Ein Plaudernachmittag mit Hubertus Meyer-Burckhardt

Ich gebe zu, dass ich Hubertus Meyer-Burckhardt (Jahrgang 1956) erst durch eine Quizsendung im letzten Jahr kennengelernt habe. Dort fiel er mir sehr angenehm als kluger und sehr charmanter Teilnehmer auf und so griff ich zu diesem Buch, als er mich auf dem Titelbild in der Bücherei anlachte.

2017 teilt ihm sein Arzt mit, dass er zwei Karzinome hat. Diese Nachricht wirft ihn nicht völlig aus der Bahn, aber er beginnt, sein bisheriges und sein zukünftiges Leben zu überdenken, ein Resultat daraus ist dieses Buch. Zwei Ereignisse in seiner Kindheit und Jugend waren für sein späteres Leben bedeutend: Mit 12 warf er seinen gewalttätigen Vater aus dem Haus und er wurde in der Schule fast immer von seinen Lehrern unterschätzt und klein gemacht. Das erklärt seine spätere Jagd nach Anerkennung und seine diversen Tätigkeiten als Filmproduzent, Talkmaster, Schriftsteller brachten dann auch den gewünschten Erfolg. Aber zu welchem Preis? Er reflektiert über das Altwerden und sein Verhältnis zur Zeit, das mit dem Beginn der Erkrankung sich Schritt für Schritt verändert. Auswirkung hat das beispielsweise beim Umgang mit Menschen. Er bricht Brücken ab zu alten Bekannten, denn er ist lieber alleine, als dass er sich weiterhin mit Menschen abgibt, die ihm seine kostbare Zeit rauben. Es fällt ihm schwer, sich einzugestehen, dass sich im Alter immer mehr Türen schließen, er nicht mehr „dazu gehört“. Dass es Chancen gibt, für sich neue Türen zu öffnen, diese Einsicht fehlt ihm (noch).
Meyer-Burckardt schreibt, als würde er sich mit seinem Gegenüber sehr vertraulich unterhalten. Er kommt manchmal von Höcksken auf Stöcksken und man erfährt dabei Einiges über Parfüm (Er ist Sammler alter Düfte), die Lieder seines Lieblingssängers Rod Stewart und den Wäldern rund um seine Heimatstadt Kassel. Auch streut er gerne Zitate von berühmten Menschen ein, denn er hat seit 45 Jahren in einer schwarzen Kladde alle Sprüche notiert, die ihm bedeutsam erschienen.
Die Zeit, das Alter, der Tod- Meyer-Burckardt schafft es, über diese Themen so zu schreiben, dass man sich beim Lesen angenehm unterhalten fühlt und ein paar Gedanken mit auf den Weg bekommt, die man für sich selbst noch einmal überprüfen kann.

Die spannende Welt der Müdigkeit

In diesem schmalen Buch erzählt Peter Handke von seinen Müdigkeit-Erlebnissen. Für ihn gibt es unterschiedliche Arten von Müdigkeit. Da wäre beispielsweise die Müdigkeit zum Fürchten, er denkt dabei an seine Zeit als Student, als er im Hörsaal gegen das Einschlafen ankämpfen musste, weil der Professor mit monotoner Stimme prüfungsrelevanten Stoff vortrug. Die Müdigkeit kann unterschiedlich sein, wenn man sie alleine, als Paar oder in einer Gruppe erlebt. Nie wird er die Heuernte in seiner Kindheit vergessen, die er zusammen mit anderen Menschen erlebt hat und an deren Ende eine gemeinsame Müdigkeit aufkam. Diese Müdigkeit war geprägt von Gefühlen der Geborgenheit, des Glücks und der Zufriedenheit. Dann gibt es noch eine transzendente Müdigkeit, die Handke erlebte, als er nach einem langen Flug völlig übernächtigt in Manhattan in einem Café sitzt und Leute beobachtet. Seine Müdigkeit lässt ihn in einer bisher unbekannten Klarheit die Individualität jedes Menschen erkennen.
Dieses Büchlein regte mich dazu an, über meine eigene Müdigkeitspalette nachzudenken und ich bin immer noch verblüfft, wie vielfältig die Gründe für Müdigkeit sein können. Plötzlich stiegen von ganz unten Erinnerungsschätze hoch, bei denen das Müdesein im positiven oder negativen Sinne etwas Besonderes war. Zwei persönliche Beispiele: Die Besuche von Elektromärkten oder großen Möbelhäusern verlangen anschließend immer ein kurzes Nickerchen. Auto-, Zug- und Flugreisen garantieren erholsamen Schlaf. Erweitert man den Begriff Müdigkeit im Sinne von Langeweile, Erschöpftsein und Frustration tun sich weitere Erinnerungen auf.
Es lohnt sich also, mal über die eigene Müdigkeit nachzudenken.

