Die Stammkundin ( Vom Wegwerfen Teil 3)

Mein Ausmisten dehnte sich letzte Woche auch auf unser Gartenhäuschen aus. Hier stapelten sich diverse Plastikblumentöpfe. Auch ihnen widme ich vor dem Wegwerfen zur Erinnerung eine kleine Geschichte mit einem wahren Kern.

Die Stammkundin

Dora Trolliger betonte bei jeder Gelegenheit, dass sie eine Stammkundin sei. Im Friseursalon war das vielleicht nicht so verwunderlich, schließlich hatte sie dort eine persönliche Kundenkarte, auf dem die Mischung ihrer Haarfärbung vermerkt war. Alle vier Wochen ließ sie dort einen dreistelligen Betrag, um ihr staubgrauen Haare von einem Tizianrot mit dezenten Goldsträhnchen überdecken zu lassen. Hatte Frau T. eine Sitzung, lagen neben einem Glas Sekt, ( es durften auch schon mal zwei oder drei sein), die neusten Modemagazine für sie bereit. Gerne nahm Frau T. sich diese dann nach der Sitzung mit nach Hause.
Beim Metzger hatte Dora Trolliger jeden zweiten Samstag ihren Auftritt. Sie hätte es als angemessene Geste goutiert, wenn man ihr dort den roten Teppich ausgerollt hätte. Aber gut, das konnte man wohl nicht von Leuten erwarten, die sich täglich ihre Hände blutig machten. Aber ein „interner Rabatt“ ließ sie bei jedem Besuch wohlwollend verkünden, dass sie nur in dieser Metzgerei kaufen würde, hier gäbe es das beste Fleisch.
Auch die Buchhandlung war ihr Einundalles und sie würde jedes Buch ausschließlich nur hier bestellen, das erzählte sie der anwesenden Kundschaft in ganzer epischen Breite. Dafür reklamierte sie für sich, dass sie jedes Buch erst einmal zur Ansicht kommen ließ und auf Rechnung einkaufte mit einem Zahlungsziel mit Goldsternchen. Sie hatte Vera, die Besitzerin der Buchhandlung, inzwischen soweit erzogen, dass diese, sobald Frau T. den Laden betreten hatte, sofort einen Cappuccino brachte, natürlich frisch geröstet, ein bisschen Mühe konnte man als Stammkundin wohl erwarten. Einmal hatte eine neue Angestellte es gewagt, ein Kaffeepad zu benutzen, Frau T. wunderte sich nicht, das dieses junge Ding bald verschwunden war.

Dora Trolliger war die Frau des Bürgermeisters in N., einer kleinen Stadt im schönen Münsterland. Das Netzwerk der Frau Bürgermeisterin hätte jede Spinne neidisch gemacht. Wen wundert es, dass man in den Geschäften Doras spezielle Wünsche und ihre Arroganz gepaart mit Bauernschläue und falscher Freundlichkeit ertrug? Nur ein Fingerschnippen von Dora würde genügen, um ein Geschäft in N. dank abnehmender Kundensequenz in den Ruin zu treiben.

Frau T. war auch Stammkundin bei der Gärtnerei „Bunt und dufte“ , aber seit einiger Zeit war sie das ungern.
Imke Wille war Inhaberin dieser kleinen Gärtnerei, die sich auf Pflanzenraritäten spezialisiert hatte. Neben den Laufkunden hatte sie über ihren Onlineshop deutschlandweit Gartenliebhaber als treue Kunden. So konnte ihre kleine Gärtnerei in der Nachbarschaft von mehreren Gartencentern bestehen und Imke Wille hatte ihr Auskommen. 
Dora Trolligers Garten musste repräsentieren. Sie kaufte die Gartenblumen üblicherweise in den Gartencentern und überließ das Einpflanzen und Pflegen ihrem Gärtner. Aber zweimal im Jahr fand das „Wochenende der offenen Gärten“ statt. Es verstand sich von selbst, dass sie und ihr Mann daran teilnahmen, aber zu diesem Anlass brauchte sie das besondere Grün und das gab es nur bei Imke Wille.
Es war jetzt fast zwei Jahre her, dass Dora einen Zacken in ihrer Stammkundinnenkrone verloren hatte. In den ersten Jahren konnte sie mit Imke Wille umspringen wie es ihr gefiel, doch dann war der Nachmittag gekommen, als sie ihren Gärtner losgeschickt hatte, um zwei vorbestellte Erdbeerbäume abzuholen. Der Gärtner hatte auf ihre Anweisung hin die gesammelten leeren alten schwarzen Plastikblumentöpfe aus dem alten Gewächshaus mitgenommen. Imke Wille nahm diese zurück, das wusste Dora.
Nach einer Stunde war ihr Gärtner zurück gekommen. Auf der Ladefläche des Pick Ups standen die beiden Bäume, aber auch fast alle Plastiktöpfe. „Schönen Gruß von Frau Wille. Die runden Töpfe nimmt sie nicht zurück, die seien von ihrer Konkurrenz, sie hätte nur rechteckige Töpfe. Aber das könnte man ja als alte Stammkundin schon mal vergessen….“.

