Die arme Stiefschwester von Aschenputtel

Am letzten Freitag sah ich im Duisburger Stadttheater das Ballett „Ruß“.

Die Idee von Bridget Breiner, das Märchen „Aschenputtel“ aus der Sicht der „bösen“ Halbschwester Livia zu erzählen, begeisterte mich von Anfang an und auch die Umsetzung war sehr gelungen. „Ruß“ spielt in einer Bergwerkstadt und das schlichte, flexible, aber z.T. auch symbolträchtige Bühnenbild, ( z.B. in Form einer Waschkaue), unterstreicht die Tanzszenen und lenkt nicht ab. Dass die Musik größtenteils vom Band kam, war vielleicht der einzige Wermutstropfen. Auf die Johann Strauss Musik hätte ich im 1. Akt gerne verzichtet, als Festmusik im 2. Akt war sie passender. Die live gespielten Akkordeonstücke für die eher traurigen Passagen des Balletts waren hingegen musikalische Höhepunkte. Ein Beispiel:


Besonders hervorheben möchte ich die grandiose Choreographie mit einer Fülle von einfallsreichen Schrittfolgen und Figuren, die die Geschichte und die Gefühlswelt der Protagonisten wunderbar ausdrückten. Da sind beispielsweise die liebevollen und lebensfreudigen Szenen zwischen Aschenputtel und ihrem Vater und dann die Tanzduette zwischen Livia und dem empathischen Arbeiter Mitch.
Livia ist eine bedauernswerte Person. Die Mutter hat den Ehrgeiz, ihre Tochter an den reichen Sohn eines Industriellen zu verheiraten. Die zurückhaltende Livia steht im Schatten von Aschenputtel, die wie ein permanent lächelnder Wirbelwind über die Bühne fegt und Livia zerbricht fast an den Ansprüchen ihrer Mutter. Glücklicherweise findet sie in dem Bergarbeiter Mitch einen Freund, der sie darin bestärkt, sich der Mutter zu widersetzen und Livia lacht befreit das Publikum an, während der Vorhang fällt.
Zukünftige Ballettabende werden es schwer haben, vergleiche ich sie mit der Vorstellung von „Ruß“.

Fragen Sie Ihre Politiker

Kennen Sie die Internetseite abgeordnetenwatch.de? Hier können Sie Fragen an Politiker im Bundestag, sowie an Mitglieder der einzelnen Landesregierungen stellen.

Screenshot

Nicht alle Politiker und Politikerinnen sind vertreten, aber für Duisburg sind es beispielsweise sieben Personen.
Normalerweise sollten Abgeordnete Fragen aus der Bevölkerung beantworten, aber das tun nicht alle. Manche antworten gar nicht, manche sporadisch, manche allerdings beantworten jede Frage zeitnah. Das ist schon sehr aufschlussreich.

Ich finde es interessant, welche Bandbreite die Fragen haben und wie unterschiedlich die Qualität der Antworten ist. Bei manchen Politikern und Politikerinnen habe ich das Gefühl, dass sie die Fragen ernst nehmen, bei anderen kommt es mir so vor, als seien engagierte Wähler und Wählerinnen nur lästig.

Ich habe seit letzter Woche bereits mehrere Fragen gestellt. Sie wurden alle nach einer Prüfung auf der Internetseite veröffentlicht und an die betreffenden Personen weitergeleitet. Von sechs Abgeordneten antworteten mir bisher zwei.

Was man ebenfalls tun kann ist, bei einer nicht beantworteten Frage einer anderen Person ein „Folgen“-Icon anzuklicken, um zu signalisieren, dass man sich ebenfalls für die Antwort interessiert. Und da wurde ich gestern überrascht:

Am Wochenende habe ich dieses Icon mehrmals angeklickt bei Fragen, die teilweise seit dem Sommer noch nicht beantwortet waren. Wird eine Frage dann doch noch beantwortet, bekommt man als eine Mail zugeschickt. Und, oh Wunder, gestern hatte ich zwei dieser Mails im Postfach, da plötzlich Fragen (eine aus August, die andere aus November) beantwortet waren und das ausführlich.

