab bis zu dem Moment, als Tevje still alleine auf der Bühne steht und der Vorhang fällt. Ein Ende, das wohl niemanden unberührt ließ.

Ich konnte mich am Anfang mit Andreas Bittl als Tevje nicht anfreunden. Zu sehr hatte ich noch Ivan Rebroff im Kopf. Aber im Laufe des Abends änderte es sich und seine Dialoge mit Gott oder sich selbst ließen mich schmunzeln. Die anderen Schauspieler und Schauspielerinnen spielten auch gut, die Gesangsstimmen waren alle angenehm

Mir hat das Musical gefallen, auch dank des mit Hingabe spielenden Orchesters und ich reihte mich gerne am Ende mit ein in die Standing Orvations des Publikums. Das Thema „Traditionen“ hat meiner Meinung nach etwas an Aktualität verloren, doch „Vertreibung“ ist umso aktueller und diese Mischung macht es nach wie vor zu einem außergewöhnlichen Musical, dem ich viele Zuschauer wünsche.

Als kleinen Appetitanreger hier ein Trailer einer Aufführung vom Saarländischen Staatstheater:

Niederrheinische Scottish Moments und Jazzkonzerte vom Feinsten

Wenn man sich intensiv mit der AfD und deren Ziele beschäftigt, braucht man zwischendurch auf jeden Fall Kopfauszeiten, um nicht zu niedergeschlagen zu sein.

Ich lernte am Mittwoch die Umgebung vom Bearlagshof in der Nähe von Issum kennen. Hier hat man pure Niederrheinlandschaft mit einem Hauch von Schottland und da hauptsächlich Laubbäume vertreten sind, kündigt sich jetzt schon eine tolle Herbstfärbung an.

Ein Bauernhofcafé, wie man es sich wünscht.

Am Freitag waren wir zum ersten Mal in Dottendorf bei Bonn, das sich dank eines engagierten Bürgervereins in den letzten Jahren als Anlaufpunkt für Jazzfreunde etabliert hat. Ich hatte das große Vergnügen, das Omer Klein Trio zum ersten Mal live zu erleben, ein Trio aus Israel, das dieses Jahr eine Nominierung zum Live Act des Jahres beim Deutschen Jazzpreis bekam.

Omer Klein tritt auch solo auf, dann zumeist mit etwas eingängigeren Stücken.

Nach dem Abend hatte ich wieder neue Kraft getankt, um meine Kopf-Komfortzone zu verlassen.

Besuch im BoSy

Bald beginnt wieder die Konzertsaison und allen, die sich darauf schon freuen, möchte ich heute das Anneliese Brost Musikforum Ruhr, auch gerne „BoSy“ genannt, vorstellen.
Diese Konzertstätte gibt es seit 2016 und ist insofern speziell, als dass an der ehemaligen St. Marien- Kirche ein Konzertsaal gebaut wurde und die Kirche jetzt als Foyer genutzt wird.

Ich sah zum ersten Mal den Duisburger Violinisten Frank Peter Zimmermann, der im europäischen Raum als einer der besten Geigenspieler gilt. Hier eine kleine Hörprobe:

An unserem Konzertabend spielte er u.a. dieses Stück, was mir sehr gut gefiel.

Frank Peter Zimmermanns Auftritt zeichnete sich nicht nur durch sein Können aus, sondern auch durch seine freundliche und natürliche Art. Ist eben ein „Duisburger Jung“!
In der Pause gingen wir nach draußen und wurden von lautem Autogehupe und vielen Menschengruppen überrascht. Die türkische Fußballmannschaft war gerade Sieger in einem EM-Spiel und das wurde gefeiert. Im Konzertsaal hatten wir davon nichts mitbekommen- ein Lob auf den Konzertsaal! Nach der Pause hörten wir die 9.Symphony von Anton Bruckner, bei der der Saal seine sehr gute Akustik noch einmal präsentierte.

Hier geht es zum Spielplan 24/25 vom BoSy: https://www.bochumer-symphoniker.de/fileadmin/user_upload/240527_BoSy_Kalender_24_25_E-Book.pdf

Sie können tatsächlich auch komponieren

Da heute der internationale Frauentag gefeiert wird, widme ich mich mal wieder dem Thema „Komponistinnen entdecken“.
Im ersten Video hören Sie Musik von Florence Price ( 1887 bis 1953). Sie schrieb ca. 300 Werke und war die erste Afroamerikanerin, die in den USA als Komponistin klassischer Musik bekannt wurde.

