Pinguin liebt Bär

Passend zum Monat der Liebe möchte ich Ihnen heute dieses Bilderbuch vorstellen. Soooooo schön!

Pinguin liebt Bär. Er weiß, dass sie aus verschiedenen Gründen nicht wirklich zusammenpassen, aber er überwindet sich, fährt über das Meer zum Leuchtturm, wo Bär wohnt und gesteht ihm seine Gefühle. Bär lacht und weiß auch gar nicht, was Liebe ist. Pinguin versucht, es ihm zu erklären, aber die Anzeichen von kribbelnden Zehen und einem seekranken Bauch kann Bär bei sich nicht feststellen. Pinguin schlägt nach langem Nachdenken deshalb vor, eine Weile bei Bär zu bleiben, bis er entweder auch so fühlt oder Pinguins Liebe abgekühlt ist. Bär ist einverstanden und beide verbringen zusammen einen tollen Sommer. Sie unternehmen viel, erzählen sich alles und kümmern sich umeinander.


Als es Herbst wird, beschließt Pinguin, die Leuchtturminsel zu verlassen. Er liebt Bär immer noch, aber anscheinend erwidert Bär seine Liebe nicht. Bär ist überrascht, dass Pinguin geht, lässt ihn aber ohne ein Wort ziehen. Pinguin fährt traurig zurück und auch Bär merkt, dass es ihm plötzlich nicht gut geht. Allein auf seinem Leuchtturm zu leben, machte ihm bisher nichts aus, aber jetzt fühlt er sich einsam und alles ist trostlos und grau. Er vermisst Pinguin sehr und beginnt zu weinen. Eine Träne kullert weg und er folgt ihr…Wird die Geschichte ein gutes Ende haben? JAAA!

Das Buch für ein Lesehüngerchen

Möchten Sie manchmal abends gerne noch lesen, sind aber eigentlich für Ihren Roman oder Krimi zu müde und machen mit einem kleinen Frustgefühl das Licht aus? Oder Sie haben eigentlich gar keine Zeit, um in ein Buch zu gucken, würden aber gerne mal eben fünf Minuten Leseerholung tanken?
Dieses Buch sollte dann in Ihrer Nähe sein, denn seine Texte „gehen immer“.

Hier liegt eine Sammlung von Texten vor, die Ortheil von 2018 bis 2023 geschrieben hat. Manche ganz für sich privat, andere wiederum als Kolumne für eine Zeitung. Seine Betrachtungen sind oft nur eine halbe Seite lang, haben selten mehr als zwei Seiten, nur eine längere Geschichte ist enthalten, aber schon portioniert zwischen den anderen Texten verteilt.
In Buchbesprechungen werden gerne Wörter wie „Schatzkiste“, „Kaleidoskop“ oder „Fundgrube“ gewählt, wenn die Bandbreite der Buchthemen zum Ausdruck gebracht werden soll. Ich toppe dies und nenne das Buch ein Füllhorn.

Ortheil erinnert sich an seine Kindheit, erzählt stimmungsvoll von Beobachtungen in Italien, seiner Lieblingsstadt Köln und anderen bereisten Gegenden, nimmt die Coronazeit genau unter die Lupe, untersucht neuste Trends mit kritischem Blick. Seine Liebe gilt den Büchern, der Musik und der Kunst und man bekommt eine nicht zu verachtende Zahl von weitgefächerten Lese-und Hörtipps.

Die Stimmungen der Texte sind sehr unterschiedlich. Wenn er beispielsweise davon erzählt, wie er als kleiner schüchterner Junge im Karneval sich als Pastor verkleidet hat und in dem Gewand plötzlich ein ordentliches Selbstbewusstsein bekommt, so liest sich das anrührend und humorvoll. Auch seine Liebe zu dem Fußballverein Wuppertaler SV in der 4. Liga hat gerade für MSV Fans etwas Tröstliches.
Ortheil wird grummelig, wenn er einfach nur in einem Wald spazieren gehen möchte und dabei von Sportbesessenen, die durch den Wald hechten, wie ein Kuriosum betrachtet wird. Auch Videokonferenzen kann er wenig Gutes abgewinnen.
Von traurig bis hin zu ungewöhnlich oder gar absurd bezeichne ich die Texte, bei denen er einfach nur Menschen auf der Straße beobachtet und ihnen zugehört hat.
Zum Nachdenken und Innehalten regen die Texte an, die sich mit der derzeitigen politischen Lage, der Jugend, der herrschenden Einsamkeit und der Coronazeit beschäftigen. Was haben wir durch Corona für immer verloren und was nahmen wir uns alle während der Coronazeit vor? Mehr Wertschätzung des Alltagslebens, mehr Augenmerk auf umweltverträgliches Verhalten, einen freundlicheren Umgang mit seinen Mitmenschen… was ist davon noch geblieben?

