Sommer in Odessa

Ukraine, Odessa, 2014: Die Medizinstudentin Olga erzählt von ihrer außergewöhnlichen Familie. Diese lebt zusammen in einer Wohnung und besteht aus sieben Frauen und einem Mann. Der Mann ist der Opa, der nie einen Sohn gehabt hat und seine drei Töchter und deren Töchter tyrannisiert. Alle werden seinen Ansprüchen nicht gerecht, nur Olga hat anfangs noch ein etwas besseres Verhältnis, weil der Großvater für die Familienehre seine ganze Hoffnung in sie setzt, denn als Ärztin „ist man schließlich wer“. Olga, die eigentlich gar keine Lust auf ein Medizinstudium hat, kann sich diesem Erwartungsdruck nicht widersetzen und sucht Trost bei ihren Freunden Mascha, Radj und Sergej.
Es ist Sommer in Odessa und dessen Leichtigkeit und die Schönheit der Stadt lassen Olga die Familienhölle an manchen Tagen vergessen. Doch dann ändert sich das Leben von Olga. David, der alte Freund von Opa, besucht ihn zu dessen 75. Geburtstag. Sehr lange haben sich die beiden Männer nicht mehr gesehen, denn David ist vor Jahren nach New York ausgewandert. Opas Laune bessert sich, der Alltag wird in der Wohnung für kurze Zeit erträglich. Im Gegensatz dazu nehmen die Probleme auf der Straße immer weiter zu. Ein Riss geht durch die Bevölkerung der Ukraine. Die einen wollen in die EU und sind pro westlich, die anderen halten an der Verbindung zu Russland fest. Es gibt gewalttätige Demonstrationen und Streitereien auf der Straße.
Die Politik, aber auch die plötzlich abnehmende Zuneigung zwischen Opa und David machen das Leben in der Wohnung wieder unerträglich. Langsam zerfällt die Familie, denn David hat noch einen anderen Grund für den Besuch in Odessa und dieses Geheimnis lässt Olga schließlich einen neuen Lebensweg einschlagen.

Als ich das Buch gelesen habe, musste ich als Außenstehende bei den Tyranneien des Opas häufig schmunzeln. Mich erinnerten einige Szenen an Opa Hoppenstedt von Loriot. Dann besuchte ich letzte Woche eine Lesung der Autorin. Irina Kilimnik kommt aus Odessa, lebt aber seit dem 15. Lebensjahr in Berlin. Sie studierte hier Medizin bis zum 2. Staatsexamen und hörte dann auf. Die Texte aus dem Roman las sie recht emotionslos vor, manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie immer unter den Erinnerungen an ihrem Großvater litt. Fast schämte ich mich für mein Lächeln.
Die politische Seite des Romans ist mit den heutigen Kenntnissen und Ereignissen bedrückend. Er erzählt eine Geschichte, die so heute nicht mehr passieren kann.
Ein gutes Buch.

Ich wünsche mir die Herrlichkeit von Emden!

Dieses Zitat findet sich in einer Faust-Bearbeitung des englischen Dichters Christopher Marlowe. Verbinden Sie Emden mit Herrlichkeit? Ich tat es nicht. Für mich war Emden Otto, Karl Dall, die Emdener Kunsthalle und das VW-Werk.
Aber nach einer Stadtführung mit Gila Engelhard sieht das jetzt schon ein bisschen anders aus. Die Geschichte der Stadt ist sehr spannend und wir bekamen u.a. auch die Erklärung zu dem Zitat. Im 16. Jahrhundert wurde Emden zur reichen Stadt, weil die kluge Fürstin Anna für alle Einwohner Religionsfreiheit versprach. Viele wohlhabende holländische Reformationsanhänger flüchteten daraufhin nach Emden, weil in Holland der Katholizismus mit Gewalt gegen Andersgläubige verteidigt wurde. Die Holländer bauten prächtige Häuser und waren gewitzte Kaufmänner, Emden wurde so reich und so gut geschützt, dass die Oberen der Stadt es nicht für nötig hielten, dem Hanseverbund beizutreten.
Zurück zur Neuzeit: In Emden gibt es zwar eine „Altstadt“, hier stehen aber nur noch zwei dieser herrschaftlichen Häuser.


Alle anderen Gebäude wurden im zweiten Weltkrieg zerbombt. Ca. 90% der Stadt Emden lagen in Schutt und Asche. Dreißig Bunker hielten stand und erinnern heute noch an die schreckliche Zeit. Sie werden sehr unterschiedlich genutzt und gehören zum Stadtbild von Emden.

Ein Museum

Thema Emdener Museen: Im alten Hafen gibt es mehrere Museumsschiffe, die man besuchen kann, auf einem alten Feuerschiff ist ein gutes Restaurant untergebracht.

