Spiegel, Spiegel an der Wand, was gibt es Neues in unserem Land?

Im letzten Monat bekam ich diese Spiegelausgabe von 1959 geschenkt.

Ich habe ihn mit großem Vergnügen gelesen, zeigte er mir doch mehrfach, dass früher nicht alles besser war. Aber der Reihe nach.

Direkt am Anfang hatte ich bei den Leserbriefen zwei Déjà-vu Erlebnisse. Auch damals gab es schon unflätige Schreiberlinge:

Medizinische Notstände führten zu solchen Beiträgen:

Auch durch Anzeigen bekommt man einen Eindruck vom Alltag Ende der 50er Jahre:

Themen der Zeitungsartikel waren z.B. der Kalte Krieg (Überschrift: Wenn die rote Uhr tickt, wird Moskau vernichtet), Verstrickungen im Ufa Konzern, Korruption oder Wertverlust des Geldes. Nichts, was das Leben fröhlicher macht. Schon damals gab es aber auch schon die Rubrik „Personalien“ und den „Hohlspiegel“. Unter diesen Überbegriffen wurden wie heute Launiges über Menschen berichtet, bzw. witzige Textstellen aus Anzeigen, Zeitungsartikeln und anderem Geschriebenen wiedergegeben.
Den „Heimatknüller“ fand ich in einem Artikel unter der Überschrift „Dackel aus Gergweis“. Bei einem Preisausschreiben hatte die Zeitschrift „Revue“ 1000 Dackel als Preise verlost. Die Gewinner bekamen einen Gutschein über einen Dackel und konnten den Gutschein bei einer Züchterin in Gergweis einlösen. Der Skandal: Laut des Deutschen Teckelklubs e.V. in Duisburg lieferte die Frau die Dackel ohne anerkannten Stammbaum aus. Nur die „stolzen Stammbäume“ vom Teckelklub wären im In-und Ausland bei Ausstellungen und Prüfungen anerkannt. Die Duisburger leiteten deshalb rechtliche Schritte gegen die bayerische Züchterin ein. Welch ein Glück, dass es die Duisburger damals gab, denn so konnte eine internationaler Zwischenfall vermieden werden. Prinz Charles und Prinzessin Anne sollten jeweils mit Dackeln beschenkt werden, die ursprünglich aus Gergweis kamen. In letzter Sekunde konnte der Duisburger Teckelklub dies verhindern- man stelle sich die Peinlichkeit vor, wenn die Engländer herausbekommen hätten, dass die Dackel nur einen Pseudostammbaum besaßen! (Den Inhalt dieses Artikels habe ich nur sehr verkürzt wiedergegeben, es gab noch andere dramatische Details).

Wie ich auf der Homepage des Duisburger Teckelklubs lesen konnte
https://www.duisburgerteckelklub.de/index.php/historie ,erreichte die Mitgliederzahl 1960 den absoluten Höchststand von 148 Teckelfreunden und Dackelfreundinnen- 2020 waren es 65.

1960 wurde in Gergweis der „Internationale Dackelclub Gergweis e.V.gegründet. Sehen Sie sich spaßeshalber auch einmal diese Homepage an, zwischen beide Internetseiten „liegen Welten“. https://www.irjgv-baden.de/Hauptverband/IDG/idg.html

Kaffee mal so, mal so

Dies ist eine Ergänzung zu meinem Beitrag vom 14.2.2020. An diesem Tag erzählte ich Ihnen unter dem Titel „Äthiopien und Eritrea in Duisburg“ von meinem Besuch in „Simon’s Restaurant“.
Nun waren wir ein weiteres Mal dort und hatten Glück, denn die Frau des Besitzers war da. Sie ist verantwortlich für die Zubereitung äthiopischen Kaffees und wir bestellten bei ihr nach einem erneut leckeren Mahl „eine Runde Kaffee“. Zuerst zeigte sie uns einen Blechtopf, in dem die schon teilweise gerösteten Kaffeebohnen lagen – es roch wunderbar! Sie ging mit dem Topf in die Küche zurück und nach einer kleinen Weile kam sie mit diesem Tablett an unseren Tisch:

Zuerst wurde links in dem grünen Gefäß eine Art Weihrauch entzündet, wohl um unsere Geruchs-und Geschmacksnerven noch mehr zu stimulieren, dann füllte sie die Tässchen:

Dazu gab es ungesüßtes Popcorn und Kichererbsen zum Knabbern. Der Kaffee schmeckt würzig, tut man Zucker hinein, erinnert er an intensiven Kaffeelikör ohne Alkohol.
Der Vergleich kam mir deshalb in den Sinn, da ich zwei Tage zuvor diese Flasche geschenkt bekommen hatte:


Schmeckt mir sehr gut, da dieser Baileys nicht so süß ist wie die anderen Sorten. (Deshalb hier noch einmal ein besonderes Dankeschön an meine treue Leserin K. aus Rheinhausen!