Papier und Bleistift sollten bei der Lektüre parat liegen, um evtl. denkwürdige Sätze unterstreichen zu können oder sich ein paar von Ortheils Lese-, Film-und Hörerlebnissen zu notieren.


Ich heiße James

Erinnern Sie sich an Mark Twains Geschichte von Huckelberry Fynn? Wenn ja, dann kennen Sie auch James!
Huck wohnte zeitweise bei der Witwe Watson, die einen Sklaven Jim besaß. Jim ist dieser James und seine Geschichte wird von dem amerikanischen Autor Percival Everett auf eine ganz unglaubliche Weise erzählt.

Huck und Jim sind Freunde und das Leben geht seinen Gang. Das ändert sich schlagartig, als es Gerüchte gibt, dass die Witwe Watson Jim alleine verkaufen will. Was wird dann aus seiner Frau Sadie und Tochter Lizzie? Jim taucht für ein paar Tage unter und fährt zu einer Insel mitten im Mississippi, um zu überlegen, wie und wohin er und seine Familie flüchten soll. Kurze Zeit später taucht Huck dort auf. Er hat mit seinem Vater Ärger und erzählt Jim, dass er inzwischen als entlaufender Sklave gesucht wird. Huck und Jim können nicht auf der Insel bleiben und eine abenteuerliche Flucht beginnt. Die beiden haben permanent Angst vor Verfolgung, nur selten finden sie etwas Ruhe. Sie treffen auf argwöhnische Weiße und auf andere Sklaven, mehrmals werden die beiden getrennt, finden aber immer wieder zueinander. Jim erfährt, dass inzwischen Krieg zwischen den Nord- und Südstaaten herrscht, er muss wieder nach Hause zurück. Aber Frau und Tochter sind inzwischen an eine Sklavenzuchtfarm verkauft worden und Jim macht sich mit Huck auf, die beiden zu befreien.

In der spannenden Handlung des Romans gibt es Beschreibungen von schrecklicher Gewalt und Ungerechtigkeit gegenüber Sklaven. Ganz anders dagegen die Szenen, die die weiße Bevölkerung bloßstellen und die witziger nicht sein könnten. Wenn Weiße auftauchen, unterhalten sich Sklaven in einem nuscheligen Slang, der den Weißen bestätigt, dass die Ns (ja, das N Wort kommt mehrmals vor) dumm sind. Sind sie unter sich, wechseln sie in die Hochsprache und zeigen sich als kluge und erfahrene Menschen. Von Kindesbeinen an haben sie den Slang lernen müssen, um die Weißen in Sicherheit zu wiegen. Nie darf man sich in der Sprache vertun, selbst bei Huck hält Jim die Fassade so gut es geht aufrecht.

So ist das Buch schon etwas Besonderes, aber der Mensch Jim adelt die Geschichte. Er ist hochgebildet, denn Lesen und Schreiben sind seine Leidenschaften. Als beispielsweise eine giftige Schlange ihn auf der Flucht beißt, diskutiert er im Fiebertraum mit Voltaire, in einem späteren Traum unterhält er sich mit John Locke. Er muss sein Leben aufschreiben, das Leben eines Sklaven im gelobten Amerika und er beginnt:

Es ist grandios, wie der Autor in einem Abenteuerroman die amerikanische Geschichte umschreibt und Sklaven zu den eigentlichen Intellektuellen des Landes werden lässt. Erfreulich, dass es in den USA hohe Wellen geschlagen hat.

