Die Kolonie- ein nordirisches Inselleben

Wir schreiben das Jahr 1979.
Der Franzose Jean-Paul Masson reist seit vier Jahren im Sommer zu einer kleinen abgelegenen irischen Insel. Dort sprechen noch einige wenige Bewohner die alte irische Sprache und er will als Sprachwissenschaftler erforschen, wie diese Sprache durch das Englische verdrängt wird. Die Inselbewohner mögen JP und unterstützen ihn, die junge schöne Witwe Mainhead wird seine Geliebte.
Doch im fünften Sommer ist alles anders. Als JP eintrifft, ist er nicht der einzige Gast. Der englische Künstler Mr. Lloyd hat sich einquartiert. Er kommt aus London, seine Frau hat hat eine Kunstgalerie, hält seine Bilder aber schon seit geraumer Zeit für antiquiert. Lloyd hofft, auf der Insel neue Inspirationen für seine Bilder zu finden.
JP und Lloyd wohnen nebeneinander und sind wie Hund und Katze. Lloyd wird von JP bei seiner Suche nach inspirierender Stille gestört, JP befürchtet, dass durch Lloyd die Inselbewohner mehr Englisch sprechen und damit Massons Bestrebungen untergraben werden, dieses Jahr seine Doktorarbeit beenden zu können.
Schließlich zieht Lloyd in eine abseits gelegene Hütte ohne Wasser und Strom. Die meisten Bewohner mögen den Engländer nicht, nur Maeinhead und ihr fünfzehnjähriger Sohn James zollen ihm Respekt und kümmern sich etwas um ihn. So gehen die Wochen dahin und es ergibt sich, dass Meinhead Lloyds Modell wird und James bei ihm zu zeichnen anfängt. Schnell erkennt Lloyd, dass James sehr begabt ist und Insel-und Naturszenen besser darstellt als er selbst. Er will James fördern und ihn mit nach London nehmen, um ihn zur Kunstakademie zu schicken. Auch eine gemeinsame Ausstellung in der Galerie seiner Frau kann er sich vorstellen. James malt wie im Fieber, denn er will weg von der Insel. Er möchte nicht wie sein Vater Fischer werden und eines Tages von einer Ausfahrt nicht mehr wiederkommen.
Die Abreise von JP und Lloyd rückt näher und näher rücken auch die tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten auf dem Festland. Hört man anfangs nur manchmal im Radio eine Meldung, dass wieder eine Bombe gezündet wurde und Menschen starben, häufen sich diese Meldungen im Laufe der Geschichte und gipfeln in zwei Anschlägen, bei denen u.a. Verwandte der Queen getötet werden. Nun ist auch die Insel involviert, denn Einwohner nehmen Partei und die Situation für Lloyd als Engländer wird nicht einfacher. Er muss nur noch sein übergroßes Meisterstück beenden, dann wird er gehen. Das Bild zeigt eine Inselszene mit allen Bewohnern und James erkennt darauf seine eigenen Bilder wieder. Zufall oder Verrat?


Wenn mich jemand fragen würde, was Literatur ist, dann sage ich: „Lesen Sie das Buch „Die Kolonie!“ Die Geschichte, die Atmosphäre des Buches, die Beobachtungen, die Sprache, die angerissenen Themen- perfektes „Material“ für einen Buchclub, in dem Menschen diskutieren und jeder etwas anderes in diesem Roman entdecken wird.

Selbstfindung einer Großmutter

Oscar kommt aus reichem Haus und ist ein mathematisches Wunderkind, das mit 17 Jahren bereits an der Universität studiert. Am ersten Tag in der Uni setzt sich im Hörsaal Moni neben ihn. Diese Person ist für den nerdigen Oscar völlig inakzeptabel, denn sie ist alt (53), ihre grelle Erscheinung verursacht bei ihm Augenkrätze, Moni ist laut und hat scheinbar von Mathematik keinen blassen Schimmer. Auch bringt sie immer häufiger zu Vorlesungen ein Baby mit, das jüngste Kind ihrer Tochter Püppi, die mit ihrer Mutterrolle überfordert ist.
Professor Herbst verdonnert Oscar und Moni zur Zusammenarbeit und Oscar schreibt für Moni alle Hausaufgaben, um möglichst schnell wieder in die Einsamkeit seiner Wohnung entschwinden zu können. Doch dann erfährt er, dass Moni, die inzwischen mit jedem Professor und allen Studenten quasi per du ist, mit Daniel Johanssen sogar schon einen Kaffee getrunken hat. Oscar vergöttert diesen Professor, ein Mathematikgenie, dessen Assistent er zu gerne sein würde. Was kann Moni, was er nicht kann? Und wer ist dieses engelsgleiche Wesen, das eines Tages unerwartet um Moni herumschwirrt? Und warum will Moni unbedingt Mathematik studieren? Oscar beginnt, sich für Moni zu interessieren und lernt dabei eine Familie mit einer außergewöhnlichen Geschichte kennen.
Bald wird das Wetter wieder grau und trüb, das Buch ist ein garantierter Stimmungsaufheller- merken Sie sich diesen Titel vor!