Keine bezahlte Werbung!

Dank einer Leserin

Die Liebe zur Heimatstadt Duisburg fällt manchmal schwer, doch dann bin ich auch wieder dankbar, dass ich hier wohne. Dafür verantwortlich ist u.a. die Duisburger Zentralbibliothek. Sie hat vor einigen Monaten einen neuen Online Auftritt bekommen. Zuhause auf dem Sofa sitzen,eine Tasse Kaffee steht bereit, sich online in den Regalen der Bücherei tummeln, Bücher entdecken und bestellen und schließlich in der Büchereifiliale vor Ort abholen, das ist für mich Freizeitgenuss. Das I-Tüpfelchen ist dann noch die Möglichkeit, sich Bücher via Fernleihe kommen zu lassen. Titel, die nicht im Bestand der Duisburger Bibliothek sind, aber in irgendeiner anderen vernetzten Bibliothek in Deutschland stehen, werden dort angefordert. Das habe ich schon mehrmals in Anspruch genommen. (Kostet pro Buch 3 Euro und man braucht pro Buch eine TAN-Nummer. Von diesen Nummern bekommt man von einer Mitarbeiterin zuvor via Mail mehrere mitgeteilt. Meine Bücher kamen z.B. aus Köln, Bielefeld oder der Bayerischen Staatsbibliothek in München in die Rheinhauser Bezirksbibliothek. Die meisten Bücher durfte ich für vier Wochen mit nach Hause nehmen, drei teure Kunstbildbände konnte ich mir vor Ort in Ruhe ansehen. Diese Stunden in der Bibliothek genieße ich ebenfalls. Der Service der Fernleihe ist deshalb so toll, weil ich schon lange vergriffene Bücher finde,

Ein Bildband aus dem Jahr 2003 über die Installationen und Bilder der amerikanischen Künstlerin Judy Pfaff

teure Bücher mir vorher ansehe, bevor ich sie mir kaufe

54,99 Euro für 290 Seiten- da ist ein Anlesen des Buches nicht das Schlechteste

oder Titel von kleinen Verlagen, die in Buchhandlungen nur sehr selten vorrätig sind, lesen kann.

Dieses Buch erschien 2018 im Golkonda Verlag

Ich freue mich schon auf das neue Jahr, denn längst habe ich noch nicht alle Serviceangebote der Duisburger Bibliothek ausprobiert. Ich weiß, dass ich immer freundliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fragen kann, wenn ich etwas nicht verstehe und fühle mich immer gut aufgehoben.

Deshalb mal der Dank einer Leserin.

Entgooglen Sie sich

Heute früh wurde in den Nachrichten verkündet, dass Brasilien in diesem Jahr bisher 13000 Quadratkilometer Urwald am Amazonas abgeholzt hat. Das ist eine neue Rekordzahl…

Foto von Pixabay

Die Information, dass Bäume helfen, den CO2 Ausstoß abzumildern, sollte inzwischen den meisten Menschen schon einmal begegnet sein.
Jeder kann beim Pflanzen von Bäumen mithelfen, wenn er eine Gewohnheit ablegt und nicht mehr Google benutzt. Ich habe schon früher einmal in einem anderen Artikel auf die Suchmaschine „Ecosia“ hingewiesen, deren Betreiber für ca . 45 Suchanfragen eines Nutzers einen Baum pflanzt. Ohne es groß zu merken, habe ich seit Benutzung von Ecosia inzwischen 93 Bäume gepflanzt. Google vermisse ich nicht und freue mich einfach nur, ein bisschen gegensteuern zu können.
Wer Ecosia einmal ausprobieren möchte: https://www.ecosia.org/?c=de

Passend zu der Meldung aus Brasilien wurden in der heutigen Zeitung die Bürger aufgerufen, bei einer Umfrage zum Thema Klimawandel in Duisburg teilzunehmen. Kann nicht schaden, mal seine Meinung zu der Klimakompetenz der Duisburger Politiker zu schreiben. Hier geht es zur Umfrage:

 www.duisburg.de/klimabefragung 

Das ist der Zeitungsartikel aus der heutigen Rheinischen Post:

Stadt befragt Bürger zum Klimawandel

FOTO: BLOSSEYIn Duisburg kommt es immer wieder zu Hochwasser.

