Jürgen Ploog- der Grandseigneur der deutschen Untergrundliteratur

Ich arbeitete Ende der 70er Jahre in der damals größten Buchhandlung Deutschlands, dem Stern Verlag in Düsseldorf. Die Bücher der berühmten amerikanischen Autoren der Beat Generation Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs fand man dort nur vereinzelt im Regal, denn zu dieser Zeit hatten diese Schriftsteller hauptsächlich Leser und Leserinnen, denen das „Establishment“ suspekt war und die den Wunsch nach Freiheit und Veränderung hatten. Noch weniger präsent waren deutsche Autoren, die ähnliche Gedanken in ihren Büchern verfolgten. Peter Paul Zahl, Jörg Fauser oder Rolf Dieter Brinkmann wurden vom Feuilleton manchmal besprochen, aber die Autoren aus Verlagen wie z.B. Rotbuch, März oder Maro ignorierte man gerne. Die Inhalte waren „nicht lesbar“ oder entsprachen nicht dem bürgerlichen Weltbild der 60er bis 80er Jahre. Die Autoren mussten um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Es gab allerdings eine Ausnahme…

Jürgen Ploog (1935 bis 2020) hatte schon in jungen Jahren beschlossen, sein Leben dem Schreiben zu widmen und herauszufinden, welche Welten sich mit der Sprache erschließen lassen. Im Gegensatz zu seinen Mitstreitern entschied er sich, eine Ausbildung zum Piloten zu machen und flog danach 33 Jahre für die Lufthansa. Das machte ihn finanziell unabhängig und ihm war es egal, ob seine Bücher sich verkauften. Bedingt durch seine Arbeit, war er oft in New York und wurde ein guter Freund von William S. Burroughs. Damit war er am „Puls“ der amerikanischen Beatbewegung und lernte bei Burroughs eine Cut-up Technik kennen. (Techniken, bei der ein bestehender Text zerschnitten und zufällig neu zusammengesetzt wird, um einen neuen Text zu erschaffen). Das neue Zusammensetzen der Wörter spült Unbekanntes aus dem eigenen Innenleben an die Oberfläche und dies wurde für Jürgen Ploog für viele Jahre der Weg, seine Texte zu schreiben.
Kämpften deutsche Untergrundautoren mit den grauen Alltagserlebnissen und dem deutschen Politikmief, konnte Jürgen Ploog durch seinen Beruf auf Beobachtungen zurückgreifen, die er weltweit machte. Auf einem Markt in Bangkok, in einer Bar in Tokio, im Supermarkt in Chicago… Sein Unterbewusstsein speicherte jeden Eindruck und er floss in seine Texte mit ein.
Dies alles machte ihn zu einer charismatischen Gestalt in der alternativen Literaturszene. Dass Ploog gutaussehend, immer freundlich und höflich, also quasi ein Gentleman war, unterstützte noch seinen Ruf als „Grandseigneur“.

In dem Buch erinnern sich Wegbegleiter an Jürgen Ploog, Tagebucheinträge und E-Mail Verkehr sind zu lesen, auch findet man einige Textauszüge aus seinen Büchern. Auf die legendäre Literaturzeitung „Gasolin 23“, deren Mitherausgeber Ploog 14 Jahre lang war, wird eingegangen, Foto- und Bildmaterial (Jürgen Ploog malte auch) ergänzen die Texte.

Ob ich Jürgen Ploog einmal begegnet bin? In den ersten Jahren meines Lebens als Buchhändlerin besuchte ich neben der Frankfurter Buchmesse auch einmal die Mainzer Minipressen Messe, die zur selben Zeit stattfand. Hier präsentierten sich damals über 100 Verlage, die den Mainstream nicht bedienten. Als junge Frau hätte ich ihm nicht viele Fragen stellen können, zu unterschiedlich waren die Lebenswelten. Heute wäre das anders. Bei den abgedruckten E-Mails sind auch einige dabei, die Ploog in den letzte Jahren seines Lebens geschrieben hat. In ihnen nimmt er Stellung zu unserer heutigen Welt und schreibt Kluges.