Die Burgfrauen von Berlin

Am 1. Mai 1987 kommt die Autorin als junges Mädchen aus Kiel nach Berlin, um für den NDR über eine Hunderasseshow zu berichten. Bei einem Kampf in Kreuzberg zwischen Hausbesetzern und Polizei gerät sie während ihres Aufenthalts fast unter die Räder, wird aber im letzten Moment von zwei Frauen gerettet, die sie in ihr besetztes Haus mitnehmen. Dort leben noch andere Frauen, alle selbstbewusst und unangepasst und das gefällt der Autorin so gut, dass sie in dem Haus bleibt und nicht wieder nach Kiel zurückkehrt.
Fast 40 Jahre sind vergangen. Susanne Matthiessen wohnt immer noch in dem Haus, das inzwischen „Die Burg“ heißt, komplett von den Frauen renoviert und gekauft wurde und in dem nur Frauen in ihren Wohnungen leben.
Matthiessen ist kurz vor ihrem 60sten Geburtstag gekündigt worden. Um den Wegfall Ihres Gehalts zu kompensieren, beschließt sie, ihre Wohnung zu vermieten und in ihren Keller zu ziehen. Da das Leben in Berlin immer teurer wird, die Wohnungsnot immer größer und der bürokratische Wahnsinn immer schlimmer, kommt diese Idee so gut an, dass andere Frauen ebenfalls ein Kellerleben beginnen. Eine Journalistin erfährt davon und schreibt eine Reportage, die hohe Wellen schlägt und schließlich Sahra Wagenknecht die Burg aufsuchen lässt, um die Frauen kennenzulernen und sich ihre Probleme anzuhören. Das sorgt für erhebliche Unruhe im Haus, zumal plötzlich auch Männer in dem Haus auftauchen, sei es als unverschämter Untermieter oder als übergriffiger alter Vater, für den die Tochter keinen Heimplatz findet. Zudem muss heimlich eine Leiche entsorgt werden, nicht leicht, wenn man eine Polizistin plus Spürhund als Nachbarin hat.
Susanne Matthiessen nimmt ihren runden Geburtstag zum Anlass, über ihr Leben und das der anderen Frauen nachzudenken. Als Verfasserin von Reden einer Regierungspartei war sie erfolgreich, jetzt wurde sie abserviert. Familie hat sie keine, die anderen Frauen sind ihre Lebensmenschen. Das Zusammensein ist oftmals chaotisch, aber das gehört einfach dazu. Was die Autorin frustriert ist die Tatsache, dass die feministischen Ideale und Ziele ihrer Gruppe sich trotz der langen Zeit nicht erfüllt haben, denn Frauen sind in vielen Bereichen immer noch nicht gleichberechtigt. Die älteste Bewohnerin der Burg sieht in Susanne eine Kämpferin. Sie hat noch 20 Jahre vor sich und soll das Haus leiten, soll nochmal mit den anderen Bewohnerinnen losziehen, um in Berlin das Leben der Frauen ein Stückchen besser zu machen. Und Susanne hat tatsächlich eine innovative Idee, wie sie und ihre Mitstreiterinnen wie in den alten Zeiten für die Rechte der Frauen sich einsetzen und auf Missstände aufmerksam machen können.

Ein turbulentes Buch mit zum Teil schwarzem Humor oder Augenzwinkern. Jedes Kapitel beginnt mit einem Spruch aus dem alten Poesiealbum von Susanne- ach, was sind diese alten Weisheiten doch aktuell! Ein Buch, das Spaß macht und beschwingt!

Bereit für ein Abenteuer?