Stelle mir gerade so vor, dass mehr Wähler und Wählerinnen vom Sofa aus den Politikern Fragen stellen und damit den Abgeordneten zeigen, dass ihr Handeln kritisch hinterfragt und nicht von der stummen Mehrheit einfach akzeptiert wird…

Die Betreiber von abgeordnetenwatch.de widmen sich übrigens auch noch den Themen Lobbyismus, Parteispenden und Nebeneinkünften von Parteien und einzelnen Politikern und zeigen u.a. auch, wie in anderen Ländern diesbezüglich bereits viel mehr Transparenz geschaffen wurde.

Vom Sofa aus was tun kann sehr befriedigend sein und ich zumindest komme mir nicht mehr so hilflos vor, wenn ich morgens die Zeitung lese oder Nachrichten höre.

Sie haben keine Idee, welche Fragen man stellen könnte? Hier ein paar Beispiele:

Werden Sie vor den Wahlen noch für die Verlängerung der Mietpreisbremse stimmen?

Haben Sie den Willen, Frauen zu helfen und zu schützen und vor der Wahl gemeinsam mit der Regierung für das Gewalthilfegesetz zu stimmen?

Einer künftigen Regierung rät die OECD, Klarheit zu schaffen bei der Finanzierung und der Umsetzung der grünen Transformation. Die OECD sei für eine Reform der Schuldenbremse, um mehr Raum für Investitionen zu schaffen. Zur Finanzierung der Transformation kann beispielsweise auch Streichen von umweltschädlichen Subventionen beitragen, wie etwa das Dienstwagenprivileg oder der Dieselsubvention- Bitte nehmen Sie Stellung dazu.

Wird Ihre Partei das Deutschland Ticket weiter fördern?

Wie steht Ihre Partei zu einer unabhängigen Prüfinstanz–zur Kontrolle von Parteispenden, Abgeordneten-Nebentätigkeiten und Angaben im Lobbyregister ?



History is sexy

Emma Southon (40) ist Althistorikerin, lebt in Belfast und hat bisher drei Bücher über die römische Geschichte geschrieben. Dieses Buch ist das erste, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Wir kennen Cäsar, Nero, Brutus, Cicero oder Augustus, aber fallen Ihnen auch so viele berühmte Frauen ein? Wer sind diese 21 Frauen?
Sie kommen fast alle aus der Oberschicht, sind selbstbewusste Königsmacherinnen, Geschäftsfrauen, Dichterinnen oder auch zwei ausländische Feindinnen von römischen Kriegern. Emma Southon hat tief in Archiven gegraben und widmet sich u.a. auch römischen Geschichtsschreibern, die von heutigen männlichen Historikern oft als unbedeutend angesehen werden. In diesen Aufzeichnungen hat sie z.T. Material gefunden, das bisher keiner breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Chronologisch von der Gründung Roms, über das Königreich, der Republik, dem Imperium bis zum Verfall des Römischen Reiches erzählt sie von Frauen und wir begegnen z.B. einer Sabinerin, lernen die Bräuche der mächtigen Vestalinnen kennen oder sind bei dem Bacchanalienskandal mit dabei.
Beim Schmökern lernt man einiges über die römische Vorstellung von Luxus, die geltenden Gesetzen bezüglich Frauen und Sklaven, über typische Alltagsprobleme, das queere Leben in Rom oder auch über das Frauenleben während der Kriegszeiten.

„History is sexy“- so heißt ein Podcast, den die Autorin veröffentlicht. Sie liebt die römische Geschichte, erzählt aber nicht zum x-ten Mal detailliert über die Schlachten, sondern sucht nach anderen Blickwinkeln. Sie schreibt sehr lebendig, frech, mit Humor und ohne Tabus. So kann ein Geschichtsbuch Spaß machen. Römermuseum in Xanten….Ich komme!


Treffen sich zwei Nachbarinnen im Hausflur- Wegwerfen Teil 2

Seit zwei Wochen lese ich dieses Buch.

365 Geschichten für ein Jahr…Jede Geschichte ist ca. 1 1/2 Seiten lang und am Ende jeder Geschichte habe ich das Lesegefühl, das ich auch bei Haikus habe, man kann die Geschichten weiterdenken.
Wie ich Ihnen am Montag schrieb, treibt mich z.Zt. das Thema Wegwerfen um und gestern kam mir unter dem Einfluss meiner Abendlektüre folgender Gedanke:“ Warum nicht mal eine Geschichte über etwas schreiben, dass du wegwerfen willst?“ Gedacht, getan.
Im Badezimmer sammeln sich bei mir seit Jahren in einem Kästchen Proben aus Apotheken, Parfümerien oder Drogerieketten. Ich freue mich immer darüber, hebe sie auf, benutze sie nie, so dass sie irgendwann eintrocknen oder verdunsten. Dieses Kästchen habe ich nun komplett entsorgt und hier die passende Geschichte dazu:

Gut gemeint

Draußen war es grau, ein paar Schneeflocken trudelten zur Erde und ich schleppte mich im Home Office durch den Morgen.
Da klingelte es an der Wohnungstür. Durch den Spion sah ich meine Nachbarin Frau Schmied und öffnete die Tür.
„Ach Frau Hansen, dass ist wirklich nett, dass Sie mein Päckchen angenommen haben. Ich bin ja sonst immer da, aber heute früh musste ich zu meiner Schwester. Ihrem Wellensittich geht es nicht gut und sie macht sich große Sorgen. Na ja, Ticki ist ja auch schon 9 Jahre alt, also nicht mehr der jüngste. Aber wird schon. Und sonst schenke ich Elisabeth zu Weihnachten einen neuen Piepmatz. Vielleicht mal zur Abwechslung einen Kanarienvogel, die singen ja immer so schön. Ohne Vogel kann sie ja nicht, hat ja sonst auch niemanden außer mich. Ach, ich plappere schon wieder…“ Ich nickte nur mit dem Kopf und gab Frau Schmied ihr kleines Päckchen. Frau Schmied legte es auf den Flurboden und fing an, in ihrer speckigen braunen Handtasche zu kramen. Dabei brabbelte sie vor sich hin. „Ich habe noch etwas für Sie! Warten Sie…Wo ist sie denn? Ah…Hier, als kleines Dankeschön! Mache ich auch jede Woche einmal und es hat bisher nicht geschadet, oder?“ Mit eine breiten Lächeln und strahlenden blauen Augen überreichte sie mir ein Tütchen, das eine Maskencreme gegen Falten beinhaltete. „Sie sehen in letzter Zeit so blass aus und ihre Haut erinnert mich immer an meinen alten Lampenschirm aus Japanpapier. Sie müssen mal ein bisschen mehr auf sich achten, mit 42 ist man ja auch nicht mehr ganz so taufrisch.“
Frau Schmied nahm ihr Päckchen vom Boden, drehte sich um, ging zu ihrer Wohnungstür und schloß auf.
„Wenn Ihnen die Maske gefällt, die gibt es im 10er Pack für 2,99 bei Gangelbach in der Hochstraße. Schönen Tag noch!“
Bevor ich etwas entgegnen konnte, war sie in ihrer Wohnung verschwunden. Ich ging langsam in meine Wohnung zurück und setzte mich an den Küchentisch. Gerade wurde in mir ein Kampf ausgetragen zwischen Staunen, Empörtsein und Dankbarkeit. 
Die Dankbarkeit siegte. Frau Schmied war 84 und durfte so sein wie sie war, schnäbbelig, direkt, dabei aber immer freundlich. Und ja, sie sah tatsächlich eher wie 74 aus und vielleicht trug die wöchentliche Maske dazu bei. 
Ich nahm ihr kleines Dankeschön als Fingerzeig, brühte mir einen Kaffee auf, und verteilte danach die Maske auf meinem Gesicht. Sie duftete nach Erdbeeren und ich schloß die Augen und atmete tief ein und aus: Erdbeerkuchen, Erdbeereis, Erdbeeren im Wald finden, Erdbeeren im Garten pflanzen, Erdbeermarmeladenfleck auf meinem neuen Sonntagskleid, als ich sieben Jahre als war…Ich wurde immer jünger!

Vom Wegwerfen und dem Tod

Ich hatte in der Vergangenheit schon zwei größere Anwandlungen, Dinge wegzuwerfen und das war danach jedes Mal ein tolles Gefühl. In den letzten Monaten wollte ich mich gerne mal wieder trennen, aber konnte mich nicht so recht überwinden. Also las ich erst einmal ein Buch, um mir einen geistigen „Überbau“ zu geben.


