
Wir besuchten die Bindestrich-Stadt an einem verregneten Tag. Bindestrich-Stadt deshalb, weil es Situationen gibt, in denen es unklug ist, den offiziellen Namen der Stadt zu nennen und man dann besser Bindestrich-Stadt sagt. Gemeint ist die Stadt „Derry-Londonderry“ (der katholische/irische Name – der offizielle evangelische/englische Name). In dieser Stadt waren die Kämpfe in den 70er Jahren besonders schlimm. Hier zur Erinnerung:
Ich hatte gelesen, dass es in Derry (ja, ich ergreife jetzt Partei für eine Seite) ein Museum gibt, in dem die Darstellung der irischen Geschichte von beiden Seiten akzeptiert wird, also anscheinend die größte Neutralität bot. Dieses Museum besuchten wir zuerst und je weiter ich in die Geschichte eintauchte, desto mehr machte sich bei mir das Gefühl einer gewissen Hoffnungslosigkeit breit.

Danach ging es über die Jahrhunderte weiter mit Auseinandersetzungen und Kämpfen. Wer Interesse hat: Ich habe am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung aus einem Beitrag im Deutschlandfunk angehängt.

Das Museum liegt oben auf dem Berg und gehört zu der komplett erhaltenen Ringmauer um die Altstadt. Auf der Stadtmauer machten wir anschließend einen Spaziergang und erkundeten ein bisschen den alten Teil der Stadt, die sich durch z.T. prachtvolle Bauten auszeichnet, die ab dem 17. Jahrhundert vorwiegend den Protestanten gehörten.

Das zweite Ziel war das Viertel Bogside, das unten am Fuß der Altstadt liegt. Auch hier gibt es wie in Belfast sogenannte Murals, Gedenkstätten und ein weiteres Museum, dass sich das „Derry-Museum“ nennt.


Würde ich in diesem Viertel, das sichtlich arm ist, leben und jeden Tag würden mich die Murals an den Verlust erinnern und und ich müsste hoch zur Altstadt der Reichen sehen, wie lange wäre ich eine friedliebende Mitbürgerin? Würde nicht nur ein Funke reichen, um wieder auf die Straße zu gehen?

Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, das 27 Jahre alte Friedensabkommen scheint mir immer noch fragil.
Ich recherchierte etwas im Internet, wie andere Menschen diese Situation einschätzen und fand mehrere Texte von Irland-Korrespondenten oder Geschichtsprofessoren, die ähnlich skeptisch sind. Die Hoffnung, dass die junge Generation diesen Konflikt hinter sich lassen kann, scheint gering. Es gibt immer noch radikale Gruppierungen, von denen sich besonders Jugendliche angesprochen fühlen und die dann zu gewalttätigen Aktionen angestiftet werden. Menschen sterben auch noch heute, wie beispielsweise eine Journalistin, die über den Konflikt berichten wollte und unbequeme Fragen stellte oder ein Mann, der öffentlich gekreuzigt wurde.
Auch der Brexit trägt zu der instabilen Lage bei. Offiziell gehört Nordirland nicht mehr zur EU, aber an den Grenzen zum EU Mitglied Irland gibt es keine Kontrollen, was immer wieder zu Kontroversen zwischen Irland und Großbritannien führt. Und schließlich engagiert sich die irisch- republikanische Partei Sinn Féin sehr in Nordirland und gewann beispielsweise in Bogside 40% der Stimmen.
Die Bindestrich-Stadt gilt laut des Geo Reisemagazins zu Unrecht als „Aschenputtel“-Reiseziel und da stimme ich zu. Ich hatte mir im Reiseführer noch einige andere interessante Plätze angekreuzt. Es gibt beispielsweise mehrere Parks und auch das Foyle-Flussufer ist teilweise schön gestaltet. Doch das Wetter machte unseren weiteren Erkundungsdrang an diesem Tag zunichte.
Demnächst geht es weiter mit viel Landschaft. Wir sind bei schönem Wetter an der Küste entlang gefahren und kraxelten u.a. auf dem Giant’s Causeway und gingen unter den „Dark Hedges“ spazieren.
Anhang (Text: Deutschlandfunk):
Wie ging es mit dem Konflikt in der Geschichte weiter?
Immer wieder regten sich Widerstände, immer wieder wurden sie blutig niedergeschlagen. Mitte des 19. Jahrhunderts dann die große Hungersnot. Gescheiterte Kartoffelernten, Typhus-, Ruhr- und Choleraepidemien. Eineinhalb Millionen Iren starben, eine Million wanderte aus. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Bevölkerung von ehemals neun Millionen auf dreieinhalb Millionen geschrumpft.
Und dann der Erste Weltkrieg. Tausende von Iren starben für England. Aber irische Widerständler glaubten, dies sei der ideale Zeitpunkt, um das geschwächte Großbritannien anzugreifen, und versuchten, die Bevölkerung für ihren Freiheitskampf zu mobilisieren. Am 24. April 1916 – einem Ostermontag – besetzten über 1.000 Nationalisten mehrere strategisch wichtige Gebäude in Dublin. Padraig Pearse, einer der Anführer, rief die Republik Irland aus.
„Iren und Irinnen! Im Namen Gottes und der toten Generationen, aus deren Hand Irland seine alte nationale Tradition empfangen hat, rufen wir unsere Kinder auf, sich unter der irischen Fahne zu vereinen und für die Freiheit zu kämpfen!“
Es folgten fünf Tage voller Chaos und Blutvergießen und schließlich unausweichlich die Niederlage. Rund 500 – zumeist Unbeteiligte – starben. Die Widerständler waren schlecht bewaffnet, schlecht organisiert, unter sich zerstritten und blieben eine winzige Minderheit – etwa 1.500 Menschen. Die Mehrheit der Iren wollte eine unblutige Lösung. Sie setzte auf die sogenannte Home Rule, die ihr von der Londoner Regierung in Aussicht gestellt worden war: einen autonomen Status innerhalb des Britischen Empire.
Ein Land war allerdings bereit, die irischen Kämpfer mit Waffen zu unterstützen: Deutschland lag daran, den britischen Kriegsgegner zu schwächen. Und so trafen die Vorschläge von Sir Roger Casement, einem ehemaligen britischen Beamten irischer Abstammung, auf offene Ohren, erzählt der britische Historiker John Röhl:
„Sein Plan war, dass er mit einem deutschen U-Boot dann in Irland abgesetzt werden sollte, und er sollte da den Aufstand leiten. Im April 1916 ist er dann an der Westküste Irlands abgesetzt worden. Die Engländer wussten aber schon, dass er kam. Sie haben ja die Kabel zwischen Deutschland und Amerika abhören können. Er ist im Tower of London inhaftiert worden, und im August 1916 ist er gehenkt worden.“
Auch die Rebellen in Dublin erwartete eine harte Strafe. 15 Anführer wurden im Schnellverfahren zum Tode verurteilt und erschossen. Das brutale Vorgehen der britischen Soldaten löste bei der irischen Bevölkerung Hass und Empörung aus. Die Rebellen wurden zu Märtyrern erhoben, der Osteraufstand nachträglich mit tiefer Symbolkraft ausgestattet, das führte zu weiteren Konflikten. 1921 wurde Irland zum Freistaat erklärt – der vorwiegend protestantische Nordteil der Insel blieb auf eigenen Wunsch bei England. Aber auch diese Lösung brachte keinen Frieden.