Diese Buchbesprechung ist einfach gestrickt und entspricht nicht dem geistigen Level des Buches oder anderen bereits erschienen Buchbesprechungen. Aber vielleicht habe ich sie neugierig gemacht auf diesen Autoren oder auf die Zeit, in der es noch Untergrundliteratur gab.

Hier eine zweite Buchbesprechung: https://www.welt.de/kultur/article689eddd7cf5f0271ccd53954/Juergen-Ploog-Der-Pilot-der-die-Avantgarde-nach-Frankfurt-brachte.html

Von Slipknot Binding zu Ukiyo und Shibui

Im März besuchte ich einen Workshop zum Thema Buchbinden. Seitdem habe ich viele Ideen gesammelt und es kribbelte mir schon länger in den Fingern, mich ohne Hilfe an ein kleines Buchprojekt zu wagen.
Das A und O bei der Buchherstellung ist die Bindung bzw. Klebung. Ich wollte nichts Aufwendiges machen und versuchte mich deshalb in der Slipknot Bindetechnik.

Dazu nahm ich Blankospielkarten. Im Gegensatz zum Video wollte ich erst einmal die Bindung ausprobieren, bevor ich gestaltete Karten mit der Bindung verhunzte.

Das Löchern mit einer Ahle ist nicht schwer. Im Video gefielen mir die großen Löcher nicht so gut für die kleinen Karten und ich musste einen Faden finden, der doppelt durch ein Loch gezogen werden konnte. Letztendlich nahm ich Zwirn. Sicherlich nicht optimal, da der etwas steife Faden durch die Aufwicklung sich krümmte. Aber es funktionierte.

Mit welchem Inhalt sollte ich nun das Büchlein füllen?
Ich entschied mich, in dem Büchlein japanische Wörter, zu denen es in deutscher Sprache keine Entsprechung gibt, zu illustrieren. Es gibt noch mehr Wörter, vielleicht mache ich demnächst noch einen zweiten Band.

Das ist ein kleiner Eindruck:

Der Stempel auf dem Deckblatt hat die Bedeutung „Man gewinnt immer etwas, wenn man ein Buch öffnet.“

Wer sich für die Wörter interessiert, hier eine Auflistung (Gefunden auf den Internetseiten ego.FM und familie.de):

Shouganai 

Der Begriff bedeutet so viel wie „es ist nun mal so“ oder „dagegen kann man nichts machen“ und soll daran erinnern, Dinge zu akzeptieren, auf die man keinen Einfluss hat. Das erspart unnötige Sorgen. 

Ukiyo

…heißt so viel wie „die fließende Welt“ und beschreibt das Konzept, im Hier und Jetzt zu leben und Augenblicke voll und ganz zu genießen, ohne an die Vergangenheit oder die Zukunft zu denken.

Komorebi

Komorebi beschreibt das Naturschauspiel von Licht und Schatten, wenn sich Sonnenstrahlen ihren Weg durch Baumkronen und Blätter suchen:

Boketto 

Boketto beschreibt ein ausdrucksloses in die Ferne Starren, zum Beispiel wenn man tagträumt oder sich in tiefen Gedanken verliert.

Kogarashi

Als Kogarashi wird der erste kalte Wind bezeichnet, der den Winter ankündigt und ein Zeichen dafür ist, dass die letzten warmen Herbsttage vorbei sind und spätestens jetzt die Mützen und Schals aus dem Keller geholt werden sollten.

Tsundoku 

…beschreibt den Vorgang, ein neu gekauftes Buch nicht zu lesen, sondern es einfach zu den anderen neuen Büchern auf einen Stapel zu legen, sodass sich immer mehr ungelesene Bücher ansammeln. Für dieses Phänomen gibt es viele Gründe, vielleicht fehlt einem die Zeit zum Lesen oder man hat sich nur vom schönen Cover blenden lassen oder man muss erst noch dieses eine Buch fertig lesen, dass man vor drei Jahren angefangen hat.