In diesem Reclamheft beschreibt die Autorin, wie sie nach dem Tod der Eltern deren Haus ausräumen muss. Viele Dinge behält sie und packt sie erst einmal in Kisten. Nach einer Zeit der Trauer will sie die Kartons „angehen“, doch sie schafft es nicht und schreibt stattdessen dieses Buch.
Zuerst die gute Nachricht: Es gibt zu der berühmten Konmari-Methode des Wegwerfens inzwischen eine Gegenbewegung, sie heißt „Cluttercore“ und befürwortet laut „Brigitte“ eine gewisse Unordnung, da sie Kreativität fördert. Musste ich das Buch überhaupt noch weiterlesen? Doch, es sollte in meinem Leben leerer werden.
Wie beeinflussen uns Dinge, die wir zuhause aufheben, horten oder dekorieren? Sie schenken uns schöne Erinnerungen, bringen kurzzeitig Frustverminderung, können uns ermahnen, drücken unsere Persönlichkeit aus und sind der Beweis, dass wir noch zu den Lebenden gehören. Deshalb fällt es uns oftmals so schwer, uns mit den toten Dingen unserer verstorbenen Eltern zu beschäftigen. Beim Ansehen und Aussortieren werden wir auch an den eigenen Tod erinnert und dagegen wehren wir uns.
In unserer heutigen Welt, in dem wir angehalten sind, möglichst wenig wegzuwerfen und lieber zu recyceln, kann das Wegwerfen zum Problem werden. Wie froh sind wir, wenn wir Sachen gemeinnützigen Anlaufstellen bringen können und damit das schlechte Gewissen, etwas wegzuwerfen, weitergeben. Die gute Tat ist eigentlich etwas Scheinheiliges. Diese Stellen platzen aus allen Nähten und nein, vieles kann man nicht mehr gebrauchen, die Zeit des Gegenstandes ist abgelaufen. Weg damit!
Die These der Autorin und da orientiert sie sich u.a. an dem Philosophen Michel de Montaigne: Wenn wir bewusst ein Ding wegwerfen, lernen wir auch ein bisschen, von der Welt Abschied zu nehmen. Der Tod verliert nach und nach seinen Schrecken, da wir uns an den Abschied und unser Verschwinden langsam gewöhnen.
Darüber musste ich erst einmal grübeln, kann diesem Gedanken aber etwas abgewinnen. Allerdings benutze ich bei einigen Dingen einen Krückstock, der mir das Wegwerfen erleichtert. Es ist dieses Heft:

Hier notiere ich vor dem Wegwerfen Dinge wie Souvenirnippes, Bücher, Kleidung, Schmuck, Fotos, u.v.m. und mein Gedächtnis hat dann immer mal wieder eine schöne Lektüre.

Erinnerungen an das Ahrtal sind gewollt

4. Juni 2024 in der Tagesschau: Der Deutsche Wetterdienst warnt in der kommenden Nacht vor einer Unwetterfront mit der Gefahr von schweren Gewittern und Überflutungen.

Innerhalb weniger Stunden wird in Unterlingen der kleine Rurbach zum reißenden Fluß, der erst die Straßen überschwemmt und dann mit seinem Wasser in die Häuser eindringt und auch viele Tiere tötet. Fast alle Dorfbewohner sind geflohen, aber die 81jährige Gudelia harrt in der oberen Etage ihres Hauses aus. Als der technische Hilfsdienst kommt, um sie zu retten, weigert sie sich, ihr Haus zu verlassen, erzählt allerdings dem jungen Mann, dass sie zwei Leichen mit gefesselten Händen im Fluss gesehen hätte. Es waren keine Dorfbewohner. Am nächsten Morgen, als das Wasser zurückgeht, kommen zwei Polizisten zur Befragung, aber auch sie glauben Gudelia eher nicht, obwohl sie ihnen den Hinweis gibt, dass die Leichen eventuell Gäste eines Reiterhofes waren.
Nach der Unwetterkatastrophe überprüfen Statiker, in welche Häuser die Bewohner wieder zurückkehren dürfen, bzw. welche Häuser abgerissen werden müssen. Durch einen Trick schafft es Gudelia, dass ihr Haus bei der Prüfung übersprungen wird. Auf keinen Fall darf jemand die Rückseite ihres Hauses sehen, denn dort geht ein breiter Riss durch die Wand und Gudelias Geheimnis, das sie seit 40 Jahren bewahrt hat, ist plötzlich sichtbar. Und dann taucht plötzlich ein Kommissar auf, der Interesse an Gudelias beiden Leichen hat. Seine Besuche werden Gudelia zunehmend lästig.