Deutsch für alle

Ist Deutsch Ihre Muttersprache? Dann beglückwünschen Sie sich dazu, diese Sprache nicht wie der Autor Abbas Khider neu lernen zu müssen.

Er ist ein Flüchtling aus dem Irak und kommt nach mehreren Zwischenstationen im Jahr 2000 in Bayern an. Dort beginnt er umgehend, die deutsche Sprache zu lernen und hat schnell drei phonetische Todfeinde: Ä Ö Ü. Diese Buchstaben richtig auszusprechen- keine Chance! Aber auch grammatikalische Regeln lassen Khider immer wieder verzweifeln. Es gibt Regeln, die haben so viele Ausnahmen, dass man eigentlich nicht mehr von einer Regel sprechen kann. Andere Regeln leuchten ihm und seinen Mitschülern partout nicht ein und nach der Lektüre des Buches neige ich nun auch dazu, die deutsche Sprache teilweise als absurd zu bezeichnen.
Khider erzählt aber nicht nur von seinen Schwierigkeiten, sondern er bietet direkt Lösungsvorschläge an, wie man die deutsche Sprache vereinfachen könnte, so dass sie gute Aussichten hätte, die Weltsprache Nr. 1 zu werden. Diese Vorschläge haben mir nicht alle gefallen, aber genial fand ich die Einführung der arabischen Wörter „min“ und „ila“, sie reduzieren erheblich den Wust von deutschen Präpositionen.
Die deutsche Sprache- ein trockenes Thema? Mitnichten, denn Khider gelingt es, sehr humorvoll über Sprachunsinnigkeiten zu schreiben. Dazu erzählt er aus seinem Alltag als Flüchtling, Asylbewerber und schließlich als ausländischer Student und Autor. So liest man ganz nebenbei auch eine bewegende Lebensgeschichte und bekommt Einblick in den deutschen Behördenalltag, für den man sich als Deutsche/r nur schämen kann.
Abbas Khider ist inzwischen für seine Romane mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet worden. Dass ein Nichtmuttersprachler dieses Buch schreiben konnte, dass beeindruckt mich sehr.

Samen- Unbeachtete Schönheiten

Vorgestern zeigte ich Ihnen vier Fotos und wollte wissen, was auf ihnen zu sehen ist. Es sind Samen in Fruchtständen.
Letzte Woche schwärmte ich schon von einem Buch aus dem Elisabeth Sandmann Verlag, auch dieses Buch ist in dem Verlag erschienen.

Dank ca. 200 grandioser Fotos wurde ich in eine Welt entführt, die ich bisher nur am Rande wahrgenommen habe. Im Garten freue ich mich z.B. jedes Jahr an den Samenständen von Akelei oder Klatschmohn, aber dank der Abbildungen in diesem Buch wurde mir erstmalig richtig bewusst, mit welchem unterschiedlichen Erscheinungsbild Pflanzen ihre Nachfolge regeln. Wie genial diese „Architektur“ der Fruchtstände ist, wird im zweiten Teil des Buches erklärt. Sie sind so konstruiert, dass die Samen beispielsweise über den Wind weitergetragen werden, sich im Fell von Tieren festhaken, die Fruchtstände eine Ausstattung haben, um im Meerwasser lange zu überleben oder durch große Spannung mit lautem Knall durch die Luft fliegen. (wie z.B. der Fruchtstand des Sandbüchsenbaumes, den man als Titelbild für das Buch ausgewählt hat).