Dieses Buch nimmt Sie mit auf eine mehrmonatige Abenteuerreise. Nicht nach Borneo, Ecuador oder Kamerun, sondern nach Paris. Allerdings nicht zum Bling-Bling Paris mit Louvre, Eiffelturm oder Place de la Concorde, sondern wir lesen von Exkursionen „außerhalb der Mauer“. Der Mauer? Damit ist die Pariser Stadtautobahn (oder auch Périphérique) gemeint.
Die Autorin Anne Weber ist Deutsche, die bereits seit den 80er Jahren in Paris lebt. Sie wohnt innerhalb der Mauer, gehört zu den Etablierten, den weißen Franzosen. Vor Jahren lernte sie auf einer Reise den Filmemacher Thierry kennen und sie freundeten sich an. Jetzt hat Thierry ein neues Filmprojekt. Er will über die Vorstädte berichten, wo neue Sportstätten für die Olympiade 2024 entstehen. Wie wirken sich diese Projekte auf die „Banlieus“ aus? Thierry ist Franzose mit algerischen Wurzeln und wohnt dort. Er lädt die Autorin ein, ihn bei einem Streifzug durch die Vorstädte im Nordosten von Paris zu begleiten.
Um es vorweg zu nehmen: Am Ende des Buches sind beide über mehrere Monate über 600 Kilometer gelaufen und ein Ende ihrer Expeditionen ist nicht abzusehen. Anne Weber, die sich vorher nie dafür interessiert hat, was jenseits der Périphérique geschieht, bzw. auch Angst hatte, alleine die Vororte aufzusuchen, lernt und sieht in dieser Zeit ungleich mehr als bei ihren früheren weiten Reisen.
Wenn man sich für Frankreich interessiert, erfährt man viel über das noch immer schwierige Verhältnis zwischen Franzosen mit französischen Wurzeln und Franzosen mit nordafrikanischen Bindungen. Die Autorin wird mit den widrigen und teilweise skandalösen Lebensumständen von Franzosen aus Nordafrika oder den Einwanderern aus Senegal, Mali, Sudan oder Indien und Sri Lanka konfrontiert.
Dabei beobachtet sie genau, wie beispielsweise architektonische Desaster aus den 80er Jahren, ausgedacht von sogenannten Stararchitekten und die Zerschneidung der Vororte durch Schnellstraßen zu diesem trostlosen Leben beitragen. Nur selten gibt es kleine Inseln, wo menschliche Wärme zu spüren ist. Eine dieser Inseln ist das Café von Rashid, das für Thierry und Anne eine feste Anlaufstelle bei ihren Wanderungen wird. Sie gehören bald zu den Stammgästen und nehmen an den Schicksalen der anderen Cafébesucher teil.
„Bannmeilen“ ist aber auch ein Buch über Vorurteile und Freundschaft. Anne traut sich anfangs nicht, als weiße Frau in die dunklen Gesichter der Anwohner zu blicken. Sie schämt sich, fühlt sich völlig deplatziert und auch bedroht. Nur langsam lernt sie, dass ihre Anwesenheit den anderen egal ist.
Der Umgangston zwischen Anne und Thierry ist ironisch, manchmal sogar zynisch und politisch völlig inkorrekt. Nur so ist es ihnen möglich, über alles Traurige und Ungerechte, das sie sehen und erfahren, zu reden ohne ihre Freundschaft zu gefährden. Manchmal allerdings hilft das auch nicht mehr und dann ist es besser, einfach zu schweigen.

Ich hätte die beiden gerne auf ihren Wanderungen begleitet und beneide die Autorin um ihren Erfahrungsschatz.

Für alle Gartenseelen

Teodor Cerić, Literaturstudent, flieht während des Krieges in den 90er Jahren aus seiner Heimatstadt Sarajevo und verbringt einige Jahre in verschiedenen europäischen Ländern, wo er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt.
Schon in seiner Kindheit entwickelt er eine besondere Beziehung zum Gemüsegarten seiner Eltern. Hier hilft er seinem Vater bei den anstehenden Arbeiten und liebt die Stille und die Möglichkeit, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. So sind auf seiner unfreiwilligen Reise Gärten für ihn ein Zufluchtsort. Er besucht den berühmten Kiesgarten des Regisseurs Derek Jarman in England. Jarman legte ihn in den 80er Jahren an, als er an Aids erkrankt war und verbrachte dort seine letzten Lebensjahre. In der Einöde von Dungerness erschafft er ein Festival aus Blüten und Skulpturen, die er aus Strandgut erschafft.
Ganz anders der Garten von Samuel Beckett. Gestaltete Trostlosigkeit, in der Beckett sich von der Welt zurückgezogen hat, um schreiben zu können.
Teodor Cerić mag keine großen Gärten, denn in ihnen fühlt er sich eher einsam. Das ändert sich erst, als er als Hilfsgärtner in den Pariser Tuilerien und im englischen Painshill Garten arbeitet. Er erzählt von der Kameradschaft der Pariser Gärtner inmitten seelenloser Blumenbeete und von Tom Page, der im 18. Jahrhundert in Painsmill als „Schmuckeremit“ lebte.
Rom, Kreta und Graz sind weitere Orte, an denen er grüne Oasen findet, die ihn über Gärten philosophieren lassen.

Einmal mehr entdeckte ich in einem Buch einen gärtnerischen Seelenverwandten und war glücklich bei der Lektüre.

Wissen Sie, was Ihr Haus für eine Meinung hat?