Die Hölle in einer Familie

Diesen Roman hatte ich mir aus der Bücherei ausgeliehen, da der Titel für mich nach viel Musik und Klavierspielen klang. Aber das war nur die angenehme Seite der 460 seitigen Geschichte.

Karl Wittgenstein ist ein äußerst erfolgreicher österreichischer Stahlmagnat Anfang des 20. Jahrhundert. Er und seine Frau Poldi haben acht Kinder und wohnen im einem prachtvollen Wiener Palais. Sie nehmen rege am luxuriösen Leben teil, Karl betätigt sich als Mäzen für Komponisten und Maler. Dazu gehören u.a. Klimt, Kokoschka, Mahler und Brahms. Von außen betrachtet muss es eine glückliche Familie sein, der es an nichts fehlt. Doch dem ist nicht so.
Drei Söhne nehmen sich als junge Männer das Leben, bzw. verschwinden spurlos. Sie passen nicht in das Weltbild ihres mächtigen Vaters. Auch Paul und Ludwig Wittgenstein leiden unter Karl. Luki, später bekannt als der Philosoph Ludwig Wittgenstein, ist als Kind labil und versucht später durch extreme Entscheidungen, dem Fluch des Reichtums zu entkommen.
Paul Wittgenstein ist immer wie seine drei Schwestern bemüht, seinem Vater zu gefallen. Dabei treten sie in einen Wettstreit, bei dem von Geschwisterliebe nur in ganz wenigen Momenten etwas zu spüren ist. Paul ist der Verlierer. Selbst als ihm im ersten Weltkrieg der recht Arm abgenommen werden muss und er trotzdem danach eine Weltkarriere als Pianist aufbaut, ist er für die Familie nie gut genug. Um nicht wie seine Brüder ebenfalls durch die Familie mental kaputt gemacht zu werden, führt er ein Doppelleben mit diversen Geliebten, die nicht aus den entsprechenden Kreisen kommen. Es dauert lange, bis er eine Frau findet, die ihm etwas mehr Seelenruhe verschafft. Hilde, eine blinde Pianistin, schenkt ihm zwei Kinder. Zuerst versteckt er seine kleine Familie, doch dann ändert sich das Leben schlagartig. Im Jahr 1938 sind die Nationalsozialisten in Österreich an der Macht. Die jüdische Bevölkerung und alle Menschen mit Behinderungen müssen um ihr Leben bangen. In letzter Sekunde schafft es Paul, eine Flucht für sich und seine Familie zu organisieren. Damit endet der Roman. (In einem Epilog erfährt man kurz, wie das weitere Leben der Familie Wittgenstein verläuft).
Auf den ersten 100 Seiten war ich von diesem Roman enttäuscht, denn der Titel hatte mich anscheinend in die Irre geführt. Ich las einen Roman über eine Familie, über die es nur wenig Gutes zu sagen gibt. In dem Roman fand ich keine Sympathieträger. Ludwig Wittgenstein ist für mich dabei die unangenehmste Person, die sich den Schein der Armut gibt, um immer wieder in den Schoß des Reichtums zurückzukehren, wenn er das Zusammensein mit „Normalbürgern“ nicht mehr aushält. Aber auch Paul verhält sich fragwürdig. Selbst als gestandener Mann kann er sich den ungeschrieben Gesetzen der Familie nicht entziehen und lässt eine schwangere Geliebte im Stich, was in einer Katastrophe endet.
Was das Thema Musik angeht, so lernt man in diesem Roman viel über das Verhältnis von Pianisten und Komponisten. So beauftragt Paul beispielsweise den Komponisten Ravel, ein Konzert für die linke Hand zu komponieren. Dies endet in einem Debakel.
Ein gut zu lesender Roman mit dem Reiz, Blicke in das Leben einer berühmten Familie zu werfen und gleichzeitig Zeit- und Musikgeschichte präsentiert zu bekommen.

Wer ein kurzes Video mit Paul Wittgenstein am Klavier sehen möchte:


Die Löwenbändigerin

„Ich habe den Löwen gebändigt-
sehr her, seht her!“
Doch ihre Eltern sprachen über ihre Schulden
und beachteten die Tochter nicht mehr.