Welchen Nutzen für Menschen haben die Bäume, Sträucher, Lianen oder Bodendecker, von denen die gezeigten Fruchtstände stammen? Ob man Möbel oder Boote baut, Körbe flechtet, Zahnpasta herstellt oder Teile als Arzneimittel nimmt (links oben der Fruchthülse des Skorpionschwanzes, einem Bodendecker, des bei Bissen des Skorpions helfen soll), jede Pflanze ist schützenswert. Das schreibe ich bewusst, denn wie man aus dem Buch auch erfährt, sind diverse Bäume durch Raubbau vom Aussterben bedroht.

Obwohl der Bildband ist nicht mehr lieferbar und auch antiquarisch kaum zu bekommen ist – ich habe ihn per Fernleihe für 2 Wochen ausgeliehen- habe ich das Buch besprochen. Das Thema „Genau hingucken“ liegt mir am Herzen und ich wollte versuchen, Ihnen ein bisschen von dem Zauber und Faszination zu vermitteln, den ein Buch gerade in der heutigen Zeit ausstrahlen kann.

Von Bäumen und Sternen

Haben Sie meinen letzten Blogbeitrag gelesen? In ihm stellte ich Ihnen ein Musikstück von John Cage vor. Heute habe ich das passende Buch zu der Musik:

Die Fotografin Beth Moon war 14 Jahre lang in der ganzen Welt unterwegs, um alte Bäume zu fotografieren und spezialisierte sich im Laufe der Jahre darauf, die Bäume unter spektakulären Sternenhimmel abzulichten- bei der weltweiten Lichtverschmutzung ein ganz besonderes Unterfangen. Der Grund dieser Spezialisierung waren wissenschaftliche Studien, in denen u.a. das Wachstum der Bäume mit den Bewegungen der Himmelskörper zusammenhängen soll. So werden z.B. Birken der Venus zugeordnet oder Buchen dem Saturn.
In dem Buch sind Fotos aus England, Italien, Namibia, Botswana den USA mit jeweils eine für das Land typische Baumart zu sehen. Das Faszinierende: Das Licht der Sterne, das wir auf der Erde sehen, ist oftmals genauso alt wie die Bäume, also 1000, 2000 Jahre und mehr. Ich schreibe nicht weiter, sondern lasse zwei Fotos für das Buch sprechen:

Zu den Fotos eines jeden Landes gibt es ausführliche Erklärungen, wann und wo Beth Moon fotografiert hat. Auch werden prägnante Sterne, die über den Bäumen zu sehen sind, namentlich erwähnt. „Fotografie als Pilgerfahrt“ ist der Titel eines Textes des amerikanischen Journalisten Clarke Strand, der am Ende des Bildbandes zu lesen ist. Lässt man sich auf diese Fotos ein, werden Grundfragen des Lebens ganz schnell präsent.

Ich möchte mich ausdrücklich bei dem Verlag Elisabeth Sandmann bedanken, der einmal mehr den Mut hatte, ein ausgefallenes Thema in einem Bildband zu präsentieren.

Keine bezahlte Werbung!