Eine Frau möchte nach zehn Jahren ihr altes Haus verkaufen. Es hat einen großen Garten und liegt idyllisch in einer Landschaft, aber die Frau fühlt sich einsam, da sie kaum Kontakt zu ihren Nachbarn hat. Es zieht sie in die Stadt zurück. Im diesem Buch beschreibt sie, wie diverse Kaufinteressenten das Haus besichtigen.

Gar nicht angetan von diesen Besuchern ist das Haus selbst. Da kommen beispielsweise ein großspuriger Diamantenhändler, ein schweigende Familie und sogenannte Immobilientouristen, die in fremden Häusern etwas suchen, was sie selbst in ihrem Leben nicht haben. Das Haus reagiert sehr unterschiedlich auf die einzelnen Personen. Mal schweigt es bedeutsam, mal ist es unwirsch und knarrt oder riecht, nur bei einem kleinen Kind zeigt es sein freundliches Wesen. Die Frau merkt, dass ihr Haus immer häufiger zu ihr spricht und ihr Verhältnis sich zu ihm ändert. Soll sie das Haus wirklich verkaufen?
Dieser kleine besondere Roman ist ein wunderschöner kleiner Buchschatz. Neben dem Text tragen die Ausstattung und die Illustrationen dazu bei.

Sommer in Odessa

Ukraine, Odessa, 2014: Die Medizinstudentin Olga erzählt von ihrer außergewöhnlichen Familie. Diese lebt zusammen in einer Wohnung und besteht aus sieben Frauen und einem Mann. Der Mann ist der Opa, der nie einen Sohn gehabt hat und seine drei Töchter und deren Töchter tyrannisiert. Alle werden seinen Ansprüchen nicht gerecht, nur Olga hat anfangs noch ein etwas besseres Verhältnis, weil der Großvater für die Familienehre seine ganze Hoffnung in sie setzt, denn als Ärztin „ist man schließlich wer“. Olga, die eigentlich gar keine Lust auf ein Medizinstudium hat, kann sich diesem Erwartungsdruck nicht widersetzen und sucht Trost bei ihren Freunden Mascha, Radj und Sergej.
Es ist Sommer in Odessa und dessen Leichtigkeit und die Schönheit der Stadt lassen Olga die Familienhölle an manchen Tagen vergessen. Doch dann ändert sich das Leben von Olga. David, der alte Freund von Opa, besucht ihn zu dessen 75. Geburtstag. Sehr lange haben sich die beiden Männer nicht mehr gesehen, denn David ist vor Jahren nach New York ausgewandert. Opas Laune bessert sich, der Alltag wird in der Wohnung für kurze Zeit erträglich. Im Gegensatz dazu nehmen die Probleme auf der Straße immer weiter zu. Ein Riss geht durch die Bevölkerung der Ukraine. Die einen wollen in die EU und sind pro westlich, die anderen halten an der Verbindung zu Russland fest. Es gibt gewalttätige Demonstrationen und Streitereien auf der Straße.
Die Politik, aber auch die plötzlich abnehmende Zuneigung zwischen Opa und David machen das Leben in der Wohnung wieder unerträglich. Langsam zerfällt die Familie, denn David hat noch einen anderen Grund für den Besuch in Odessa und dieses Geheimnis lässt Olga schließlich einen neuen Lebensweg einschlagen.

Als ich das Buch gelesen habe, musste ich als Außenstehende bei den Tyranneien des Opas häufig schmunzeln. Mich erinnerten einige Szenen an Opa Hoppenstedt von Loriot. Dann besuchte ich letzte Woche eine Lesung der Autorin. Irina Kilimnik kommt aus Odessa, lebt aber seit dem 15. Lebensjahr in Berlin. Sie studierte hier Medizin bis zum 2. Staatsexamen und hörte dann auf. Die Texte aus dem Roman las sie recht emotionslos vor, manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie immer unter den Erinnerungen an ihrem Großvater litt. Fast schämte ich mich für mein Lächeln.
Die politische Seite des Romans ist mit den heutigen Kenntnissen und Ereignissen bedrückend. Er erzählt eine Geschichte, die so heute nicht mehr passieren kann.
Ein gutes Buch.