Treffen sich zwei Nachbarinnen im Hausflur- Wegwerfen Teil 2

Seit zwei Wochen lese ich dieses Buch.

365 Geschichten für ein Jahr…Jede Geschichte ist ca. 1 1/2 Seiten lang und am Ende jeder Geschichte habe ich das Lesegefühl, das ich auch bei Haikus habe, man kann die Geschichten weiterdenken.
Wie ich Ihnen am Montag schrieb, treibt mich z.Zt. das Thema Wegwerfen um und gestern kam mir unter dem Einfluss meiner Abendlektüre folgender Gedanke:“ Warum nicht mal eine Geschichte über etwas schreiben, dass du wegwerfen willst?“ Gedacht, getan.
Im Badezimmer sammeln sich bei mir seit Jahren in einem Kästchen Proben aus Apotheken, Parfümerien oder Drogerieketten. Ich freue mich immer darüber, hebe sie auf, benutze sie nie, so dass sie irgendwann eintrocknen oder verdunsten. Dieses Kästchen habe ich nun komplett entsorgt und hier die passende Geschichte dazu:

Gut gemeint

Draußen war es grau, ein paar Schneeflocken trudelten zur Erde und ich schleppte mich im Home Office durch den Morgen.
Da klingelte es an der Wohnungstür. Durch den Spion sah ich meine Nachbarin Frau Schmied und öffnete die Tür.
„Ach Frau Hansen, dass ist wirklich nett, dass Sie mein Päckchen angenommen haben. Ich bin ja sonst immer da, aber heute früh musste ich zu meiner Schwester. Ihrem Wellensittich geht es nicht gut und sie macht sich große Sorgen. Na ja, Ticki ist ja auch schon 9 Jahre alt, also nicht mehr der jüngste. Aber wird schon. Und sonst schenke ich Elisabeth zu Weihnachten einen neuen Piepmatz. Vielleicht mal zur Abwechslung einen Kanarienvogel, die singen ja immer so schön. Ohne Vogel kann sie ja nicht, hat ja sonst auch niemanden außer mich. Ach, ich plappere schon wieder…“ Ich nickte nur mit dem Kopf und gab Frau Schmied ihr kleines Päckchen. Frau Schmied legte es auf den Flurboden und fing an, in ihrer speckigen braunen Handtasche zu kramen. Dabei brabbelte sie vor sich hin. „Ich habe noch etwas für Sie! Warten Sie…Wo ist sie denn? Ah…Hier, als kleines Dankeschön! Mache ich auch jede Woche einmal und es hat bisher nicht geschadet, oder?“ Mit eine breiten Lächeln und strahlenden blauen Augen überreichte sie mir ein Tütchen, das eine Maskencreme gegen Falten beinhaltete. „Sie sehen in letzter Zeit so blass aus und ihre Haut erinnert mich immer an meinen alten Lampenschirm aus Japanpapier. Sie müssen mal ein bisschen mehr auf sich achten, mit 42 ist man ja auch nicht mehr ganz so taufrisch.“
Frau Schmied nahm ihr Päckchen vom Boden, drehte sich um, ging zu ihrer Wohnungstür und schloß auf.
„Wenn Ihnen die Maske gefällt, die gibt es im 10er Pack für 2,99 bei Gangelbach in der Hochstraße. Schönen Tag noch!“
Bevor ich etwas entgegnen konnte, war sie in ihrer Wohnung verschwunden. Ich ging langsam in meine Wohnung zurück und setzte mich an den Küchentisch. Gerade wurde in mir ein Kampf ausgetragen zwischen Staunen, Empörtsein und Dankbarkeit. 
Die Dankbarkeit siegte. Frau Schmied war 84 und durfte so sein wie sie war, schnäbbelig, direkt, dabei aber immer freundlich. Und ja, sie sah tatsächlich eher wie 74 aus und vielleicht trug die wöchentliche Maske dazu bei. 
Ich nahm ihr kleines Dankeschön als Fingerzeig, brühte mir einen Kaffee auf, und verteilte danach die Maske auf meinem Gesicht. Sie duftete nach Erdbeeren und ich schloß die Augen und atmete tief ein und aus: Erdbeerkuchen, Erdbeereis, Erdbeeren im Wald finden, Erdbeeren im Garten pflanzen, Erdbeermarmeladenfleck auf meinem neuen Sonntagskleid, als ich sieben Jahre als war…Ich wurde immer jünger!