Die Varus Nerv Bekanntschaft

Vor ca. drei Monaten lernte ich den Varus Nerv kennen. Hatte ich zuvor noch nie von ihm gehört, wurde er in verschiedenen Medien kurz hintereinander mehrmals erwähnt und ich wurde aufmerksam. Besonders beeindruckte mich eine Sendung, in dem Lars Lienhard zeigte, wie Sportler durch gezieltes Training eben dieses Nervenstrangs vermeintliche Schwächen in ihrer Sportart ausgleichen konnten. Ich entdeckte, dass Lienhard auch mehrere Bücher geschrieben hat und lieh mir diese beiden in der Bücherei aus:

Nun, was ist überhaupt der Vagus Nerv? Bevor ich laienhaften Blödsinn schreibe, zitiere ich den Leipziger Apotheker Ulrich Tepe, der sich auf seiner Internetseite u.a. auch mit dem Varus Nerv beschäftigt:
„Der Vagusnerv ist eine regulierende Schaltstelle zwischen dem Gehirn und den Organen. Als zehnter Gehirnnerv verläuft er vom Hirnstamm im Kopf über Hals und Brust bis zum Bauchraum. Auf seinem Weg verzweigt er sich. Er läuft unter anderem zum Herzen, zu Nieren, Leber, Milz und zu den Verdauungsorganen – und von dort wieder zurück zum Gehirn.“
Ich füge hinzu: Der Varus Nerv sagt dem Gehirn, was im Körper nicht stimmt, damit das Gehirn aktiv die Störung ausgleichen kann. Ist der Varus Nerv nun selbst nicht in Ordnung, bekommt das Gehirn unzureichende oder gar keine Informationen und der Selbstheilungsprozess stockt oder fällt aus.

Ich bin im Jahr 2020 zweimal auf meine linke Schulter gefallen. Glücklicherweise war nichts gebrochen, aber weder Physiotherapie noch Akupunktur konnten die Schmerzen und die Unbeweglichkeit des Halses ganz beseitigen. Einer der Schwerpunkte bei den in den Büchern beschriebenen Übungen sind Lektionen für Nacken und Schultern und so war ich sehr motiviert, diese auszuprobieren. Ein anderer Schwerpunkt liegt bei Übungen für die Augen und auch auf diesem Gebiet war mein Interesse geweckt.
In beiden Büchern werden nach einer theoretischen Einführung die Lektionen mit vielen Bildern sehr detailliert beschrieben. Im linken Buch sind diverse Übungen allerdings nur zusammen mit einer zweiten Person oder/ und verschiedenen Hilfsmitteln möglich, so dass mir das rechte Buch besser gefiel, hier kann man sich bei den Lektionen alleine und ohne große Vorbereitung austoben. 40 Ideen für verschiedene Bewegungsabläufe stehen zur Auswahl. Ich entschied mich, 15 Übungen täglich zu absolvieren und zu gucken, welche Wirkungen sich einstellen. Sehr sympathisch finde ich dabei, dass man einige Übungen im Liegen machen kann. Wenn man morgens noch keine Lust hat, aus dem warmen Bett zu kriechen, hat man einen guten Grund, noch etwa liegen zu bleiben…

Nach sechs Wochen habe ich folgenden Eindruck:
Ich kann meinen Hals wieder besser drehen. Dies merke ich besonders beim Autofahren, wenn ich nach links oder rechts gucken muss.
Meine Körperhaltung ist gerader, meine Schultern sacken nicht mehr so sehr nach vorne und ich stehe fester mit beiden Füßen auf dem Boden. Vor sechs Wochen wackelte ich noch sehr, als ich mich jeweils auf ein Bein stellte, jetzt ist das kein Thema mehr.
Das Augentraining macht mich morgens munter und hat außerdem mein Klavierspiel verbessert. Das Notenlesen geht merklich besser, was mich auch sehr beflügelt, mit den Übungen weiterzumachen und Schritt für Schritt noch ein paar neue Übungen mit einzubauen.

Wie Sie am Untertitel des rechten Buches sehen, helfen die Übungen auch noch bei anderen Gesundheitsproblemen. Man nennt den Varus Nerv auch den „Ruhe-und Erholungsnerv“- vielleicht sind ja einige Übungen auch gut bei Weihnachtsplanungsstress?