Die Amerikanerin Sarah Kirkland Snider ( geboren 1973) komponiert  Kammermusik, Chor- und Ballettstücke sowie sinfonische Orchesterwerke. Ihre Musik ist eine Mischung aus Indie-Rock und klassischer Musik und wird dem Genre „Neoklassik“ zugeordnet.

Die Amerikanerin Joanne Brackeen (geboren 1938) ist Autodidaktin und wurde Jazzpianistin, die mit ihren Kompositionen laut Wikipedia in den 80er Jahren wegweisend für die Entwicklung des Jazz war.

https://youtu.be/n3mTrBHRQPA?si=fOxYUCF23kMcM1V7

Für alle, die nicht so klavierbegeistert sind, habe ich abschließend noch Anna Meredith in die Auswahl mit aufgenommen. Die Britin wurde 1978 geboren, bekam schon mehrere Auszeichnungen für ihre innovativen elektronischen und akustischen Kompositionen, die u.a. auch in verschiedenen Filmen zu hören sind. Hier zwei Beispiele:

Stellen Sie laut und schnallen Sie sich an! Ich habe das Stück schon einmal live in der Elbphilharmonie gehört und dachte, dass jeden Moment die apokalyptischen Reiter auf der Bühne auftauchen. Taten sie nicht- noch einmal Glück gehabt…

Hier dürfen Sie gerne mitklatschen:

Die Kunst von Hipgnosis

Ich vermute, dass einige meiner Leser und Leserinnen Kunst von Hipgnosis bei sich zuhause im Regal stehen haben…

„Hipgnosis“ ist ein Künstlerduo, dass zwischen 1967 und 1984 über 400 Plattenhüllen für bekannte Musikgruppen wie Pink Floyd, Led Zeppelin oder Yes entworfen haben und 120 dieser Cover kann man sich noch bis zum 20. Mai in der Oberhauser Ludwigsgalerie ansehen.


Weltberühmt wurde Hipgnosis durch die Plattenhülle zu „The Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd. In der Ausstellung sieht man, welche verschiedenen Entwürfe es vorher gab und es wird erzählt, wie letztendlich diese Version sich durchsetzte:

Das 30jährige Jubiläum dieser Schallplatte nahmen diverse Künstler zum Anlass, das Motiv noch einmal umzugestalten.

Auch zu den anderen Plattenhüllen von Pink Floyd erfährt man viel zu der Entstehungsgeschichte. Besonders beeindruckend die Fotos zu „Wish, you were here“. Damals gab es noch keine Fotobearbeitungsprogramme und die Umsetzung der Idee war noch einen Herausforderung, die Tage dauern konnte.

Den Hüllen von Peter Gabriel wird ebenfalls viel Platz eingeräumt. Auch hier wird genau beschrieben, wie die Fotos damals gemacht wurden. (Rechts wurde beispielsweise ein Polaroidfoto, bei dem der Entwicklungsprozess noch nicht abgeschlossen war, mit einem Finger berieben.

Diese Plattenhülle von 10cc kannte ich noch nicht und sie gefiel mir ausgesprochen gut. Sie entstand 1976 und zeigt Menschen auf einer Party, die sich nicht mehr miteinander unterhalten, sondern sich gegenseitig anrufen. Wie weitsichtig!

Wir waren eine gute Stunde in der Ausstellung. Die Texte lasen wir alle, nur einen Kurzfilm sahen wir uns nicht an. Also eine Ausstellung, genau richtig für einen verregneten Nachmittag. Vielleicht nehmen Sie sich noch ein Paar Kopfhörer mit und spielen ihre Playlist mit alten Lieblingen ab? So taten es bei unserem Besuch zwei ältere Herren und sie sahen beim Mitsummen ziemlich glücklich aus.

Alternative Karnevalsmusik

Sollten Sie mal eine Abwechslung zu den Karnevalsliedern im Radio brauchen, hier ein Stück der finnischen Komponistin Helvi Leiviskä (1902 bis 1982).
Sie hat Musik studiert, war aber hauptberuflich Bibliothekarin und komponierte jahrelang in ihrer Freizeit. Sie war die erste bedeutende finnische Komponistin, die sich in einer Männerwelt durchsetzten musste und eine 2024 erschienene CD mit ihrem Orchesterwerk Platte zeigt laut Fachleuten, dass Leiviskä die bedeutendste europäische Komponistin neben den Boulanger-Schwestern und Sofia Gubaidulina war.