Gebäude im Hintergrund ist das alte Rathaus mit dem Ostfriesischen Landesmuseum

In einem kleinen maritimen Museen arbeiten ehrenamtlich alte Seebären und erklären bei einem Pott Kaffee die Ausstellungsstücke und erzählen auch gerne mal ein bisschen Seemannsgarn.
Das Ottohuus: Ein Wallfahrtsort für Fans. Hier sind die ersten Bartstoppeln von Otto oder auch ein von Otto gekautes Kaugummi ausgestellt. Für mich war eine Vitrine das Highlight, in der man sich viele Medienpreise im Original ansehen kann, wie z.B. den Grimme-Preis, das Bambi usw. Otto hat sie alle! Für Menschen mit Platzangst ist das Museum nicht zu empfehlen, denn die Räumlichkeiten sind eigentlich zu klein für die vielen Memorabilia.

Nun aber zur Emdener Kunsthalle, erbaut vom Sternherausgeber Henri Nannen Mitte der 80er Jahre. Ihr Ruf ist international, auch sie gilt als Wallfahrtsort…für Kunstfreunde.

Diese Kunstsammlung hat seit 1987 immer wieder herausragende Ausstellungen gezeigt zum Thema moderne Kunst. Wir sahen „Ein Bild der Zeit- Expressionismus in Film und Kunst“. Werken von beispielsweise Heckel, Dix, Goetz, Kirchner oder Pechstein wurden Sequenzen von Filmen aus den 20er Jahren wie „Das Cabinet des Dr. Calgari“, „Nosferatu“ oder „Metropolis“ gegenübergestellt. Die Auswirkungen des ersten Weltkriegs und die Erforschung der Psyche des Menschen waren dabei prägend.- Eine Ausstellung, die mir nahe ging, denn offensichtlich sind die aktuellen Bezüge.

Emden als Ziel für ein langes Wochenende? Neben unseren Aktivitäten an einem Tag kann man noch eine Grachtenfahrt machen, sich selbst ein Böotchen mieten oder sich den großen modernen Hafen vom Wasser aus ansehen. Mehrere Einkaufsstraßen sind überdeckt, so dass man trocken bummeln kann. In Emden ist eigentlich immer etwas los, vielleicht kombinieren Sie den Besuch mit einem Konzert? Und schließlich bietet das Umland von Emden auch noch schöne Ziele. Eins davon zeige ich Ihnen nächste Woche.

Sie hatte ihr eigenes Besteck

Zum heutigen Bild gibt es eine Geschichte:
Mein Mann und ich waren am Wochenende an der holländischen Nordseeküste. In unserem kleinen Hotel waren u.a. auch Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht, bzw. es kamen in der Nacht auch noch Flüchtlinge an. Morgens im Frühstücksraum saß außer uns eine junge ukrainische Frau gedankenverloren alleine an ihrem Tisch. Sie holte aus ihrer Tasche einen Frischhaltebeutel mit Besteck. Erst als die Hotelbesitzerin es geschafft hatte, ihr begreiflich zu machen, dass sie sich beim Frühstücksbuffet bedienen könne und es dort auch Besteck gäbe, steckte sie den Beutel wieder in ihre Tasche. Mich hat diese Szene sehr berührt.

Flüchtlingsbesteck

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Herr Origami

Auf diesem Foto sehen Sie meinen ersten gefalteten Kranich. Für alle, die es auch einmal versuchen möchten, füge ich nach der Buchbesprechung einen YouTube Link hinzu. Dieses Lernvideo war für meine beiden linken Hände das beste.

Der junge Japaner Kurogiku arbeitet bei seinem Vater in einem Dorf, das für sein handgeschöpftes Washipapier berühmt ist. Eines Tages geht am Fenster der Werkstatt eine Europäerin vorbei, in die sich Kurogiku sofort verliebt. Doch niemand kennt sie im Dorf, er findet nur heraus, dass sie aus Italien stammt. Der junge Mann reist nach Europa und macht sich dort auf die Suche nach ihr. Die schöne Italienerin bleibt unauffindbar und so landet Kurogiko schließlich in der Toskana. Er zieht in ein aufgegebenes Haus und beginnt mit dem Papierschöpfen und dem Origamifalten. Jahre vergehen, in denen Herr Origami, wie die Einheimischen ihn inzwischen nennen, auf den Zufall hofft, der die Italienerin zu seinem Haus führen wird.
Eines Tages kommt ein junger Mann vorbei, der eine Unterkunft sucht. Er heißt Casparo und ist Uhrmacher. Beide Männer verstehen sich ohne viele Worte, denn wie bei Herrn Origami ist auch Casparo von seinem Handwerk beseelt und möchte eine einzigartige Uhr erschaffen. Aus den Männern werden fast Freunde, die zusammen nach Japan fliegen, um dort Kurogikus Dorf zu besuchen. Dort erzählt der alte Mann Casparo von dem Fugo-Projekt, bei dem aus dem unschuldigen Washi Papier seines Vaters eine Kriegswaffe wurde. Kurogikos Satz „Jede Schönheit hat seine Schattenseiten.“ wird danach der rote Faden diese schmalen Romans.
Alle Buchkapitel erinnerten mich beim Lesen jeweils an eine japanische Tuschemalerei: mit wenigen Pinselstrichen (Sätzen) wird von einem Universum erzählt. Ein Buch, das bei mir noch lange nachklingen wird.