Xerox

Eine junge Frau arbeitet in Amsterdam in einem Büro. Freundschaften mit ihren Kollegen zu schließen fällt ihr schwer, zu unterschiedlich sind die Lebenswelten. Auch arbeitet sie den ganzen Tag alleine in einem Raum, in dem der Drucker das dominierende Gerät ist. Mit ihm unterhält sie sich und erinnert sich an ihre Kindheit. Sie wohnte weitab vom malerischen Touristenamsterdam in einer Siedlung, in denen das Leben nicht leicht war. Besonders erinnert sie sich an einen Brand, man weiß aber am Anfang noch nicht, welche Verbindung sie zu diesem Ereignis hat.
Ihre Selbstgespräche, zusammen mit mehreren stressbedingten Zusammenbrüchen, führen dazu, dass ihr Chef sie zur Regenerierung freistellt. Eine ziemliche Katastrophe, denn sie vermisst ihren Drucker schmerzlich.
So geht es auch dem Drucker, der sich im weiteren Verlauf der Geschichte zu Wort meldet. Durch einen Fehler bei seinem Zusammenbau kann er denken, Menschen verstehen und deren Gedanken lesen. So erfährt man von ihm u.a. auch weitere Details zu dem Brand.
Das Büro der jungen Frau wird von einem Kollegen übernommen. Er rangiert den Drucker aus und stellt ihn an den Straßenrand. Kurze Zeit später steht fest, dass es der Firma finanziell schlecht geht und Mitarbeiter entlassen werden. Die junge Frau kehrt noch einmal in die Firma zurück, um ihre Entlassungspapiere entgegenzunehmen und sieht dabei, dass der Drucker verschwunden ist. Aber es wird noch einmal ein Wiedersehen geben…

Las ich das Buch abends im Bett, musste ich manche Passagen zweimal lesen, die Gedankengänge der Icherzählerin waren für mich etwas wirr. Las ich das Buch morgens frisch ausgeschlafen, überzeugten mich der Ideenreichtum und die „Vibrations“ des Romans und die Freude über einige brillante Sätze.

Besser als eine Droge

Bei diesem Buch von Hanns-Josef Ortheil

würde ich Ihnen am liebsten über jedes einzelne Kapitel berichten!
Eine Möglichkeit, sein Leben zu entschleunigen, ist das Innehalten und dem Aufschreiben von Beobachtungen oder Gedanken in einem Notizbuch.


Das hört sich erst einmal ziemlich einfach an. Sie setzen sich beispielsweise in ein Café oder auf eine Bank und notieren, was Sie sehen. Aber gucken Sie wirklich genau hin? Das ist eine Kunst und dieses Buch zeigt 19 mögliche Herangehensweisen, wie man zu einem Fundus an interessanten Notizen kommt.
Ortheil stellt dazu Aufzeichnungen, Beobachtungshefte oder Notizbücher von berühmten, aber auch von unbekannteren Autoren vor. Ob Elias Cannetti, Peter Handke oder Georg Christoph Lichtenberg, jeder hat eine andere Herangehensweise, die Welt zu betrachten. Meine drei Favoriten:

Notieren als Fotografieren:
Peter Wehrli stieg vor ca. 40 Jahren in Zürich in den Zug, um nach Beirut zu fahren. Auf dem Weg realisierte er, dass er seinen Fotoapparat vergessen hatte. Er begann, „literarische Fotos“ zu formulieren und beschrieb in äußerst knappen Worten ein Motiv, das er sonst fotografiert hätte. (Sein Buch „Katalog von Allem stelle ich Ihnen später noch gesondert vor).

Notieren als Drehbuch:
Der japanische Schriftsteller Akutagawa Ryūnosuke sah Menschen bei ihren Alltagsverrichungen zu und hielt seine Beobachtungen in Form von Drehbuchanweisungen fest.

Notieren am frühen Morgen:
Paul Valéry und Elke Erb standen jeden Morgen früh auf und fingen direkt mit dem Schreiben an. Elke Erb schrieb, was ihr spontan in den Sinn kam. Dabei kamen ganz erstaunliche Gedanken zu Tage und die Schriftstellerin erfuhr viel über sich. Hanns-Josef Ortheil schreibt zu dieser Methode:

Welche Notizen Sie auch festhalten, Sie können Sie als schöne Erinnerungen an eine entspannte Zeit verwahren, sie als ihre persönliche Schatzkiste von besonderen Beobachtungen ansehen oder Sie benutzen Ihr Notizbuch tatsächlich, um eine Geschichte oder sogar einen Roman zu schreiben.
Notizen schreiben interessiert sie nicht? Lesen Sie das Buch trotzdem, denn mit dem Erlernen des genauen Hinsehens und Entdeckens wird Ihr Leben reicher.