Vom Wellenbrecher zu den Hasenöhrchen

Ende letzter Woche wurde in den Medien das Wort des Jahres 2021 verkündet. Es heißt „Wellenbrecher“. Wer diese Meldung mit Interesse verfolgt hat, für den ist dieses Buch eine lohnende Lektüre:

Wir benutzen täglich unsere deutsche Sprache und nehmen sie als selbstverständlich hin. Aber es gibt viele Facetten im Deutschen und diese komprimiert in einem Buch nachzulesen, das fand ich sehr interessant.

Natürlich gibt es in dem Buch auch eine Liste der Wörter des Jahres (auch für Österreich und die Schweiz, hier entdeckt man überraschende Unterschiede) und eine Aufstellung der Unwörter des Jahres. Kleines Rätsel: In welchem Jahr war „Umweltauto“ das Wort des Jahres? (Das Wort des Jahres wird regelmäßig seit 1977 gewählt).
Es gibt noch andere Tabellen mit besonderen Wörtern, wie z.B. aus der Sprache der Seemänner, der Drucker oder aus dem Jargon der Gauner. Unter dem „Fontane-Code“ hat man 5oo der längsten Substantive aufgeführt, die der Autor für seine Romane einzigartig aus mehreren Wörtern zusammengesetzt hat, wie z.B. „Ausschmückungsgegenstand“ oder „Reinheitswiederherstellung“. Damit macht er unserem Literaturgott Goethe ganz schön Konkurrenz. Haben „Normaldeutsche“ einen aktiven Wortschatz von ca. 12000 bis 15000 Wörtern, soll Herr Goethe sich aus ca. 90000 Wörtern bedient haben. (Experten schätzen die Zahl der deutschen Wörter auf mindestens 300000). Aber Goethes Wortgewandtheit hat ihn nicht davor geschützt, dass andere Autoren seine Werke gnadenlos zerrissen haben. Auch das ist in diesem Buch nachzulesen.
Besonders gefallen mir auch Landkarten, auf denen man nachlesen kann, wie ein Gegenstand im deutschsprachigen Raum eine unterschiedliche Bezeichnung bekommen hat. Da sage ich nur: „Es leben die deutschen Dialekte!“
Über z.T. sehr lustigen Namen von Weinbergen, Orten oder Friseursalons (Glückssträhne, Vielhaarmonie), Zungenbrecher, Teekesselchen, paradoxe Wörter (Gefrierbrand, Miniriesenrad), ja sogar über Grabinschriften kann man sich in diesem Schmöker amüsieren. Und das i-Tüpfelchen: Die Gestaltung des Buches ist eine Augenweide:

Mein Beitrag gibt Ihnen nur einen kleinen Einblick in den Buchinhalt. Wie schön und abwechslungsreich die deutsche Sprache ist, hat mir das Buch noch einmal wunderbar vor Augen geführt. Dass ich das ernst meine, beweist meine zweite Buchanschaffung:

Noch mehr Wortschönheiten, doch dieses Mal detailliert erklärt, welchen Ursprung jedes Wort hat, wo und und wann es gesprochen wurde, welche anderen Wörter zu diesem Wort gehören:

Beide Bücher sind im „Verlag das kulturelle Gedächtnis erschienen“, der 2016 gegründet wurde und 2021 zum „Verlag des Jahres“ gewählt wurde. Mich beeindrucken die bisher erschienen Titel und die Verlagsphilosophie, hier nachzulesen:http://daskulturellegedaechtnis.de/teilhabe/

Ach ja, im Titel meines Beitrags kommt das Wort „Hasenöhrchen“ vor. Ich habe diesen Begriff im Wunderkammerbuch entdeckt. Auf dieser Seite finden Sie diverse Hasenöhrchen…Ich verrate Ihnen am Samstag, was es mit den Hasenöhrchen auf sich hat und wann „Umweltauto“ das „Wort des Jahres“ war.