Mono-no-Aware

Der Ausdruck kann am besten mit dem Anblick von Kirschblüten umschrieben werden. Man weiß, dass das schöne Bild nur ein paar Tage hält, bevor die Blüten verblühen – doch gerade dieses Wissen macht die Blüten noch schöner. Genau dieses Gefühl der Wehmut über die Freude, aber gleichzeitig auch die Vergänglichkeit der Schönheit beschreibt Mono-no-

Shibui

Eigentlich bezeichnet Shibui den Geschmack „anregend bitter“, im übertragenen Sinne steht es aber für alte Dinge, die Erwachsene Menschen gut finden, weil sie Erinnerungen an ihre Jugend oder Kindheit wecken. Das können ganz verschiedene Sachen sein, zu der jüngere Menschen keinen Bezug mehr haben, zum Beispiels Musik, Spiele oder Kleidung.

Yoisho

Das Wort „yoisho“ sagt man, wenn man sich nach einem harten Arbeitstag auf einen Stuhl oder die Couch fallen lässt, ähnlich zu einem langen Seufzen oder einem tiefen Ausatmen, das signalisiert, dass jede Menge Last und Schwere – zumindest für den Moment – abfallen.

Ikigai

Die freie Übersetzung wäre „das, wofür es sich zu leben lohnt“ oder „das Gefühl, etwas zu haben, für das es sich lohnt, morgens aufzustehen“. Das eigene Ikigai zu finden, kann einen intensiven Selbstfindungsprozess benötigen, führt aber zu einer grundsätzlichen Zufriedenheit und Erfüllung im Leben.

Natsukashii

Natsukashii beschreibt das positive Gefühl, das einsetzte, wenn man etwas Schönes nach langer Zeit wieder erlebt, schmeckt, hört oder fühlt. Auch bei diesem Begriff wird die Verbundenheit der japanischen Kultur zu Vergangenem und Vergänglichkeit deutlich.

Otsukaresama“ soll Anerkennung und Dankbarkeit für die harte Arbeit ausdrücken, die sich jemand macht. 

Kuchisabishii ist eine Bezeichnung dafür, keinen Hunger zu haben, aber trotzdem zu naschen, weil der Mund sich „einsam“ fühlt.

Semishigure“ beschreibt das laute Singen der Zikaden im Sommer, das sich wie ein feiner Regenschauer anhört.

„Nekobanban“ beschreibt die vorbildliche Angewohnheit, auf das Autodach zu klopfen, bevor man einsteigt und losfährt. So werden Katzen vertrieben, die sich eventuell zwischen den Rädern verstecken und beim Losfahren verletzt werden können.

„Irusu“ = Vorgeben, nicht zu Hause zu sein und die Lichter nur versehentlich angelassen zu haben.“ 

Als „Hikikomori“ bezeichnet man eine Person, die sich der Gesellschaft vollständig entzieht. 

„Age-Otori“ bedeutet, nach einem neuen Haarschnitt (noch) schlimmer auszusehen als zuvor.

Mal kurz das Grau vergessen…

Wir haben Bekannte, die große Indienfans sind und die uns mit Fotos versorgen. Passend zu indischen Weisheiten und Sprichwörtern habe ich ein paar Bilder herausgesucht, die aus ihrem oder unserem Fundus stammen oder die ich auf Pixabay entdeckt habe. Hauptsache bunt und/oder ein bisschen lustig, um unseren grauen Dezember kurz zu vergessen…

Auf geht‘s!

Wenn dein Kopf heil ist, kannst du tausend Turbane haben.

Lebst du im Fluss, so solltest du mit dem Krokodil Freundschaft schließen.