Die Duisburger sind zur Teilnahme an einer Umfrage aufgerufen. Dabei geht es auch um Hitzeereignisse und Starkregen.

DUISBURG | (RPN) Bei dem Starkregen und den folgenenden Überschwemmungen vor vier Monaten kam Duisburg deutlich glimpflicher davon als weite Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Aber auch im Stadtgebiet häufen sich nach Erkenntnissen der Experten die Anzeichen und Folgen des Klimawandels: Hitzeereignisse nehmen zu, Starkregen tritt öfter auf, und in Trockenphasen sinkt der Rheinpegel auf Niedrigstände.

Um sich auf die Folgen besser vorbereiten zu können, führt die Stadt Duisburg nun eine Bürgerbefragung durch. Fragen darin unter anderem: Wie sehen Sie den Klimawandel, wie gefährdet sehen Sie Duisburg und sich selbst? Welche Bereiche der Stadt sind besonders anfällig, wo muss etwas getan werden? Wo müssen wir bei der Anpassung an den Klimawandel in Duisburg besonders auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit achten? Wie soll die Balance zwischen Selbstschutz und städtischem Handeln aussehen? Die Beantwortung der Fragen dauert nach Einschätzung der Stadtverwaltung etwa zehn Minuten.

„Es ist wichtig, dass sich möglichst viele Duisburgerinnen und Duisburger an der Umfrage beteiligen, damit auf die Sichtweisen und Bedürfnisse eingegangen werden kann“, erklärte Stadtsprecherin Susanne Stölting.

Eine Teilnahme ist unter www.duisburg.de/klimabefragung möglich. Außerdem findet zu dem Thema am Donnerstag, 25. November, von 17 bis 18 Uhr eine Online-Bürgersprechstunde statt. Interessenten können sich unter klimaschutz@stadt-duisburg.de anmelden und bekommen dann den Link zur Teilnahme zugeschickt.

Bunt ist meine Lieblingsfarbe

Dieses Zitat von Walter Gropius ist das Motto unserer neuen Ausstellung im AWO BBZ Rheinhausen. Ist es draußen nebelig oder grau und man ist novemberbluesgefährdet oder dezembervorweihnachtsgestresst, lohnt sich ein kleiner Spaziergang. In unseren Fenstern zeigen wir achtzehn Bilder, in denen Farben und Zitate oder Haikus sich bestens ergänzen. Hier zwei Beispiele:

Die Ausstellung geht bis Ende Dezember.

MSV Duisburg Problem in Reimen

Seit ein paar Tagen freue ich mich jeden Abend auf diese Nachttischlektüre:

Wer Fritz Eckenga nicht kennt, so beschreibt er sich auf seiner Homepage: Fritz Eckenga ruhrt in sich selbst. Vom Stützpunkt Dortmund aus dichtet er sich die Welt zusammen. Die Ergebnisse stellt er auf Bühnen, in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und im Radio vor. Eckenga spielt Solo-Programme, schreibt Theaterstücke, Hörbücher und ist Radiokolumnist.
Dieses Buch enthält alle Gedichte bis zum Jahr 2015. Ja, er ist ein „Ruhrpottkind“ und ja, ich bin es auch und sein Humor und seine Sprache erfreuen mich ungeheuer. Mal knallt er einer Bevölkerungsgruppe direkt etwas vor den Latz und regt sich öfter tierisch auf, mal feiert er ein Zynismusfest, dann taucht plötzlich ein kurzes leises Gedicht auf, nein, er ist nicht nur ein Holterdipolterdichter, er gibt auch Einiges über seine eigenen Befindlichkeiten preis.
Ein Gedichtbeispiel soll folgen. Den Text las ich vorgestern Abend und heute früh steht ein Artikel über die Jahreshauptversammlung vom MSV Duisburg in der Zeitung. Die Presse wurde ausgeschlossen, aber die Frage nach dem neuen Trainer beim MSV bleibt…

Ging mir nicht mehr aus dem Kopf und später beim Postkartengestalten kam dann auch prompt diese Karte heraus:

Hoffentlich in Kürze im Stadion: Die Presse ist wieder wohlgelitten und wurde zur Vorstellung des neuen MSV Trainers eingeladen. Die Journalisten wünschen ihm und dem MSV viel Glück.