Markttage in Paris

Wer Paris liebt und/oder gerne auf Märkten einkauft, der wird dieses Buch genießen:

Der Autor hat zeitlebens das Gefühl von Heimat vermisst. Sein Vater war der Autor und Zukunftsforscher Robert Jungk und Peter Stephan Jungk beschreibt seine Kindheit, die von seinen rastlosen Eltern geprägt ist. Das unstete Leben führt er als junger Mann fort, denn ihm fehlt seine wahre Berufung und er probiert immer wieder Neues aus, wenn er nicht gerade zusammen mit Hank (später als Charles Bukowski bekannt) in Los Angeles versackt. Erst als Jungk sich in Paris in der Nähe des Marché d‘Aligre einquartiert und länger bleibt, erfährt er so etwas wie ein Gefühl der Zugehörigkeit zu den Marktleuten und den Besitzern der umliegenden Läden und Cafés. Beim Lesen des Buches begleitet man Jungk auf seinen Einkäufen, die jedes Mal ein Fest der Sinne sind. Diese Düfte, diese Farben, diese Geschmacksverlockungen von perfektem Obst, frischem Fisch, noch warmen Gebäck!

Dazu kommen die Besuche in den Flohmarktgängen, immer dieses leichte Kribbeln, vielleicht etwas Besonderes zu finden. Und als i-Tüpfelchen: Die Verkäufer bieten ihre Ware feil, als würden sie ein Theaterschauspiel aufführen. Manchmal möchte man Beifall klatschen.
Zusammen mit dem Autor blickt man aber auch hinter die Kulissen dieses Markttheaters, denn er findet unter den Marktstandbesitzern Freunde, die ihm von ihren oftmals tragischen Schicksalen, sowie von den Rivalitäten untereinander und der täglichen harten Arbeit erzählen.
Sich nach Paris aufmachen mit dem Buch im Gepäck, sich in ein Café setzen und einzelne Kapitel noch einmal lesen, das kann ich mir sehr gut vorstellen…

P.S. Der Marché d‘Aligre liegt im 12. Arrondissement, Nähe „Place de la Bastille“.

Alfred Brendel – Igor Levit

Kurz und schmerzlos:

Der Untertitel „Lesebuch für Klavierliebende“ bedeutet: Sie sollten Klavier spielen und das schon länger. Alfred Brendel setzt voraus, dass seine Leserschaft die Fachausdrücke des Klavierspiels parat hat und die Standardwerke der üblichen Verdächtigen Bach, Mozart, Beethoven, Händel, Schubert kennt. Erst dann kann man den subjektiven Ausführungen Brendels folgen und sie genießen, bejahen oder ablehnen.
Die Lektüre war mir zu konservativ, zu staubig. Das lag vielleicht aber auch daran, dass ich zuvor dieses Buch gelesen habe:

Was bietet das Buch?
Beschreibung des Werdegangs von Igor Levit. Seine Entwicklung zu einem weltberühmten Pianisten unterscheidet sich erheblich von den Lebenswegen anderer junger Klavierspieler.
Wie läuft ein Tag, eine Woche, ein Monat im Leben des Igor Levits ab? Man fährt mit ihm zusammen Fahrrad durch Berlin, isst kurz mit ihm zu Mittag, hat mit ihm mal grandiose Laune, mal sitzt man mit ihm in tiefen schwarzen Löchern und ist immer auf dem Sprung, etwas Neues anzufangen, neue musikalische Herausforderungen zu finden. So habe ich en passant mir noch unbekannte Komponisten kennengelernt.
Das politische Engagement Levits ist ebenso ein Thema. Es wird Vergangenes erzählt und auch richtiggestellt, er macht Aussagen zum aktuellem Medienschwachsinn. (Das Buch endet Juni 2020).
Ja und dann ist da noch Igor Levit der Künstler, der durch Corona fast aus der Bahn geworfen wird und der eines Tages mit seinem Handy ein Konzert zuhause aufnimmt und bei Twitter veröffentlicht. Wenigstens auf diesem Wege seinen Zuhörern nahe sein… Daraus entwickeln sich die Hauskonzerte.