Während das Wasser in der Nacht unaufhörlich steigt, denkt Gudelia über ihr Leben nach. Die Jahre 1984 und 1998 waren prägend, denn 84 verloren sie und ihr Mann Heinz ihren 15jährigen Sohn Nico. 14 Jahre später ergreift Gudelia die Gelegenheit und erpresst den Besitzer des Reiterhofes. Mit dem Geld löst sie den Kredit für ihr Haus ab. Heinz, der inzwischen Alkoholiker geworden ist und auf der Arbeit nicht mehr klarkommt, schickt sie in den Entzug. Danach lebt Gudelia mit ihrem Geheimnis alleine im Haus.

Dieser Krimi ist keiner für einen Kuschelsonntag auf dem Sofa, sondern eher etwas für Spezialisten, die eine außergewöhnliche Geschichte suchen. Das Buch bietet Spannung, Humor, eine gewisse Morbidität und extreme Gefühle, Gudelia wird mir in Erinnerung bleiben.

Alice Springs am Niederrhein

Wer sich für Fotografie interessiert, findet z.Zt. im Schloss Moyland zwei sehenswerte Ausstellungen. Wir waren zu viert dort und alle waren sehr angetan.

Hier geht es zum „Digital Guide“ der Ausstellung: https://moyland.de/ausstellungen/alice-springs-retrospektive/digitaler-guide-alice-springs/

Den Besuch kann man mit einem Besuch im Schlosspark verbinden und sich dann im Café für die „geistige Arbeit“ belohnen und schwupps verbringt man einen schönen Nachmittag!

Im Land der Wölfe

In Grenzlitz stehen Bürgermeisterwahlen an. Die Sensation: In anderen sächsischen Gemeinden bieten sich bei dieser Wahl die konservative und die rechte Partei ein Kopf-an-Kopf-Rennen, in Grenzlitz erreicht Katja, die Spitzenkandidatin der Grünen, bei den bisherigen Umfragen 30 %. Als Nana, die in Berlin lebt und als Coach für Berufstätige arbeitet, davon hört, ist sie fasziniert und bietet Katja an, sie bis zum Wahltag zu begleiten. Katja stimmt zu und so fährt Nana in das Land der Wölfe.

Dort angekommen, eckt Nana als Außenstehende schnell mehrmals an und muss lernen, dass die Uhren in Grenzlitz völlig anders ticken als in der Hauptstadt. Jeder dritte Einwohner wählt potentiell die rechte Partei, also auch der Bäcker, die Kindergärtnerin, der Kneipenwirt. Man muss mit diesen Menschen den Alltag gemeinsam bewältigen. Erik, der lieber Frauenkleidung und lila Haare trägt und ein Baumhaus-Ferienparadies eröffnen will und auch Knut, ein Mann der seit 25 Jahren für grüne Ideen kämpft, erzählen Nana von ihren Erfahrungen mit der rechten Partei. Man braucht Rückgrat, Visionen und einen langen Atem, um es in Grenzlitz trotz Anfeindungen und Bedrohungen von Anhängern der Blauen auszuhalten. Besonders schwer fällt Nana anfänglich der Umgang mit Falk Schloßer, Justizvollzugsbeamter und im Wahlkampf aktiv für die rechte Partei tätig. Sein Duft und sein Auftreten erinnern Nana an ihren Exfreund Tom, mit dem sie zusammen in der Antifa-Bewegung auf Demonstrationen gegen Nazis gekämpft hat. Wie kann jemand wie Falk rechts wählen? Aber Nana hört ihm und anderen zu, lernt, beginnt zu verstehen und Falk zu mögen. Sie überzeugt Katja, die sich zu der rechten Partei hin zuerst abschottet, auf ihren politischen Gegner zuzugehen.
Kurz vor der Wahl findet das islamische Zuckerfest auf dem Marktplatz statt. Nana und Katja sind mit dabei und viele Bürger feiern friedlich, bis eine rechte Schlägertruppe auftaucht, an deren Spitze Falk Schloßer steht. Es kommt zu Auseinandersetzungen. Nana fährt unter Schock kurz nach Berlin zurück. Hier kann sie wieder in der Anonymität frei atmen und den rechten Mief hinter sich lassen. Sie hofft auch auf ein Gespräch mit ihrem Bruder Noah, mit dem sie sich vor ihrer Abreise zerstritten hat. Es gab zwischen ihnen seitdem nur Emailverkehr und aus diesem erfährt man, dass Nana noch eine ganz andere Baustelle hat, nämlich die traurige Geschichte ihrer eigenen Familie, vor deren Aufarbeitung sie bisher immer geflohen ist. Als sie Noah in Berlin nicht antrifft wird ihr klar, dass sie in Berlin ganz alleine ist und kehrt nach Grenzlitz zurück. Beim ersten Wahldurchgang am Sonntag muss sie Katja zur Seite stehen. Das Ergebnis ist unglaublich knapp.