Tja, was soll ich sagen…

Ein Krimiabend mit Dominique Manotti (Französischstunde Nr. 31)

Letzte Woche war auf Einladung der Duisburger deutsch-französischen Gesellschaft und der Duisburger VHS die französische Krimiautorin Dominique Manotti im Café Museum im Kantpark zu Gast. Ich hatte letztes Jahr auf ARTE einen Bericht über die Stadt Marseille gesehen und dort trat u.a. auch Frau Manotti auf. Da ich sie sehr sympathisch fand, besuchte ich jetzt ihre Lesung.

Waltraud Schleser und  Wolfgang Schwarzer von der deutsch-französischen Gesellschaft führten durch den Abend und machten dies sehr gut. Da Frau Manotti kein Deutsch spricht, übersetzten die beiden abwechselnd Frau Manottis Ausführungen, so dass man selbst bei geringen Französischkenntnissen einen unterhaltsamen Abend verbrachte.
Zuerst erzählte Frau Manotti ein bisschen über ihr Leben, das in den 60er und 70er Jahren geprägt war durch politisches Engagement und Arbeit für die Gewerkschaft. Die Machtübernahme Mitterands bedeutete für sie einen großen Einschnitt, denn nach ihrer Meinung hat Mitterand die politischen Ideen der Linken verraten. Ihr Leben bekam eine neue Richtung und sie begann im Alter von 50 Jahren, Kriminalromane zu schreiben. Ausschlaggebend war die Lektüre eines Buches des amerikanischen Autors Ellroy. Ihr wurde klar, dass man mit Kriminalromanen Menschen erreichen und aufklären kann.
Manotti wurde schnell erfolgreich, denn in ihren „Crime noir“ verarbeitet sie tatsächlich stattgefundene  Skandale in Frankreich.

In ihrem neusten Buch, aus dem sie zwei Passagen vorlas,

geht es um Rassismus in Frankreich. Die Quelle vieler Übel dieser Art ist der Algerienkrieg in den 60er Jahren und in ihrem Krimi erzählt Manotti von mehreren Morden an algerischen Mitbürgern in Marseille. Diese Straftaten werden von der Polizei und noch höheren Behörden kleingeredet oder noch lieber unter den Teppich gekehrt. Aber es gibt glücklicherweise eine Handvoll Polizisten und Anwälte, die dagegen angehen. 
Am Anfang fand ich den Krimi (knapp 400 Seiten) etwas schwierig zu lesen, da viele Organisationen pro/ contra Einwanderer, Arbeiter, Franzosenalgerier in der Geschichte involviert sind und ich erst lernen musste, die Gruppierungen auseinander zu halten.  Aber insgesamt ist es ein sehr lesenswertes Buch, da es, wenngleich es in den 70ern spielt, an Aktualität nichts verloren hat.

Auf den Geschmack gekommen, wurde Manottis ersten Krimi, der 1995 erschien, meine nächste Lektüre.

1980, Paris. Im Stadtteil Sentier waren damals wie noch heute viele Schneidereien und Läden angesiedelt, die von den bekannten Modehäusern Aufträge bekamen. (Siehe auch Beitrag „Frischlufttherapie“). Damals arbeiteten hauptsächlich nur Männer in diesem Metier, viele kamen aus der Türkei. Die meisten von ihnen besaßen keine Arbeitsgenehmigung und wurden ausgebeutet.

Das führte irgendwann dazu, dass sich die Arbeiter organisierten und auflehnten. Inspektor Daquin, den ich aus dem Marseiller Krimi bereits kannte, versucht mit seinen Kollegen einen Drogenhandel aufzudecken und gerät dabei in die Arbeitskämpfe.
Manotti hat für die Gewerkschaft lange in dem Viertel Sentier gearbeitet, so verwundert es nicht, dass sie ihren ersten Krimi hier ansiedelt. Ich fand diesen Krimi härter, aber man ist schneller Thema drin.