“Der Mensch bringt täglich sein Haar in Ordnung, warum nicht auch sein Herz?“

„Wo Elefanten sich bekämpfen, hat das Gras den Schaden.“

Sind die Kinder klein, müssen wir ihnen helfen, Wurzeln zu fassen. Sind sie aber groß, müssen wir ihnen Flügel schenken.“

„Wer nicht tanzen kann, (behauptet) der Hof sei schief.“

“Schildkröten können mehr über die Straße erzählen als Hasen.“

„Hände, die helfen, sind heiliger als Lippen, die beten.“


„Geduld verlieren heißt Würde verlieren.“

“Wenn Ihr eure Türen allen Irrtümern verschließt, schließt ihr die Wahrheit aus.“

„Die Rose ist unendlich viel mehr als nur eine errötende Entschuldigung für ihre Dornen.“

„Geh’ zum Haus deines reichen Freundes, wenn du gerufen bist; zum Haus des armen geh’ ungerufen.“

„Die Größe eines Menschen liegt nicht in seinem Besitz, sondern in seiner Einfachheit.“

„Die Stille ist nicht auf den Gipfeln der Berge, der Lärm nicht auf den Märkten der Städte, beides ist in den Herzen der Menschen.“

„Das Lächeln, das du aussendest, kehrt zu dir zurück.“

Die Stammkundin ( Vom Wegwerfen Teil 3)

Mein Ausmisten dehnte sich letzte Woche auch auf unser Gartenhäuschen aus. Hier stapelten sich diverse Plastikblumentöpfe. Auch ihnen widme ich vor dem Wegwerfen zur Erinnerung eine kleine Geschichte mit einem wahren Kern.

Die Stammkundin

Dora Trolliger betonte bei jeder Gelegenheit, dass sie eine Stammkundin sei. Im Friseursalon war das vielleicht nicht so verwunderlich, schließlich hatte sie dort eine persönliche Kundenkarte, auf dem die Mischung ihrer Haarfärbung vermerkt war. Alle vier Wochen ließ sie dort einen dreistelligen Betrag, um ihr staubgrauen Haare von einem Tizianrot mit dezenten Goldsträhnchen überdecken zu lassen. Hatte Frau T. eine Sitzung, lagen neben einem Glas Sekt, ( es durften auch schon mal zwei oder drei sein), die neusten Modemagazine für sie bereit. Gerne nahm Frau T. sich diese dann nach der Sitzung mit nach Hause.
Beim Metzger hatte Dora Trolliger jeden zweiten Samstag ihren Auftritt. Sie hätte es als angemessene Geste goutiert, wenn man ihr dort den roten Teppich ausgerollt hätte. Aber gut, das konnte man wohl nicht von Leuten erwarten, die sich täglich ihre Hände blutig machten. Aber ein „interner Rabatt“ ließ sie bei jedem Besuch wohlwollend verkünden, dass sie nur in dieser Metzgerei kaufen würde, hier gäbe es das beste Fleisch.
Auch die Buchhandlung war ihr Einundalles und sie würde jedes Buch ausschließlich nur hier bestellen, das erzählte sie der anwesenden Kundschaft in ganzer epischen Breite. Dafür reklamierte sie für sich, dass sie jedes Buch erst einmal zur Ansicht kommen ließ und auf Rechnung einkaufte mit einem Zahlungsziel mit Goldsternchen. Sie hatte Vera, die Besitzerin der Buchhandlung, inzwischen soweit erzogen, dass diese, sobald Frau T. den Laden betreten hatte, sofort einen Cappuccino brachte, natürlich frisch geröstet, ein bisschen Mühe konnte man als Stammkundin wohl erwarten. Einmal hatte eine neue Angestellte es gewagt, ein Kaffeepad zu benutzen, Frau T. wunderte sich nicht, das dieses junge Ding bald verschwunden war.

Dora Trolliger war die Frau des Bürgermeisters in N., einer kleinen Stadt im schönen Münsterland. Das Netzwerk der Frau Bürgermeisterin hätte jede Spinne neidisch gemacht. Wen wundert es, dass man in den Geschäften Doras spezielle Wünsche und ihre Arroganz gepaart mit Bauernschläue und falscher Freundlichkeit ertrug? Nur ein Fingerschnippen von Dora würde genügen, um ein Geschäft in N. dank abnehmender Kundensequenz in den Ruin zu treiben.

