Zweimal Andreas Altmann

Der Autor Andreas Altmann ist für mich eine Neuentdeckung. Er wurde für seine Reisereportagen schon mehrfach ausgezeichnet und das zurecht.

Sein Palästina Buch ist für mich bisher das beste, das ich zum Thema „Israel und der Rest der Welt“ gelesen habe. Endlich habe ich ansatzweise die Hintergründe verstanden, warum in dieser Region bis heute kein Frieden einkehrt. Altmann hat einen lockeren, aber nicht flapsigen Schreibstil, der immer wieder mit schönen Bildern oder poetischen Vergleichen überrascht. Er ist ein Freund Israels, doch als wahrer Freund hält er seine Kritik nicht zurück. Über mehrere Monate hat er die Region bereist und sich mit vielen Menschen jeglicher religiöser und politischer Couleur unterhalten. Aber nicht nur das. Er begibt sich auch in Lebensgefahr, als er an einer Demonstration der Palästinenser gegen die israelische Siedlungspolitik teilnimmt und mitleidet.
Das Buch erschien 2013. Damals prognostizierten israelische Gesprächspartner, dass Israel sich selbst von innen heraus zerstören wird. Ultrareligiöse konservative Gruppen gewinnen in dem Land zunehmend an Einfluss und verdrängen liberal denkende und friedliebende Israelis, die immer häufiger das Land verlassen. Daran hat sich 2021 nichts geändert, im Gegenteil. Frieden? Nicht in Sicht.

Zweites Buch: Seine 1863918 Schritte auf dem Weg von Paris nach Berlin bringen Altmann an seine körperlichen und psychischen Grenzen.

Keine geruhsamen Stunden mehr, am Schreibtisch sitzen, schreiben, nachdenken, anschließend in der Badewanne ein Zigarillo genießen. Sein Körper schreit auf dem Weg vor Anstrengung, Hunger und Durst. Alles muss er sich erbetteln, erlebt täglich Erniedrigungen, schaut ist das „gute Herz“ vieler Menschen, die in den Vorgärten ihrer Häuser oder in Bars sitzen und wie Scheintote darauf warten, dass etwas passiert. Doch Altmann erlebt auch immer wieder positive Überraschungen. Es gibt Menschen, die an der Geschichte Altmanns interessiert sind, die, obwohl sie selbst kaum genug zum Leben haben, ihm etwas schenken und sei es nur ihre eigene Geschichte, die fast immer traurig ist.
Gibt es Unterschiede zwischen Franzosen, Belgiern und Deutschen, wie sie einen bettelnden obdachlosen Mann behandeln? Unterschiede zwischen Frauen und Männern, zwischen jungen und alten Menschen? Ja. Glaubt man dem Autor, wenn er schreibt, dass das Leben eines obdachlosen Menschen in zivilisierten Ländern nicht nur oft ein Überlebenskampf ist, sondern fast noch schlimmer, auch ein Kampf mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen. Ja. Dieser Kampf raubt so viel Kraft, dass der Wille zur Verbesserung auf der Strecke bleibt und Alkohol der einzige Weg ist, tägliche Niederlagen zu ertragen. Altmann hatte auf seinem Marsch die Perspektive, dass er wieder in sein altes komfortables Leben zurückkehrt und konnte so standhaft dem Alkohol entsagen. Was wäre er für ein Mensch, gäbe es diese Rückversicherung nicht? Altmann ist sich nicht sicher.


Autor: linda

Wohne in Duisburg.

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