Igor Levit hat zu Zinnecker wirklich Vertrauen gefasst und die Offenheit, mit der Levit über seine Gefühle spricht, könnte kaum größer sein. So ist ein Buch entstanden, das in der Reihe der Musikerbiografien etwas Besonderes darstellt.

Zweimal Andreas Altmann

Der Autor Andreas Altmann ist für mich eine Neuentdeckung. Er wurde für seine Reisereportagen schon mehrfach ausgezeichnet und das zurecht.

Sein Palästina Buch ist für mich bisher das beste, das ich zum Thema „Israel und der Rest der Welt“ gelesen habe. Endlich habe ich ansatzweise die Hintergründe verstanden, warum in dieser Region bis heute kein Frieden einkehrt. Altmann hat einen lockeren, aber nicht flapsigen Schreibstil, der immer wieder mit schönen Bildern oder poetischen Vergleichen überrascht. Er ist ein Freund Israels, doch als wahrer Freund hält er seine Kritik nicht zurück. Über mehrere Monate hat er die Region bereist und sich mit vielen Menschen jeglicher religiöser und politischer Couleur unterhalten. Aber nicht nur das. Er begibt sich auch in Lebensgefahr, als er an einer Demonstration der Palästinenser gegen die israelische Siedlungspolitik teilnimmt und mitleidet.
Das Buch erschien 2013. Damals prognostizierten israelische Gesprächspartner, dass Israel sich selbst von innen heraus zerstören wird. Ultrareligiöse konservative Gruppen gewinnen in dem Land zunehmend an Einfluss und verdrängen liberal denkende und friedliebende Israelis, die immer häufiger das Land verlassen. Daran hat sich 2021 nichts geändert, im Gegenteil. Frieden? Nicht in Sicht.

Zweites Buch: Seine 1863918 Schritte auf dem Weg von Paris nach Berlin bringen Altmann an seine körperlichen und psychischen Grenzen.

Keine geruhsamen Stunden mehr, am Schreibtisch sitzen, schreiben, nachdenken, anschließend in der Badewanne ein Zigarillo genießen. Sein Körper schreit auf dem Weg vor Anstrengung, Hunger und Durst. Alles muss er sich erbetteln, erlebt täglich Erniedrigungen, schaut ist das „gute Herz“ vieler Menschen, die in den Vorgärten ihrer Häuser oder in Bars sitzen und wie Scheintote darauf warten, dass etwas passiert. Doch Altmann erlebt auch immer wieder positive Überraschungen. Es gibt Menschen, die an der Geschichte Altmanns interessiert sind, die, obwohl sie selbst kaum genug zum Leben haben, ihm etwas schenken und sei es nur ihre eigene Geschichte, die fast immer traurig ist.
Gibt es Unterschiede zwischen Franzosen, Belgiern und Deutschen, wie sie einen bettelnden obdachlosen Mann behandeln? Unterschiede zwischen Frauen und Männern, zwischen jungen und alten Menschen? Ja. Glaubt man dem Autor, wenn er schreibt, dass das Leben eines obdachlosen Menschen in zivilisierten Ländern nicht nur oft ein Überlebenskampf ist, sondern fast noch schlimmer, auch ein Kampf mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen. Ja. Dieser Kampf raubt so viel Kraft, dass der Wille zur Verbesserung auf der Strecke bleibt und Alkohol der einzige Weg ist, tägliche Niederlagen zu ertragen. Altmann hatte auf seinem Marsch die Perspektive, dass er wieder in sein altes komfortables Leben zurückkehrt und konnte so standhaft dem Alkohol entsagen. Was wäre er für ein Mensch, gäbe es diese Rückversicherung nicht? Altmann ist sich nicht sicher.