Frau T. war auch Stammkundin bei der Gärtnerei „Bunt und dufte“ , aber seit einiger Zeit war sie das ungern.
Imke Wille war Inhaberin dieser kleinen Gärtnerei, die sich auf Pflanzenraritäten spezialisiert hatte. Neben den Laufkunden hatte sie über ihren Onlineshop deutschlandweit Gartenliebhaber als treue Kunden. So konnte ihre kleine Gärtnerei in der Nachbarschaft von mehreren Gartencentern bestehen und Imke Wille hatte ihr Auskommen. 
Dora Trolligers Garten musste repräsentieren. Sie kaufte die Gartenblumen üblicherweise in den Gartencentern und überließ das Einpflanzen und Pflegen ihrem Gärtner. Aber zweimal im Jahr fand das „Wochenende der offenen Gärten“ statt. Es verstand sich von selbst, dass sie und ihr Mann daran teilnahmen, aber zu diesem Anlass brauchte sie das besondere Grün und das gab es nur bei Imke Wille.
Es war jetzt fast zwei Jahre her, dass Dora einen Zacken in ihrer Stammkundinnenkrone verloren hatte. In den ersten Jahren konnte sie mit Imke Wille umspringen wie es ihr gefiel, doch dann war der Nachmittag gekommen, als sie ihren Gärtner losgeschickt hatte, um zwei vorbestellte Erdbeerbäume abzuholen. Der Gärtner hatte auf ihre Anweisung hin die gesammelten leeren alten schwarzen Plastikblumentöpfe aus dem alten Gewächshaus mitgenommen. Imke Wille nahm diese zurück, das wusste Dora.
Nach einer Stunde war ihr Gärtner zurück gekommen. Auf der Ladefläche des Pick Ups standen die beiden Bäume, aber auch fast alle Plastiktöpfe. „Schönen Gruß von Frau Wille. Die runden Töpfe nimmt sie nicht zurück, die seien von ihrer Konkurrenz, sie hätte nur rechteckige Töpfe. Aber das könnte man ja als alte Stammkundin schon mal vergessen….“.

Treffen sich zwei Nachbarinnen im Hausflur- Wegwerfen Teil 2

Seit zwei Wochen lese ich dieses Buch.

365 Geschichten für ein Jahr…Jede Geschichte ist ca. 1 1/2 Seiten lang und am Ende jeder Geschichte habe ich das Lesegefühl, das ich auch bei Haikus habe, man kann die Geschichten weiterdenken.
Wie ich Ihnen am Montag schrieb, treibt mich z.Zt. das Thema Wegwerfen um und gestern kam mir unter dem Einfluss meiner Abendlektüre folgender Gedanke:“ Warum nicht mal eine Geschichte über etwas schreiben, dass du wegwerfen willst?“ Gedacht, getan.
Im Badezimmer sammeln sich bei mir seit Jahren in einem Kästchen Proben aus Apotheken, Parfümerien oder Drogerieketten. Ich freue mich immer darüber, hebe sie auf, benutze sie nie, so dass sie irgendwann eintrocknen oder verdunsten. Dieses Kästchen habe ich nun komplett entsorgt und hier die passende Geschichte dazu:

Gut gemeint

Draußen war es grau, ein paar Schneeflocken trudelten zur Erde und ich schleppte mich im Home Office durch den Morgen.
Da klingelte es an der Wohnungstür. Durch den Spion sah ich meine Nachbarin Frau Schmied und öffnete die Tür.
„Ach Frau Hansen, dass ist wirklich nett, dass Sie mein Päckchen angenommen haben. Ich bin ja sonst immer da, aber heute früh musste ich zu meiner Schwester. Ihrem Wellensittich geht es nicht gut und sie macht sich große Sorgen. Na ja, Ticki ist ja auch schon 9 Jahre alt, also nicht mehr der jüngste. Aber wird schon. Und sonst schenke ich Elisabeth zu Weihnachten einen neuen Piepmatz. Vielleicht mal zur Abwechslung einen Kanarienvogel, die singen ja immer so schön. Ohne Vogel kann sie ja nicht, hat ja sonst auch niemanden außer mich. Ach, ich plappere schon wieder…“ Ich nickte nur mit dem Kopf und gab Frau Schmied ihr kleines Päckchen. Frau Schmied legte es auf den Flurboden und fing an, in ihrer speckigen braunen Handtasche zu kramen. Dabei brabbelte sie vor sich hin. „Ich habe noch etwas für Sie! Warten Sie…Wo ist sie denn? Ah…Hier, als kleines Dankeschön! Mache ich auch jede Woche einmal und es hat bisher nicht geschadet, oder?“ Mit eine breiten Lächeln und strahlenden blauen Augen überreichte sie mir ein Tütchen, das eine Maskencreme gegen Falten beinhaltete. „Sie sehen in letzter Zeit so blass aus und ihre Haut erinnert mich immer an meinen alten Lampenschirm aus Japanpapier. Sie müssen mal ein bisschen mehr auf sich achten, mit 42 ist man ja auch nicht mehr ganz so taufrisch.“
Frau Schmied nahm ihr Päckchen vom Boden, drehte sich um, ging zu ihrer Wohnungstür und schloß auf.
„Wenn Ihnen die Maske gefällt, die gibt es im 10er Pack für 2,99 bei Gangelbach in der Hochstraße. Schönen Tag noch!“
Bevor ich etwas entgegnen konnte, war sie in ihrer Wohnung verschwunden. Ich ging langsam in meine Wohnung zurück und setzte mich an den Küchentisch. Gerade wurde in mir ein Kampf ausgetragen zwischen Staunen, Empörtsein und Dankbarkeit. 
Die Dankbarkeit siegte. Frau Schmied war 84 und durfte so sein wie sie war, schnäbbelig, direkt, dabei aber immer freundlich. Und ja, sie sah tatsächlich eher wie 74 aus und vielleicht trug die wöchentliche Maske dazu bei. 
Ich nahm ihr kleines Dankeschön als Fingerzeig, brühte mir einen Kaffee auf, und verteilte danach die Maske auf meinem Gesicht. Sie duftete nach Erdbeeren und ich schloß die Augen und atmete tief ein und aus: Erdbeerkuchen, Erdbeereis, Erdbeeren im Wald finden, Erdbeeren im Garten pflanzen, Erdbeermarmeladenfleck auf meinem neuen Sonntagskleid, als ich sieben Jahre als war…Ich wurde immer jünger!

Oktoberabschied

Rose nickt mir zu
und schickt mir liebe Grüße
vom letzten Sommer

Intensiver Duft
im traurigen Haus dank der
Engelstrompete

Herbstspaziergänge- mal so…

Ein Pfützenpilz steht
rechts am Weg. Wer hat wohl schon
aus ihm getrunken?

Zwei Heukumpane-
großzügig verteilen sie
die gute Laune.

Farbkastenblätter-
Inspiration für schöne
Wintermalstunden

Oder mal so….

Und heute, am Ende des Monats, wird gefeiert-Happy Halloween!

Und was bringt der November?

Der Monat der Trauer und Melancholie…

Auf die Gesundheit muss man besonders achten!

Aber man darf sich auch freuen auf kuschelige Tage:

Ja und dann sind da noch der „Suchtlappen“ und das „Ding“, mit denen man sich vergnügen kann. Darüber mehr im nächsten Beitrag.

817 besondere Momente

Der Autor Richard Wright ( 1908 bis 1960) war der erste afroamerikanische Schriftsteller, der in seinem Buch „Native Son“ schonungslos über Rassismus und Gewalt schrieb und damit viel Furore machte und später für Schriftsteller wie James Baldwin oder Chester Himes zum Vorbild wurde. Auf Reisen in Asien entdeckte er das Haiku und mit dieser Gedichtform beschäftigte er sich in den letzten Jahren seines Lebens, die durch schwere Krankheit gezeichnet waren.
Kurz zur Erinnerung: Ein Haiku besteht aus drei Zeilen, die Wörter haben in der ersten Zeil 5, in der zweiten 7 und in der dritten Zeile wieder 5 Silben. Ein Haiku widmet sich der Naur und im Kopf des Lesers sollte ein kleiner Film ablaufen, wenn er ein Haiku gelesen hat.

Die Apfelblüte
Erzittert im Sonnenlicht
Vom Bienengewicht.