„Seht her, seht her-
ich reite jetzt nach Afrika fort!“
Doch die Eltern hörten von ihr
kein einziges Wort.

„Kommt her, kommt her
und helft mir von dem Löwen herunter!“
Doch auch das machte ihre Eltern nicht munter.

Die Eltern hatten ihre Tochter vergessen,
die beiden dafür zu verurteilen,
das liegt in Ihrem Ermessen.

„Sucht mich, sucht mich“,
war das Letzte, was die Tochter noch rief,
bevor sie in Afrika in der Mähne des Löwen einschlief.

Tante Martl

Drei Schwestern: Bärbl, die älteste und unauffälligste, dann Rosa, Papas Liebling, schön, charmant, berechnend, Mutter der Erzählerin und die jüngste, Martl, der der Vater nie verzeihen konnte, dass sie kein Martin geworden ist.

Während ihre beiden Schwestern Familien gründen, bleibt Martl ledig. Sie wird eine beliebte Grundschullehrerin, reist gerne, interessiert sich für Vieles und könnte ein zufriedenes Leben führen. Doch zwei Dinge sprechen dagegen: Ihre Eltern, insbesondere der Vater, erwarten von Martl, dass sie stets zur Verfügung steht und alle Probleme der Eltern löst. Martl ergibt sich aus Pflichtgefühl. Aber da ist auch noch eine andere Antriebsfeder: Der permanente Wettstreit zwischen ihr und ihrer Schwester Rosa. Beide Schwestern sind wie Feuer und Wasser und Fragen wie beispielsweise „Wer ist von ihnen der besserer Mensch?“ oder „Wer hat das erfülltere Leben?“diskutiert Martl endlos mit ihrem geliebten Patenkind, der Autorin des Buches.

Martl stirbt hochbetagt als Letzte in der Familie. Bis zuletzt begleitet Ursula März ihre Tante und setzt ihr mit diesem Buch ein liebevolles Denkmal. Dank eines etwas lakonischem Schreibstils und Martls pfälzischem Dialekts ist es dazu auch noch ein humorvolles Lesevergnügen.

Szenen für Hanns Dieter Hüsch

Gestern stellte ich ein paar neue Haikus vor, u.a. dieses hier:

Nun, wie war ich auf diesen Haiku gekommen? Ich lag an einem etwas kühleren Tag alleine auf einer der beiden großen Wiesen im nahen Schwimmbad, auf der anderen Wiese sonnte sich noch ein Ehepaar.Den See fast für sich alleine, dazu eine entspannende Ruhe- wunderbar! Gegen Mittag, ich war gerade im Wasser, sah ich, dass eine Familie kam. Großeltern, Mutter, zwei Kinder ließen sich direkt neben meiner Decke häuslich nieder. Innerlich tauchte bei mir ein großes Fragezeichen auf- warum rückte man mir so auf die Pelle? Ich schwamm wieder zurück und ging zu meinen Sachen. Während ich mich abtrocknete kam noch eine Freundin der Mutter und ich hörte ein leise gezischeltes „Die liegt auf unserem Platz!“ Auf einer Wiese, auf der an vollen Tagen mindestens hundert Menschen Platz haben, hatte ich das Sakrileg begannen, einen Wiesen-Stammplatz zu besetzen. Sollte ich jetzt weggehen? Dann hätte ich aber zugegeben, dass ich mitgehört habe. Ich entschied mich deshalb fürs Bleiben und fing zu lesen an. Konzentrieren konnte ich mich allerdings nicht, war ich nun doch unfreiwillig ein Teil der Familie. Tine, die ca. 12jährige Enkelin mit ersten Anzeichen von pubertärem Verhalten, hatte ihre Badelatschen vergessen und stand mit nackten Füßen an dem Sandstreifen, der Wiese und Wasser trennt. Sie hyperventilierte etwas, denn wie sollte sie den megaheißen Sand ohne Badeschuhe überqueren? Erschwerend kam hinzu, dass der kleine Bruder schon längst im See war, hatte quasi Oberwasser gewonnen und machte sich über seine große Schwester lustig. Die Problemerörterung mit Mutter und Oma brachte nichts, die Straßenschuhe zu nehmen, kam nicht in Frage und reichlich verflunscht setzte sich Tine an den Rand der Decke. Der liebe Opa hatte Mitleid und bot ihr Geld für ein Eis an, das sie sich am Ende der Wiese am Kiosk holen sollte. Die Antwort:“ Opa, geh Du lieber, Deine Füße haben eine dickere Hornhaut als meine!“

Ich glaube, Herr Hüsch hätte seine Freude gehabt.