Herbsteinstimmung mit Haikus

Heute beginnt für Meteorologen der Herbst. Ich möchte Sie mit ein paar herbstlichen Haikufotos darauf einstimmen.

Wer Lust auf mehr Haikus hat: Bis Ende Oktober gibt es in den Fenstern des AWO BBZ auf der Friedrich-Ebert-Str. in Rheinhausen eine kleine Fotoausstellung von mir.

Mein kleiner Wahlkampf hat begonnen

Alle Eltern und Großeltern, die seelenruhig oder gleichgültig sind, wenn es um die Frage geht, wie die Zukunft ihrer Kinder/ Enkel auf dieser Erde aussieht, beneide ich sehr. Mein Seelenfrieden ist angeschlagen.
Ich habe weder Enkel noch Kinder, aber ich gehöre zu der Generation, die diese Klimaveränderungen mit verursacht hat und da ist es für mich das Mindeste, die Personen zu unterstützen, die versuchen, noch Schlimmeres zu verhindern.

Dieser Zettel klebt an der Scheibe meines Autos und an ein paar anderen Plätzen. Ob er ein Elternpaar oder Großeltern zum Nachdenken bringt?

Am letzten Samstag (21.8.) erschien in der Rheinischen Post dieser „Sommerartikel“.

Der Sommer wird zur Bedrohung

ESSAY Er war die Jahreszeit, in der man nach draußen ging und das Leben leicht nahm. Das ist vorbei. Durch den Klimawandel hat sich die Natur gegen uns gewendet. Der Sommer ist nun Hochrisikogebiet. Ein Abgesang.VON PHILIPP HOLSTEIN

Dieser Sommer fühlt sich anders an. Vielleicht, weil vielen Menschen bewusst wird, dass diese Jahreszeit sich verändert hat. Dass sie womöglich nicht länger Anlass ist, sich zu freuen. Es könnte sogar sein, dass wir Abschied nehmen müssen vom Sommer, wie wir ihn kannten. Die Sonne hat sich gegen uns gewendet. „Wann kommt die Flut“ statt „Walking On Sunshine“.

Bisher war der Sommer ein Fluchtpunkt, ein Sehnsuchtsraum. Er war die Zeit der großen Ferien, in denen man frei von Verpflichtungen des Alltags an ferne Orte reiste. Im Sommer begab man sich zumeist in die Natur. Außerhalb der gewohnten Zusammenhänge bot sich die Gelegenheit, man selbst zu sein. Im Sommer fanden Hochzeiten statt, die Menschen kamen bei Sportturnieren und Kulturfestivals zusammen, sie verbrachten ganze Tage im Freibad, dufteten nach Chlor und Wassermelone. So viele Lieder, Bücher und Filme spielen in den Monaten Juli und August. „Stand By Me“ und „Call Me By Your Name“ erzählen vom Erwachsenwerden in der Sonne. „Summertime, when the livin’ is easy“, sang Billie Holiday.

Dieses Jahr zeigt uns, dass das Leben nicht mehr unbeschwert ist. Dabei sah es zunächst so aus, als würde das ein Spitzen-Sommer werden. Einen „Hot Vax Summer“ prognostizierten amerikanische Medien. Das Gros der Menschen würde geimpft sein, man könnte einander ohne Masken begegnen und den Wiedereintritt ins Leben feiern, hieß es. Renaissance in Badelatschen. Es kam anders: Hochrisikogebiet Sommer.

Die Delta-Variante sorgte dafür, dass viele Menschen Urlaubsreisen absagen mussten, weil ihr Ziel zum Virusvariantengebiet erklärt wurde. Zu Hause konnten sie nicht mehr einfach so ins Freibad gehen, sondern mussten Zeitfenster buchen. Und dann schlug das Wetter zu. 

In Deutschland, England, Belgien, China, Jemen, Indonesien und Indien gab es Starkregen und heftige Überschwemmungen. In Tschechien Tornados. In Italien, Sibirien, der Türkei, in Griechenland, Bulgarien und den USA brannte der Wald. Jeden Tag wurde der Wortschatz um einen katastrophalen Begriff erweitert: „Bootleg-Fire“, „Dixie-Brand“, „Hitzedom“. Die Folgen waren indes nicht mehr in Begriffe zu fassen. Viele Menschen starben. Viele verloren ihre Existenz. „Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für die Verwüstung, die hier angerichtet ist“, sagte Angela Merkel im Ahrtal.