Richard Wright schenkt uns mit seinen Haikus einen wunderbaren Naturkosmos.Wo kann man unerwartet Natur entdecken? Was machen wir mit der Natur? Was macht Natur mit uns Menschen, was mit der Stadt?

Diesen Block runter,
dann rechts, dort triffst du einen
Blühenden Pfirsich.

Tages- und Jahreszeiten, Temperaturen, das Wetter, Blumen, Obst und Gemüse, Tiere, Düfte- alle bieten dem Autor Themen für seine Haikus.

Feuchte Spinnweben,
Die Katze schleckt sich pingelig,
Zwischen den Zehen.

Blue Jazz im Mietshaus
Der Herbstnebel gewoben
Von der Trompete.

Zeigen manche Haikus neutral eine Momentaufnahme in den Bergen, auf dem Feld oder am Meer, gibt es einige andere Zeilen, die auch etwas verstörend sein können. Da tauchen immer mal wieder ein Blinder , ein totes Mädchen oder ein Fremder im Dorf auf. Die meisten Gedichte sind jedoch heiter oder melancholisch und sind mit viel Lebensweisheit geschrieben.

Mit Nasezucken,
Liest ein Hund ein Telegramm
An dem nassen Stamm.

Den Arzt verlassend,
Schaut die Welt ganz anders aus,
An dem Herbstmorgen.

Die Haikus in diesem Buch sind nicht wie in vielen anderen Büchern nach Jahreszeiten geordnet und so kann man das Buch kreuz und quer zu jeder Jahreszeit genießen- vielleicht zwei Haikus als Betthupferl vor dem Schlafengehen?

Zwei Rosenblätter-
sind sie Vorboten für die
duftende Schönheit?

Nach Erde duftend
noch meine beiden Hände
über dem Waschbecken
( Geschrieben nach einem regenfreien Nachmittag im Garten).

Auf der Fahrt nach Finsterwalde

Letzten Montag fuhren wir für ein paar Tage quer durch Deutschland Richtung Osten. Unsere erste Übernachtung war im brandenburgischen Finsterwalde. Hier ein paar Beobachtungen, die ich als Beifahrerin auf dem Weg gemacht habe. Los geht es in Dortmund:

9.30Uhr
„Ich bin voller Ideen“- steht auf dem Dortmunder Ruhrschnellweg am oberen Rand eines Tunnels
Ein geflügeltes schwarz-gelbes Nashorn mit BVB Emblem im Vorgarten eines Hauses
Ein Mann putzt bei strömendem Regen an einem Hochhaus ein Fenster
Am Straßenrand ein Sandhügel, der oben bewachsen ist. Sieht aus wie die Haarpracht eines Elefantenjungen

An einer Halle steht „Stiftung Kinderglück“, gegenüber eine mit Goldstreifen veredelte Lärmschutzwand
Wellige Felderlandschaft mit einer ausgedünnten Allee in der Ferne, einem Hochstand und einem Hasen, der von links nach rechts Richtung abgedeckter Strohballen hoppelt
Vertrocknete und verschrumpelte Sonnenblumen als Vergangenheitsboten
Zwischen sich gemächlich drehenden Windrädern steht eine kleine alte Scheune mit rotem Dach, ein Stück weiter ein verlorener Baum zwischen einem Sonnenkollektorenfeld. Schafe grasen dort und suchen Schutz unter den Solarmodulen.
Auf einer Brücke über die Autobahn zwei walkende Frauen in pink und gelb-zwei willkommene Farbtupfer
Die Autobahn als Windradallee
Abgestorbene Fichten neben einer Aufforstung mit kleinen Tannen
Landschaft mit zwei Vulkankegeln, der graue Regenhimmel dahinter etwas heller
Die Sababurg- wohnt dort noch Dornröschen?
Rot-weiße Windfahne warnt vor: Heftiger Windstoß auf der Talbrücke Breuna
Verlassener Wohnwagen an einem Feldweg