In diesen Roman fließen die Erfahrungen der Autorin, die sie während eines mehrtägigen Aufenthalts in Görlitz gemacht hat. Sie beschreibt sehr differenziert die Lebensumstände der jungen und alten Beteiligten und dass es teilweise schwer ist, diese im Westen zu verstehen. Miteinander respektvoll (!) sprechen und versuchen, die Gemeinschaft zu retten, das sollte für alle die oberste Priorität sein.

Weggucken ist leichter

In diesem Jugendbuch wird die Geschichte von Finn und seiner Familie erzählt. Sie leben in einer mittelgroßen Stadt, ihr Leben verläuft am Anfang noch friedlich. Das ändert sich, als Finn, sein Freund Lennard und das Mädchen Sam beschließen, sich mit Likes und Kommentaren in den Sozialen Medien gegenseitig zu unterstützen, um den Bekanntheitsgrad ihrer jeweiligen Videos vergrößern. Finn sieht plötzlich zig Hasskommentare unter seinen Filmen, weil er zu Sam, deren Eltern aus Angola kommen, Kontakt hat. Seinen Eltern erzählt Finn nichts davon und versucht, diese Angriffe zu ignorieren. Parallel dazu fordert Finns Vater, der in Finns Schule Lehrer ist, die Aufklärung eines rassistischen Vorfalls. Der Direktor und einige aus der Kollegschaft tun dies als dummen Jungen Streich ab und machen nichts dagegen. Auch ein weiterer Vorfall wird heruntergespielt, worauf der Vater anonym einen Brief an die Presse schickt, in dem er die rechte Blindheit an der Schule beschreibt. Dieser Brief schlägt hohe Wellen.
Finn ist in der Schule mittlerweile immer wieder verbalen Angriffen einer rechten Clique ausgesetzt, was sich verschlimmert, als herauskommt, dass sein Vater den Brief geschrieben hat. Er wird bedroht und schikaniert, sein Freund und andere Mitschüler ziehen sich zurück, selbst einige Lehrer sind ihm gegenüber nicht neutral.
Der Bekanntheitsgrad des Vaters steigt durch einen Fernsehauftritt und die Situation eskaliert. Es stehen Wahlen an und der Kandidat der rechten „WIR“ Partei wird der neue Bürgermeister. Am Haus der Familie taucht zuerst ein Hakenkreuz aus, dann wird der Garten verwüstet. Die Polizei nimmt die Anzeigen nur widerwillig auf, für sie sind es Lappalien. Nur wenige Nachbarn unterstützen die Familie, für die meisten Bewohner der Stadt werden die Eltern immer mehr zu unerwünschten Personen. Auf dem Sportplatz wird Finn von vier Männern aus dem Lager des Bürgermeisters gezielt mit Baseballschlägern bedroht. Dank einer Gruppe anderer Sportler, die sich vor Finn stellen, kommt es nicht zu einer Auseinandersetzung. Auch hier findet die Polizei Gründe, nicht einzuschreiten.
Das Buch hat kein Happyend, denn die Familie fühlt sich nicht mehr sicher und zieht in eine andere Stadt.

Der Autor schreibt zumeist aus der Sicht von Finn und dies ohne Schnörkel oder Anbiederung an die Jugendsprache. Das Buch ist spannend zu lesen und mit voranschreitender Handlung nimmt das ungute Gefühl zu. Es wird weggeschaut, sei es aus Gleichgültigkeit, Angst oder dem Sympathisieren mit rechtem Gedankengut. Glücklicherweise gibt es aber auch immer wieder Szenen, in denen Menschen Zivilcourage beweisen und sie zeigen den Weg, wie man Rechtspopulisten in die Schranken weisen kann.

Ein Buch, das nicht nur für Jugendliche ( ab 13) geschrieben ist. Man kann es in der Familie oder in der Schule als Grundlage für Gespräche nehmen, in denen es auch um die eigene Einstellung zum Rechtspopulismus geht.