Der Jetstream, der Wetterquirl also, ist schwächer geworden. Das bedeutet, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete länger an einem Ort bleiben und extreme Wetterlagen begünstigen. Zwischen 1952 und 2011 habe sich die Dauer des Sommers von 78 auf 95 Tage verlängert, las man. Und dass die Atmosphäre in den vergangenen 100 Jahren um ein Grad wärmer geworden sei. Ein Grad Erwärmung bedeutet einerseits eine um 20 Prozent höhere Waldbrandgefahr; anderseits sieben Prozent mehr Wasser in der Atmosphäre. Und dieses Wasser will abregnen. Überall auf der Welt waren die Folgen des Klimawandels geballt und zur gleichen Zeit zu spüren.

Es gab Temperaturen bis 49 Grad. In den USA durften an Orten wie Kennewick keine Schulbusse mehr fahren, weil man es Kindern nicht zumuten konnte, darin zu sitzen. Feriencamps in der Natur wurden wegen der Hitze in Turnhallen verlegt. Im Sommer draußen zu sein, ist gefährlich geworden. Könnte sein, dass Sommer künftig gleichzusetzen ist mit sozialer Isolation, wie wir sie aus den Lockdowns kennen.

Früher habe man von „historischen Wetterphänomenen“ gesprochen oder von „Hitze ungekannten Ausmaßes,“ schreibt die „L. A. Times“. Heute sei es „das neue Normal“. Die BBC prognostiziert, der Sommer werde zu heiß für die Menschen. Und die „New York Times“ betrauert den Abschied vom bisherigen Verständnis des Sommers. Die geochronologische Epoche, in der wir leben, wird Anthropozän genannt. Der Begriff bezeichnet das Zeitalter, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Nun wirkt es so, als könne der Mensch die Eingriffe in die Erde weder rückgängig machen noch mit ihren Folgen leben.

Die 24 Jahre alte Popsängerin Lorde hat soeben ein Album über den Sommer veröffentlicht. Es trägt den Namen „Solar Power“ und klingt wehmütig und trotzig zugleich. Im Interview mit dem „Spiegel“ beschreibt Lorde die Sonne als lebenspendende Kraft, die uns alle umbringen werde. Sie habe sich nostalgische Vorbilder für ihre Musik gesucht, die Eagles sowie Crosby, Stills & Nash etwa. Angesichts von Klimawandel, gesellschaftlichen Kluften und politischen Krisen falle es ihr sehr schwer, hoffnungsvoll in die Zukunft ihrer Generation zu blicken.

Aber vielleicht gibt es ja doch noch Anlass zur Hoffnung. Dann nämlich, wenn dieser Sommer auch von denen, die bisher skeptisch waren, als handfester Beweis gewertet wird, dass Klimawandel nichts Abstraktes ist. Wenn jetzt sofort und nicht vielleicht irgendwann mit größter Kraft und nicht bloß mit guter Absicht der Lebensstil verändert wird, der zu den Phänomenen führte, die nun mit Macht auftreten. Und wenn zudem schon praktisch für den Alltag der Zukunft vorgesorgt wird und etwa Städte mehr Parks bekommen, Bäche und Schatten und so weiter.

Die Verse aus dem Sommerhit von Mungo Jerry haben jedenfalls eine andere Bedeutung bekommen: „You can stretch right up and touch the sky / When the weather’s right.“

INFO49,6 Grad Celsius in British Columbia 

Prognose Bei einem sofortigen Stopp aller klimarelevanten Emissionen würde sich die Erde allein in diesem Jahrhundert um etwa 1,1 Grad erwärmen. Das zeigt eine Studie von Thorsten Mauritsen vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie und seinem Kollegen Robert Pincus, Wissenschaftler der University of Colorado, aus dem Jahr 2017.

Hitze 49,6 Grad Celsius zeigte das Thermometer Ende Juni in Lytton (Provinz British Columbia). Die örtliche Wetterbehörde teilte mit, der Wert sei der „Allzeit-Temperaturrekord“ für Kanada.

Hochwasser Bei der Flutkatastrophe dieses Sommers in Deutschland starben mehr als 180 Menschen. Betroffen sind Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Das Hochwasser gilt gemessen an der Opferzahl als schwerste Naturkatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut 1962.