11 Uhr
„Keine Bauern-kein Bier“ Verpackte Heuballen dienen als Schreibunterlage
Hinter Kassel eine Villa mit blauem Satteldach und weißer Aufschrift- Besitzer mit einem Fußballherz hat Gelsenkirchener Wurzeln
Schlapper Glitzerluftballon, der in einem Baum hängt. Ein Smileyauge mit passendem Mundwinkel grüßt verknittert die Autofahrer
Sonnenstrahlen wärmen meine rechte Schulter, Blauerhimmelkleks im Grau
Schild „Friedland- Tor zur Freiheit“, links auf einem Berg die Spitzen einer Skulptur, versteckt hinter Bäumen
„Willkommen in Thüringen“ – wirklich?
Wachturmruinen
Leere Autobahn Richtung Halle- Tummelplatz für freie Fahrer –
BER-TA 429 is the Winner
Das dickmachende M-für uns nur ein WC Zeichen

Roterdige Abraumhalde mit leichtem Birkenbewuchs
Eine Damwildgruppe unter Bäumen mit Mispelballen
Willkommen in Sachsen-Anhalt #moderndenken
Erneut Abraumhallen, deutsche Pyramiden

Viiiieeeel Platz!
Keine Menschen, weder Bauern, noch Spaziergänger oder Jäger auf den Feldern, dafür eine Gruppe Schwäne
Und weiße Fahrräder am Straßenrand, die sich mit kleinen mit Plastikblumen geschmückten Kreuzen abwechseln-Alex-Sina-Elmo-Petra

13.50Uhr
Willkommen in Sachsen!
Wandbild „Stolz auf meine Heimatstadt“
Tattoostudio „La Tortura“ und ein Friseursalon „Der Haardieb“
Geduldiges Hinterherzöckeln 

Gruppen mit gewittergeschädigten Bäumen auf Feldern, zerfallene Häuser mittendrin.
Pause in Torgau. Stille Stadt mit imposantem Schloss.

Oben links: Teilansicht vom Marktplatz, rechts daneben und unten links Eindrücke vom Schloss Hartenfels aus dem 16. Jahrhundert. Unten rechts das „Denkmal der Begegnung“, ein Friedensmahnmal zu Ehren amerikanischer und russischer Soldaten, die sich am 25.April 1945 hier getroffen haben.
Die freitragende Treppe im großen Wendelstein an der Hoffront im Schloss hat es mir besonders angetan.

Willkommen in Brandenburg!
Lausitzer Landschaftsleere mit Greifvögeln am Himmel
Fahrt durch versprengte Dörfer a) mit Farbanstrich, b) ohne Farbanstrich oder c) ein rotes Haus zwischen grauen Maushäusern. Ich habe im Ohr, wie Dorfbewohner sich die Mäuler über dieses rote Haus zerreißen.


Kleiner Fuchs auf der Straße, überfahren
Vorbei an einem großen Pferdegestüt, Erinnerung an Gräfin von Döhnhoff
Alte Bockwindmühle, Milchkühe herumdrapiert
Von 1-5: Es gilt die Gefahrenstufe 3 eines Waldbrandes, so zeigen es verschiedene Schilder an.
Tag der offenen Tür auf dem Straußenhof am nächsten Sonntag
Endlich in Finsterwalde! Ein betriebsames Städtchen mit schönen Ecken.

Seit letzter Woche gehört die Sängertradition von Finsterwalde zu dem immateriellen Kulturgütern der UNESCO.

Alle zwei Jahre treffen sich Chöre aus vielen verschiedenen Ländern in diesem Ort- ein Festival, das zeigt, wie unterschiedlich Chormusik sein kann.

In Finsterwalde besuchten wir Bekannte, unser zweites Ziel war Halle, wo wir mehrere Tage wohnten. Was wir uns dort und in der Umgebung angesehen haben, darüber erzähle ich Ihnen in weiteren Beiträgen.

Wortrecycling zum Ende der Buchmesse

Gestern ging die Frankfurter Buchmesse zu Ende. Ich war nicht dort, doch hörte ich einige Berichte im Radio und las auch diverse Zeitungsartikel. Das hinterließ bei mir wohl im Unterbewusstsein Spuren, denn beim Wortrecyceln entstanden folgende Fragen: