Seit zwei Wochen lese ich dieses Buch.
365 Geschichten für ein Jahr…Jede Geschichte ist ca. 1 1/2 Seiten lang und am Ende jeder Geschichte habe ich das Lesegefühl, das ich auch bei Haikus habe, man kann die Geschichten weiterdenken.
Wie ich Ihnen am Montag schrieb, treibt mich z.Zt. das Thema Wegwerfen um und gestern kam mir unter dem Einfluss meiner Abendlektüre folgender Gedanke:“ Warum nicht mal eine Geschichte über etwas schreiben, dass du wegwerfen willst?“ Gedacht, getan.
Im Badezimmer sammeln sich bei mir seit Jahren in einem Kästchen Proben aus Apotheken, Parfümerien oder Drogerieketten. Ich freue mich immer darüber, hebe sie auf, benutze sie nie, so dass sie irgendwann eintrocknen oder verdunsten. Dieses Kästchen habe ich nun komplett entsorgt und hier die passende Geschichte dazu:
Gut gemeint
Draußen war es grau, ein paar Schneeflocken trudelten zur Erde und ich schleppte mich im Home Office durch den Morgen.
Da klingelte es an der Wohnungstür. Durch den Spion sah ich meine Nachbarin Frau Schmied und öffnete die Tür.
„Ach Frau Hansen, dass ist wirklich nett, dass Sie mein Päckchen angenommen haben. Ich bin ja sonst immer da, aber heute früh musste ich zu meiner Schwester. Ihrem Wellensittich geht es nicht gut und sie macht sich große Sorgen. Na ja, Ticki ist ja auch schon 9 Jahre alt, also nicht mehr der jüngste. Aber wird schon. Und sonst schenke ich Elisabeth zu Weihnachten einen neuen Piepmatz. Vielleicht mal zur Abwechslung einen Kanarienvogel, die singen ja immer so schön. Ohne Vogel kann sie ja nicht, hat ja sonst auch niemanden außer mich. Ach, ich plappere schon wieder…“ Ich nickte nur mit dem Kopf und gab Frau Schmied ihr kleines Päckchen. Frau Schmied legte es auf den Flurboden und fing an, in ihrer speckigen braunen Handtasche zu kramen. Dabei brabbelte sie vor sich hin. „Ich habe noch etwas für Sie! Warten Sie…Wo ist sie denn? Ah…Hier, als kleines Dankeschön! Mache ich auch jede Woche einmal und es hat bisher nicht geschadet, oder?“ Mit eine breiten Lächeln und strahlenden blauen Augen überreichte sie mir ein Tütchen, das eine Maskencreme gegen Falten beinhaltete. „Sie sehen in letzter Zeit so blass aus und ihre Haut erinnert mich immer an meinen alten Lampenschirm aus Japanpapier. Sie müssen mal ein bisschen mehr auf sich achten, mit 42 ist man ja auch nicht mehr ganz so taufrisch.“
Frau Schmied nahm ihr Päckchen vom Boden, drehte sich um, ging zu ihrer Wohnungstür und schloß auf.
„Wenn Ihnen die Maske gefällt, die gibt es im 10er Pack für 2,99 bei Gangelbach in der Hochstraße. Schönen Tag noch!“
Bevor ich etwas entgegnen konnte, war sie in ihrer Wohnung verschwunden. Ich ging langsam in meine Wohnung zurück und setzte mich an den Küchentisch. Gerade wurde in mir ein Kampf ausgetragen zwischen Staunen, Empörtsein und Dankbarkeit.Â
Die Dankbarkeit siegte. Frau Schmied war 84 und durfte so sein wie sie war, schnäbbelig, direkt, dabei aber immer freundlich. Und ja, sie sah tatsächlich eher wie 74 aus und vielleicht trug die wöchentliche Maske dazu bei.Â
Ich nahm ihr kleines Dankeschön als Fingerzeig, brühte mir einen Kaffee auf, und verteilte danach die Maske auf meinem Gesicht. Sie duftete nach Erdbeeren und ich schloß die Augen und atmete tief ein und aus: Erdbeerkuchen, Erdbeereis, Erdbeeren im Wald finden, Erdbeeren im Garten pflanzen, Erdbeermarmeladenfleck auf meinem neuen Sonntagskleid, als ich sieben Jahre als war…Ich wurde immer jünger!