Größter Freund und schlimmster Feind: Unser Gehirn

Anfang Oktober erkrankte ich zum zweite Mal an COVID. Neben Kopf-, Glieder- und Halsschmerzen tauchten, während ich im Bett lag und darauf wartete, dass mein Körper sich wieder berappelt, dieses Mal ungewohnt düstere Gedanken auf, gegen die ich mich nicht wehren konnte. Was passierte da in meinem Kopf? Dies war die Motivation, dass ich einige Tage später dieses Buch las:

Rachel Barr ist Mitte dreißig und auf TIKTOK ein Star. Sie ist Doktorin der Neurowissenschaften und erklärt dort, wie unser Gehirn funktioniert. Das macht sie mit viel Humor, ohne wissenschaftlichen Dünkel und mit viel persönlichem Engagement. Und genau diese drei „Zutaten“ findet man auch in ihrem Buch.
Auch hier zeigt sie zuerst, wie die Abläufe in unserem Gehirn sind. Sie benutzt dabei das Bild einer Zeitungsredaktion (z.B. Chefredakteur, Klatschkolumnistin, Ressortleiter). Das fand ich genial, denn endlich verstand ich die Zusammenhänge und werde diese auch behalten.
Warum ist unser Gehirn nun unser bester Freund, kann aber auch unser ärgster Feind sein?
Sehr kurz zusammengefasst: Unser Gehirn sorgt dafür, dass alle Körperteile ihre Aufgaben erfüllen und miteinander funktionieren. Es liefert uns eine grobe Einschätzung der Welt und ist für unser Selbstwertgefühl, das Selbstbewusstsein, das Selbstgefühl und dem wichtigen Selbstmitgefühl zuständig. Das alles macht das Gehirn ganz freundschaftlich nach bestem Wissen und Gewissen. Und da genau liegt das Problem: Es orientiert sich leider immer noch sehr oft an seinem Wissen, das aus der Zeit stammt, in der wir alle in kleinen Gruppen noch als Sammler und Jägern durchs Land zogen. Hier kann das Gehirn dann zum ärgsten Feind werden. Nur ein Beispiel: Aus Urzeiten ist das Gehirn immer darauf bedacht, allem Gefährlichen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und das abzuspeichern. Positives gefährdet nicht unser Leben, nur Schlechtes wird behalten. Das ist auch heute noch wichtig, aber eben nicht mehr überall. (Dem Umgang mit den heutigen Sozialen Medien wird deshalb ein eigenes wichtiges Kapitel gewidmet). Unser Gehirn saugt schlechte Nachrichten ein und behält sie, es könnte ja mal wichtig sein. Das ist für unser Gemüt aber reines Gift. Wir werden gestresst, depressiv und unser Selbstgefühl verschlechtert sich zunehmend, wenn man nicht gegensteuert und „der Bestie“ (ja, so nennt die Autorin tatsächlich das Gehirn an mehreren Stellen) die schlechten Nachrichten vorenthält und es beruhigt, dass keine Gefahr besteht. Das Gehirn immer wieder mit Kleinigkeiten positiv zu entzücken heißt das Gebot der Stunde. Aber Vorsicht: Auch hier lauert eine Gefahr: Das Gehirn fühlt sich verpflichtet, uns dabei zu helfen und liefert uns Vorschläge für schnelles Wohlgefühl: Alkohol, Essen, Shopping. Wenn es geht, arbeitet unser Gehirn mit dem kleinst möglichen Aufwand, aber auf längere Sicht tun uns solche Vorschläge nicht gut.
Wir müssen dem Gehirn also zeigen, dass es darüber hinaus auch andere Möglichkeiten gibt, gute Gefühle zu erzeugen. Lesen, Musik hören, Bewegung, Naturaufenthalte und kein Multitasking mehr! Beim Essen den Roman lesen und über Kopfhörer Musik hören. Gar nicht gut für das Gehirn, denn es braucht für jede Aufgabe Nahrung, um alles ordentlich zu verarbeiten. Bei drei Aufgaben kommen alle zu kurz bei der Nahrungsverteilung, das Gehirn ist gestresst, gute Gefühle kommen nur begrenzt auf. (Auch kein Multitasking mehr auf der Arbeit, das ist noch schlimmer: Telefonieren, dabei gleichzeitig Mail schreiben, aufploppende Nachrichten lesen, kurz in sein Brötchen beißen).
In zwei Kapiteln widmet sich die Autorin der Wichtigkeit von gutem Schlaf und täglicher Bewegung. Auch hier fließen ihre eigenen Erfahrungen mit ein und sie weiß, dass es nicht einfach ist, dem Gehirn angemessen etwas Gutes zu tun. Sie plädiert für ganz kleine Schritte zur Verbesserung und zeigt bei „mehr Bewegung“, wie man kreativ dies umsetzen kann.
Besonders lesenswert fand ich das Kapitel über die zunehmende Einsamkeit. Unser Gehirn braucht Umgang mit Menschen, aber Rachel Barr definiert dabei die Notwendigkeit von sozialem Umgang sehr viel weiter und eröffnet damit neue Wege, der Einsamkeitsfalle zu entgehen.

Ich lese das Buch gerade zum zweiten Mal und merke, dass die erste Lektüre schon ein bisschen Früchte getragen hat. Ich rede mit meinem Gehirn- klar, hört sich lächerlich an, aber es beispielsweise mal in seine Schranken zu weisen, wenn es wieder ein Problem wälzt, das tut gut.
Auf meinem Handy habe ich ein Album mit meinen Lieblingsfotos angelegt, hat mir schon zweimal bei Frust geholfen. Ich lese gerade ein Science-Fiction Buch, obwohl ich dieser Richtung nicht viel abgewinnen kann. So folge ich dem Tipp, das Gehirn aus seiner Komfortzone zu holen.
Und ich setzte mich hin und höre nur Musik, tue nichts anderes. Was kann man in Musik alles entdecken, wie schön kann man tagträumen…

Passen Sie nicht in das Schema F?

Der Mensch ist ein soziales Wesen, das seinen Seelenfrieden findet, wenn es zu einer oder mehreren Gruppen gehört. So die festverankerte Meinung in der Gesellschaft. Doch es gibt Menschen, die zwar von den anderen geschätzt werden, weil sie empathisch sind, oftmals frische Ideen haben und selbst über sich lachen können, die aber trotzdem lieber alleine sind und denen Aktivitäten in einer Gruppe (Teambildung auf der Arbeit, Betriebsfeste, Partys, Familienfeste, Gruppen-Freizeitaktivitäten) fast immer ein Graus sind. Sie langweilen sich, definieren sich nicht über ihre Arbeit, hassen Smalltalk und können Festen, die mit Traditionen verbunden sind, nichts abgewinnen. Diese Menschen sind weder extro- noch introvertiert, der amerikanische Psychiater Rami Kaminski nennt sie otrovertiert.

Kaminski hat in seiner jahrzehntelangen Berufspraxis viele Menschen betreut, die teilweise von anderen Ärzten als „nicht therapierbar“ abgestempelt wurden. Nach vielen Gesprächen erkannte er ein Verhaltens-und Wesensmuster bei seinen Patienten. Hier ein typischer Lebenslauf eines Otrovertierten:
Als Kleinkind wird von den Erwachsenen freudig bemerkt, dass das Kind sich stundenlang alleine beschäftigen kann. Beginnt die Kindergartenzeit, tauchen erste Irritationen auf. Das Kind lässt sich in eine Gruppe eingliedern, kapselt sich aber immer wieder ab. Die Schuljahre werden dann mit zunehmendem Alter oftmals zu einer Horrorzeit. Das Kind weiß inzwischen, dass Gruppenzugehörigkeit wichtig ist. Es möchte von einer Gruppe anerkannt werden, macht in der Gruppe mit und übernimmt auch die dort gängigen Meinungen und Interessen. Dabei verbiegt es sich derart, dass es zu psychischen Störungen kommen kann. Auch spürt das Kind, das es niemals wirklich zur Gruppe gehören wird. Verstärkt wird das seelische Dilemma oftmals von den Eltern, die ihre Kinder zu Gruppenaktivitäten zwingen oder von mitfühlenden Mitschülern, die nicht möchten, dass jemand ausgeschlossen wird.
Endlich ist die Schulzeit vorbei! Entweder ist ein Otrovertierter dann psychisch so angeschlagen, dass nur noch Alkohol oder Drogen helfen und/oder er eine Therapie braucht, um die gesellschaftlichen Erwartung vom Leben als „Gruppentier“ zu erfüllen oder er findet seinen eigenen Weg, sich so zu akzeptieren, wie er ist und sein Leben nach seinen eigenen Werten zu gestalten.
Wie sieht so ein Leben aus? Eine otrovertierte Person hat einige wenige gute Freunde, die sich gegenseitig ihre Freiheit lassen. In einer Gruppe verankert ist er höchstens dann, wenn diese sich mit etwas beschäftigt, das ihn interessiert. Da ein „Otro“ sich nicht an Gruppenmeinungen beteiligt, ist sein Selbstwertgefühl von anderen nicht abhängig, sein Selbstbewusstsein ist gesund. Gegenüber anderen Menschen ist er meistens unvoreingenommen und an ihren Geschichten wirklich interessiert. Er hinterfragt vieles, ist lieber stiller Beobachter und macht sein eigenes Ding. Jeder Tag ist wichtig für ihn, denn er ist kreativ und seine Ideen sind für Gruppenmenschen manchmal etwas spleenig oder so unerwartet, dass die Zeit für die Durchsetzung noch nicht reif ist. Ein Otro ist zufrieden, wenn er alleine sein Wohlfühlleben gestalten kann. Er schafft sich viele schöne Erinnerungen, denn diese kann man ihm niemals wegnehmen.
Seine Lebenseinstellung kommt ihm im Alter zu gute. Während Gruppenmenschen unter dem fortschreitenden Verlust von Freunden leiden, u.U. vereinsamen und merken, dass sie ihr Leben zu sehr an eine Gruppe angepasst haben, genießt der Otro, sofern er gesund ist, bis zum letzten Atemzug sein Leben.

Die Meinung über dieses Buch ist im Internet geteilt. Kaminski wird vorgeworfen, dass er den Begriff der Otroversion nur zu Marketingzwecken erfunden hat und die beschriebenen Wesenszüge in der Forschung schon lange bekannt sind. Das kann ich nicht beurteilen, doch dieses Buch erreicht erstmals betroffene Menschen, die keinen Therapeuten haben und bisher alleine versuchten, mit ihren Zweifeln zurecht zu kommen und ihr Leben zu wuppen.

“Wie schön es ist, nicht dazugehören zu müssen“- Ein passender Buchtitel…

Das Geheimnis von Little Sark

Ich beginne mit einem Zitat aus dem Buch:“ Auf Sark gedeihen viele Feindschaften, wenn es wenig anderes zu tun gibt.“
Das gilt besonders dann, wenn die Touristensaison auf der kleinen Insel im Ärmelkanal vorbei ist und sich in den Wintermonaten die Bewohner wieder mit sich selbst beschäftigen. 1933 ist es allerdings ein bisschen anders, denn eines Tages findet man am Rand einer Klippe zuerst eine ausgebreitete Jacke und dann zwei ordentlich zusammengelegte Kleiderstapel von einem Mann und einer Frau. Schnell wird klar, dass diese teuren Kleidungsstücke nicht Inselbewohnern gehören und langsam erinnert man sich, ein fremdes Paar in der Kleidung an mehreren Stellen gesehen zu haben. Doch wo ist dieses Paar? Ist es bei einem Unfall ums Leben gekommen? Oder handelt es sich um Selbstmord? Die lokale und bald auch die Presse des gesamten Königreichs überschlägt sich in Vermutungen und als eine junge Frau tot im Meer gefunden wird, während der Mann verschwunden bleibt, gibt es die ersten Mordspekulationen. Könnte jemand von der Insel damit zutun haben?
Die Autorin macht mehrmals einen Zeitsprung zum Jahr 1923 und widmet sich den o.g. Feindschaften. Besonders involviert sind u.a. Elise Carey und ihre Tochter Phyllis. Elise will alles kontrollieren und das Postgeheimnis ist für sie als Poststellenleiterin nur eine Empfehlung. Auch leitet sie nicht unbedingt alle Briefe weiter, was das Leben einiger Bewohner eine andere Richtung gibt. Die pubertierende Phyllis liebt es, Erwachsenen Streiche zu spielen und bedient sich bei alten Sarker Geschichten, in denen es um Geister und andere ungeklärte Phänomene geht. Dass sie mit diesen Streichen viel Leid auslöst, wird ihr erst 1933 richtig klar. Nebenfiguren wie Maud, die Hebamme, die vieles weiß, John, der Chief Constable als Fels in der Brandung, Paul und Ann Cecil, Sommergäste, die ungesund für die Insel sind oder der stets betrunkene Arzt Stanhope sind nur einige, die den Mikrokosmos der Insel bevölkern. Am Ende des Romans sind einige geheime und mysteriöse Geschichten, Geistersichtungen und Verletzungen aus der Vergangenheit geklärt und vielleicht wird das Leben auf Sark nun ein bisschen leichter.
Die Leserschaft wird von der ersten Seite an von einer nicht näher benannten Person mit in die Handlung gezogen. „Wir“ rätseln zusammen mit den Inselbewohnern, „uns“ macht man nichts vor und „Wir stellen mal eine Vermutung an.“ Das ist lebendig geschrieben und macht Spaß. Zuerst scheint es sich um einen Kriminalroman zu handeln, denn die Berichterstattung über das Paar wird immer brisanter. Doch die alten Inselgeschichten übernehmen nach und nach die Handlung und das Spektrum menschlicher Tragödien und besonders dem damit verbundenen Leid der Frauen ist groß. Doch irgendwann beginnen die Frauen, zusammen zu halten und sich zu wehren.
Das Buch beruht auf einem authentischen Fall und vielen alten Quellen, die die Autorin in der Bibliothek von Guernsey gefunden hat. Auch orientieren sich einige Romanfiguren an ehemaligen Inselbewohnern. Ein weiteres Leseargument für das Buch!








Eine Liebe der Hannah Höch

Eigentlich mag ich keinen Roman, dessen Hauptfigur eine früher lebende Person darstellt. Aber es gibt immer die Ausnahme:

Die Autorin erzählt in dem Roman von einem Lebensabschnitt der Künstlein Hannah Höch. Sie war in den 20er Jahren des letzte Jahrhunderts die einzige Frau, die zu der Künstlergruppe gehörte, die den Dadaismus verbreitete. Hannah, die als einzige der Gruppe eine feste Arbeitsstelle beim Ullsteinverlag hatte und die Dadakollegen öfter finanziell unterstützte, war nebenbei künstlerisch sehr produktiv und entwickelte die Methode der Fotocollage. Aber in der Szene sahen viele in ihr nur die Geliebte des verheirateten Künstlers Raoul Hausmann. Die Beziehung war schwierig. Künstlerisch befruchteten beide die Arbeiten des anderen (z.T. so sehr, dass Hausmann Hannahs Werke mit seinem Namen signierte), menschlich war der Künstler launisch, fordernd und eifersüchtig und machte Hannah das Leben schwer. Irgendwann schaffte sie es, sich von ihm zu trennen.
1926 findet sie eine neue Liebe: Til Brugman, eine Autorin aus den Niederlanden. Die beiden tun sich gut, leben eine Zeit lang in Den Haag, dann in Berlin. Man lernt Hannahs Familienmitglieder kennen, die Til herzlich in ihren Kreis aufnehmen. Die Freunde aus dem Dadakreis reagieren unterschiedlich auf die Beziehung.
Die Liebe der beiden Frauen wird im Laufe der Jahre immer häufiger auf die Probe gestellt. Während Hannah als Künstlerin in Berlin mehr Anerkennung findet, wartet Til immer ungeduldiger auf ihren eigenen Durchbruch. Sie fährt häufiger über längere Zeit in die Niederlande, beansprucht für sich die Freiheit, andere Beziehungen zu Frauen einzugehen. Auch machen die politischen Verhältnisse im Berlin der 30er Jahre das Leben für die beiden nicht einfacher. Til bringt zwar ihr erstes Buch heraus, das Hannah illustriert hat, aber immer mehr Freunde gehen ins Exil und schließlich kommt es 1935 auch zur Trennung von Hannah und Til.

Für mich hat die Autorin einen ganz eigenen Schreibstil gefunden, der das beschwingte Leben in Künstlerkreisen der 20er Jahre so wiedergibt, wie ich es mir vorstelle. Der Stil ändert sich, als die Beziehung und die politischen Verhältnisse schwieriger werden. Das zu beobachten, gefiel mir sehr beim Lesen. Auch die eingestreuten Texte von Hannah und Til trugen zu der besonderen Atmosphäre des Buches bei.
Mika Sophie Kühmel beschreibt das Verhältnis zwischen den beiden Frauen, am Anfang voller Liebe und Wärme, dann immer mehr als ein Ringen darum, die Liebe zu erhalten. Das ist der zweite Grund, warum ich dieses Buch gerne gelesen habe.

Einmal den Tod ausprobieren

2018: Amélie arbeitet im französischen Außenministerium. Als ihren Vertrauten hat sie ihren ehemaligen Mitschüler Éric eingestellt und sie beide sind ein erfolgreiches Team, wenn es darum geht, ausländische Firmen davon zu überzeugen, in Frankreich zu investieren.
Eine Reise nach Seoul verändert alles, denn Éric bricht bei der ersten Präsentation zusammen und bei der zweiten Chance, die Samsung den beiden gibt, lässt er Amélie im Stich und taucht unter. Was war geschehen?
Éric, Mitte 40, gibt sich immer noch die Schuld an dem Unfalltod seines Vaters vor fast zwanzig Jahren. Da half es danach auch nicht, dass er eine liebe Frau und einen tollen Sohn hatte und erfolgreich im Beruf war. Inzwischen ist er geschieden, seine Mutter befeuert seine Schuldgefühle, bei der neuen Arbeit mit Amélie stößt er an seine körperlichen und mentalen Grenzen. Er ist ausgebrannt, als er in Seoul, ein paar Stunden vor der zweiten Präsentation, in ein Geschäft geht, das „Happy Life“ heißt. Hier lernt er eine für ihn sehr befremdliche Geschäftsidee kennen: Auf Probe sterben. Eine Expresszeremonie dauert eine Stunde, beinhaltet die Gestaltung des Grabsteins, das Verfassen der letzten Worte und das überwachte Liegen in einem geschlossenen Sarg. Éric bucht diese Stunde, die ihm einen Erweckungsmoment beschert. Im Sarg stürzen so viele wichtige Gedanken auf ihn ein, dass er merkt, wie sehr er noch an seinem Leben hängt und dass sich vieles ändern muss. Nach der Stunde ist er euphorisiert und zugleich zu verstört, um zusammen mit Amélie bei Samsung aufzutreten.
Er fliegt zurück nach Frankreich, kündigt und ist beseelt von der Idee, den Service des Probesterbens auch in seinem Heimatland anzubieten. Endlich hat er eine Lebensaufgabe gefunden, mit der er anderen Menschen helfen kann.
Und tatsächlich finden sich immer mehr Menschen, die seinen Laden besuchen und fast alle machen ähnliche Erfahrungen wie Éric. Die Mundpropaganda wird immer größer, Éric eröffnet Filialen, wird wieder sehr erfolgreich. Doch dieses Mal zieht er die Reißleine und gibt alles ab. Er wird etwas Neues suchen und vielleicht spielt dabei Amélie eine Rolle, denn deren Leben lief nach Seoul alles andere als rund.

Das Thema Tod in einen leichten Unterhaltungsroman zu verpacken und das mit einer Portion Tiefgang, der die Leserschaft zum Nachdenken bringt, dazu gehört schriftstellerisches Können. Dass David Foenkinos das besitzt, stellte er schon in früheren Romanen unter Beweis.

Wer noch mehr über die südkoreanische Therapie der Toderfahrung wissen möchte, auf der Seite abschieds.com fand ich diesen Text:

https://www.abschieds.com/simulierter-tod-in-sudkorea-ein-ungewohnlicher-weg-das-leben-neu-zu-schatzen

Das schwarze Manuskript

Ashok Oswald wird in jungen Jahren in Wien von einem entfernten Bekannten gebeten, für ihn ein schwarzes Manuskript aufzubewahren. Es beinhaltet seinen Roman „Hunger“ und ist so brisant, dass er Ashok warnt, die Seiten zu lesen. Oswald nimmt das Manuskript an sich, kurz danach begeht sein Bekannter Selbstmord.
Oswald wird in den darauf folgenden Jahren der sehr erfolgreiche CEO eines Weltkonzerns, zieht nach Köln und vergisst das Manuskript, das irgendwo im Keller seiner riesigen Villa liegt.
41 Jahre später stehen an einem Morgen zwei Männer und eine Frau an Oswalds Pool, als dieser gerade seine Bahnen zieht und verlangen von ihm unter Gewaltandrohung und ohne Erklärung das Manuskript zurück. Oswald findet es glücklicherweise und händigt es den Fremden aus, die darauf wieder verschwinden.
Oswald ist inzwischen 64 Jahre alt und hat sich vorgenommen, sich von seinem alten Leben zu verabschieden, da er merkt, dass er als CEO nicht mehr richtig „funktioniert“. Dieser Vorfall ist für ihn der Auslöser, seinen Plan in die Tat umzusetzen, denn er will unbedingt wissen, was es mit dem schwarzen Manuskript auf sich hat. Er entlässt seine Hausangestellten, entledigt sich seines Handys – seine Reise beginnt… Mehr darf und will ich nicht verraten!
Ich lese die Bücher von Heinrich Steinfest sehr gerne, denn er schafft es immer wieder, Geschichten zu erzählen, die wohltuend anders sind als 80% der heutigen Neuerscheinungen. (Keine Familiengeschichte, keine Buch über Kind/Elternteilbeziehung, Kriegserfahrungen, dunkles Geheimnis, sie findet ihren Prinzen-Geschichte). „Das schwarze Manuskript“ kann man als Mischung lesen aus Krimi mit irischen Einsprengseln, Geschichte über ältere Männer und auch als Hommage an Gabriel Garcia Marquez und seinem magischen Realismus. Und alles ist erzählt mit einem Hauch Augenzwinkern und dem speziellem österreichischen Humor, wie man ihn beispielsweise auch bei Wolf Haas findet.

Die Kastanienallee


Stellen Sie sich eine wunderschöne Kastanienallee vor, in deren Schatten über hundertjährige hochherrschaftliche Villen stehen, umgeben von atemberaubenden Gärten. Dazwischen schmiegen sich ein historisch wertvoller Tennisclub und eine teure Privatklinik. An der Ecke allerdings müssen Sie bei Ihrem Bild einen kleinen schmierigen Zeitschriften-und Zigarettenladen („Trafik“ in Österreich genannt) einbauen, in dem der Besitzer Hermann mit seiner Frau Heidi und Tochter Jessica aus einem Bildband von Manfred Deix entsprungen sein könnten:

Ja eigentlich kann man sich auch die Bewohner der Villen deixesque vorstellen, als da wären beispielsweise ein abgewrackte Psychiater, ein stets alkoholisierte Rechtsanwalt und Frauenheld oder der Marmeladenfabrikbesitzer, der gerne im Tennisclub sich bei den Umkleidekabinen der Frauen herumdrückt und „Trophäen“ von sich gerade duschenden jungen Mädchen einsammelt.
Natürlich gibt es auch die passenden Frauen zu diesen Kronen der Schöpfung, sie dulden, leiden, sind naiv oder lenken sich mit Shopping ab. Um es kurz zu machen: Hinter den Gardinen gibt es kaum weiße Westen und man sieht beflissen weg, wenn der Trafikant sich beispielsweise an den Antiquitäten eines reichen, geistig zurückgebliebenen Erben bereichert. Je weiter man liest, desto sumpfiger wird es. Doch dann tritt Herbert erstmalig auf, tätowierter Hüne im schwarzen Lederdress, Ex-Berufssoldat und Securityman, der Proust zitiert und einen Altwarenladen mit viel Geschick in ein heimeliges Geschäft der schönen Dinge umwandelt. Als dann noch die Frauen anfangen, aufzumuksen und eigene Pläne schmieden, gewinnt man den Glauben an die Menschheit wieder zurück.
Am Ende des Romans liegt einer der Ekelpakete tot in einer Höhle, doch was ist mit den anderen Gaunern und Mauschlern und wie geht es mit den Frauen weiter? Ich war etwas ratlos und freute mich dann sehr, als ich las, dass die Autorin (das Pseudonym einer bekannten österreichischen Autorin) bereits an einer Fortsetzung der Kastanienallee-Geschichte schreibt. So ein böser Blick auf die Welt der Schönen und Reichen macht einfach Spaß…

Glastage

Letzte Woche fand in der Duisburger Stadtbibliothek eine Lesung zu diesem Buch statt (Besprechung aus der RP siehe unten):

Angeregt von diesem Roman über die Gerresheimer Glashütte, waren wir vorgestern im Düsseldorfer Kunstpalast in der Glasabteilung. Hier gibt es noch bis zum 5.10. eine Sonderausstellung zum Thema Muranoglas.

Fotocollage aus Bildern, die verschiedene Anwendungsgebiete zeigen: Oben links Teilansicht eines Lüsters, rechts daneben eine mannshohe Skulptur, deren Herstellung eine besondere logistische Herausforderung darstellte. Links unten: Ein Glasstein zur Dekoration oder zur Einlassung in einer Wand, rechts daneben eine Vase, die in Murano als Sinnbild für den Aufbruch in der Glaskunst nach dem Zweiten Weltkrieg steht.

Diese Ausstellung befindet sich in zwei Räumen, uns blieb noch Zeit, die permanente Glasausstellung zu besuchen.
WOW- das Spiegelkabinett ! Eine Farb- und Formenexplosion, um jedes Ausstellungsstück zu würdigen, bräuchte es schon Stunden. Zur Zeit werden ca. 1500 Exponate der Öffentlichkeit gezeigt, die aus einem Bestand von 13000 Objekten ausgewählt wurden. Ich schätze, dass in diesem Spiegelkabinett ca. 1000 Teile zu sehen sind.

Rechts: Wo soll man zuerst hinsehen? Oben links: Alte Glasgefäße mit ihrer schillernden Oberfläche, daneben eine Flaschenauswahl. Unten links ein Beispiel für aktuelle Glaskunst, rechts daneben eine Sammlung von Briefbeschwerern.

Es gibt Glasschätze zu entdecken, die atemberaubend und/oder Überraschend sind, sei es wegen ihrer handwerklichen Kunst, der Ästhetik, ihres Alters oder des Titels.

Rechts: Ein Kleid aus Glas- mir fiel es schwer, es nicht zu berühren. Links: Der Lichteinfall in diesem abstrakten Werk strahlte etwas Geheimnisvolles aus, das vom Foto kaum wiedergegeben wird.
Links ein Kosmetikflakon, ca. 1300 bis 1500 Jahre alt, rechts eine „neue“ Ziege aus Glas.
Eine Alditüte aus Glasperlen als Huldigung der Plastiktüte- Ausführung toll, Idee naja. Craggs Idee gut, Ausführung naja.

In der Ausstellung werden viele Aspekte zu der ausgestellten Glaskunst angesprochen. Drei Beispiele: Auf welche Arten kann man Glas herstellen und wie haltbar sind diese verschiedenen Sorten, wie sind ihre Möglichkeiten der Verarbeitung? In den 70er Jahren wurde in den USA ein Miniofen erfunden, in dem man Glas brennen konnte. Das nahmen die Universitäten zum Anlass, das Glashandwerk als Lehrfach einzuführen und damit nahm u.a. die Verbreitung von Glasskulpturen einen rasanten Aufschwung. Auch bei Glaskunst gibt es die Provenienzforschung, die schwieriger ist als bei Bildern, da bei Gemälden öfter auf der Rückseite Anmerkungen oder Aufkleber zu finden sind.

Die Ausstellung ist für Hobbyfotografen sehr lohnenswert. Ich versuchte mich mal wieder in Schwarzweißaufnahmen:

Im Kunstpalast laufen derzeit noch weitere interessante Ausstellungen, u.a. mit dem Titel „Künstlerinnen“ https://www.kunstpalast.de/de/event/kuenstlerinnen/

und eine Retrospektive zu dem Werk des Düsseldorfer Künstlers Hans Peter Feldmann: https://www.kunstpalast.de/de/event/hans-peter-feldmann-kunstausstellung/

Ein Besuch des Museums lohnt sich also auf jeden Fall.

Und hier nun noch die Besprechung aus der RP vom 25.9.2025:

VON PETER KLUCKEN

Wie stellt man einen historischen Roman vor, bei dem eine erdachte Geschichte mit historischen Fakten verbunden sind? Dorothee Krings gelingt das vorbildlich, wie sie jetzt beim ersten Abend der neuen Saison im Duisburger Verein für Literatur bewies. Dort präsentierte die renommierte RP-Redakteurin ihren Debütroman „Tage aus Glas“ nicht nur mit einigen ausgewählten Vorlesepassagen; sie gab auch Einblicke in ihre mehrjährigen Recherchen, die das faktische Gerüst ihrer schriftstellerischen Arbeit bilden.

Es geht in „Tage aus Glas“ um den Streik der Glasmacher in der Gerresheimer Hütte im Jahr 1901. Ein Lokalhistoriker hatte Dorothee Krings vor Jahren klagend darauf hingewiesen, dass dieser Streik und die schließlich im Jahre 2005 geschlossene Gerresheimer Glashütte, deren Emblem noch heute auf vielen Gläsern zu finden ist, in Vergessenheit zu geraten droht.
Dabei war diese Glashütte einst die größte weltweit. 150 Millionen Flaschen wurden dort um das Jahr 1900 produziert, die in die ganze Welt exportiert wurden. 2000 Flaschenmacher pusteten sich ihre Lungen aus dem Leib, um bei einer Tagesschicht bis zu 230 Flaschen zu produzieren. Die Arbeit war mehr als herausfordernd. Die Hitze vor den Glasöfen war so groß, dass die Augenbrauen versengen konnten, wenn man nicht aufpasste.
Eindringlich und präzise schildert Dorothee Krings in ihrem Roman die Arbeitsvorgänge und Arbeitsbedingungen. Das Flaschenmachen kennt sie mittlerweile mindestens so gut wie Schiller das Glockengießen. Den Flaschenmachern in Gerresheim sei es vergleichsweise gut gegangen, berichtete Dorothee Krings. Ihre Informationen zum geschichtlich-industriellen Hintergrund, den sie fesselnd schilderte, illustrierte sie mit historischen Aufnahmen, die sie während ihrer aufwändigen Recherchearbeit in Archiven und Museen fand.
Flaschenmacher in Gerresheim durften in kleinen Werkshäusern wohnen, die alle kleine Gärten zur Selbstversorgung hatten. Der Lohn war für damalige Verhältnisse recht gut, es gab sogar einen Werksarzt und ein Invalidenheim für Arbeiter.
Vor diesem Hintergrund, so Dorothee Krings, habe es für die Gerresheimer Flaschenmacher, die auch „Püster“ (wegen der nötigen Puste beim Flaschenblasen) genannt wurden, eigentlich keinen Grund zum Streik gegeben. Zum Streik entschlossen sie sich dennoch aus einem ehrbaren Grund: Aus Solidarität mit Flaschenmachern in anderen deutschen Städten, denen es nicht so gut ging.
Es gab zwar auch 1901 eine Gewerkschaft und eine Streikkasse, aber kein Streikrecht wie heute. Wer sich in Gerresheim am Streik beteiligte, musste kündigen und verlor damit zugleich das Recht, in einem Werkshaus zu leben. Dennoch machten 1100 von den 2000 Flaschendrehern beim Gerresheimer Streik mit.
Was der Streik für die Arbeiter und ihre Familien bedeutet, habe sie in ihrem Roman darstellen wollen, sagte Dorothee Krings. Dabei interessierte sie besonders die Auswirkungen auf die Frauen, die zwar nicht als Püster gearbeitet hatten, die aber natürlich ebenfalls von den Auswirkungen des Streiks betroffen waren.
Zwei parallele Frauenschicksale stehen bei ihrem Roman im Mittelpunkt. Einmal Bille, Tochter eines einfachen Glasmachers, die davon träumt, mit ihrem Freund Adam nach Amerika auszuwandern. Und Leonie, Tochter des Werksarztes, für die der Vater Wege in ein großbürgerliches Leben ebnen möchte. Beide Frauen seien auf verschiedene Weise eingeengt, so die Autorin.
Dorothee Krings gelingt es, die Geschichte der Frauen lebensnah und spannend zu erzählen. Die Verbindung der historischen Fakten des letztlich vergeblichen Streiks der Glasmacher mit den „erfundenen“ Lebensgeschichten gelingt ihr wunderbar. Im Literaturverein las sie zu Beginn den Prolog vor, bei dem ein kleiner Junge, Sohn eines stolzen Glasmachers, auf einem Jahrmarkt beim Wettklettern nach einer Fleischwurst tödlich verunglückt. Die Schlagzeile in der Zeitung erscheint am selben Tag wie die Schlagzeile zum Streikbeginn der Glasmacher.
Das Lebensgefühl in den Gerresheimer Arbeiterfamilien ist fortan zerbrechlich; der Titel des Romans „Tage aus Glas“ spielt auf diese Zerbrechlichkeit an. Die Brücke vom Glasarbeiterstreik im Jahr 1901 in die Gegenwart kann geschlagen werden. Die streikenden Flaschenmacher hielten sich für unersetzlich, wussten noch nichts von der Maschine, die ein Mann namens Michael Joseph Owens in Amerika im Jahr 1903 erfinden würde, mit der so viele Flaschen produziert werden konnten wie 40 erfahrene Püster. Owens Automat von 1903 erinnere an die KI von heute, so Dorothee Krings.

Wolfgang Trepper sagt nur mal eben Danke

Heute erscheint im Kösel Verlag das neue Buch des Duisburger Kabarettisten Wolfgang Trepper.

Ich las dieses Buch aus Neugier, denn Wolfgang Trepper ist in Rheinhausen aufgewachsen und besuchte immer mal wieder meine Buchhandlung. Dort lernte ich ihn als sehr höflichen, fast schüchternen jungen Mann kennen. Irgendwann kam er nicht mehr, er war weggezogen und ich verlor ihn aus den Augen. Einige Jahre später sah ich ihn dann bei einer seiner Vorstellungen wieder und ich konnte kaum glauben, dass das Wolfgang Trepper war. Sein „harsches“ Auftreten war für mich sehr überraschend und ich erhoffte mir, in dem Buch ein paar Erklärungen zu finden, wie es zu dem Sinneswandel gekommen war.
Um es vorweg zu nehmen: Ich habe mit dem Buch aus verschiedenen Gründen herzerwärmende Lesestunden verbracht und empfehle es ohne wenn und aber.
Warum? Da geht es, wie man schon im Untertitel lesen kann, um Tante Henny. Ihr hat Wolfgang Trepper viel zu verdanken. Sie wurde zur Ersatzmutter, als die eigene Mutter immer häufiger ins Krankenhaus musste und der berufstätige Vater mit der Erziehung seiner beiden Söhne überfordert war. Tante Henny- ich habe sie auch sofort lieben gelernt. Sie war bodenständig, sagte, was sie dachte und das war fast immer sehr vernünftig und obwohl sie und ihr Mann, der Oheim, nicht viel Geld hatten, machten sie aus dem Leben ein Fest und freuten sich an kleinen Dingen wie Bolle. Eine bessere Lebenslehrmeisterin konnte Wolfgang Trepper nicht haben und das weiß er bis heute.
Seinen Lebenslauf beschreibend, taucht man in dem Buch zuerst in Duisburger Welten in den 80er und 90er Jahren ein. Trepper arbeitete bei Krupp, sehr ungern, so dass er sich immer mehr für den Rheinhauser Handball Verein OSC engagierte und dabei war, als der OSC in die Bundesliga aufstieg. War er schon zum OSC eher durch Zufall gekommen, sollten noch weitere Zufälle in seinem Leben folgen, die Trepper immer, nach Beratung mit Tante Henny, genutzt hat, um sich weiterzuentwickeln und Neues auszuprobieren. Das lobe ich mir.
Er kam zu Radio DU und das war seine wahre „Arbeitsheimat“. Der Programmdirektor war offen für die ausgefallenen Programmideen und Kommentare von Trepper, ja, stachelte ihn sogar an, noch „ durchgeknallter“ zu werden. Irre Jahre, denn beim Radio war Spontanität das A und O.
Aber ganz langsam suchte sich nach einigen Jahren eine andere Passion ihren Weg in Treppers Kopf: Der Auftritt auf der Bühne! Und wieder war Kollege Zufall vor Ort, denn Corny Littmann, Inhaber des legendären Schmidt Theaters in Hamburg, wurde auf Trepper aufmerksam und nahm ihn unter seine Fittiche. Es ging immer steiler aufwärts mit seiner Karriere als Kabarettist, so dass er beim Radio kündigte, nach Hamburg zog und dort seitdem mit Frau und Tochter lebt. ( Aber noch eine kleine Wohnung in Duisburg hat, weil hier eben seine Heimat ist).
Ja und da ist er nun, der Wolfgang Trepper mit seinen 64 Jahren. Hat alles erreicht, kann stolz auf sich sein, auch auf seine Projekte in Afrika, für die er nach jedem Auftritt sammelt. In dem Buch lernt man einen Mann kennen, der kritisch über sich und sein Leben nachdenkt und man erfährt, dass er privat immer noch ein ruhige Mensch ist, der sich um Harmonie bemüht.

Kennen Sie „Lost Sheroes“?

Seit Anfang der Woche kann ich gar nicht genug bekommen von den „Lost Sheroes“. Eine Kollegin gab mir den Tipp und ich meldete mich in der ARD Audiothek an, um Podcastfolgen mit diesem Titel zu hören. „Lost Sheros“, das sind Frauen, die in Geschichtsbüchern gar nicht oder nur unter ferner liefen auftauchen. Oder haben Sie schon einmal von En-hedu-ana, Hoelun, Sophie Bosede Oluwole oder Delia Derbyshire gehört? Um Sie auch auf den Geschmack zu bringen: En-hedu-ana lebte vor ca. 4200 Jahren, war Hohepriesterin und gilt als erste namentlich bekannte Autorin (oder Autor) der Menschheitsgeschichte. Hoelun (ca. 1140–1221) war die Mutter des mongolischen Fürstens Dschingis Khan und seine engste Beraterin. Ohne sie hätte der Fürst nie seine Macht erlangt. Sophie Bosede Oluwole (1935-2018) war eine nigerianische Philosophin, die sich für eine neue Philosophiegeschichte einsetzte, in der nicht nur Lehren von weißen Männern vorkommen. Oluwole bewies u.a., dass der Gedanke der Demokratie nicht in Griechenland geboren wurde, sondern das afrikanische Volk der Yoruba Demokratie bereits praktizierte und die Idee der Demokratie erst über Ägypten nach Griechenland kam. Ja und dann ist da noch Delia Derbyshire (1937 – 2001). Sie komponierte 1963 die berühmte Dr. Who Fernsehserienmusik (ohne damals genannt zu werden). Dieses Stück gilt als Geburtsstunde der Technomusik und beeinflusste nachweißlich Musiker wie die Gruppe Kraftwerk oder auch Kate Bush.

Diese vier Beispiele zeigen die große Bandbreite der Lebensläufe, von denen in dem Podcast erzählt wird. Seit 2022 erscheint alle vierzehn Tage eine neue Folge . Die Schauspielerin Milena Straube moderiert die Sendungen und wählt mit ihrem Team die Lebensläufe aus den vielen Vorschlägen der Hörerschaft aus. Neben Straube gibt es in jedem Beitrag eine zweite Person aus einem fachspezifischen Bereich, die zu der Shero Fundiertes erzählt.
Warnung: Beim Hören kann man manchmal wütend werden, wenn es darum geht, was den Frauen angetan wurde, damit sie nicht „den Glanz der Männer“ stehlen. Aber man lernt auch sehr viel und ich freue mich, dass generell immer häufiger „Sheroes“ im Scheinwerferlicht stehen. Und schließlich finde ich es bei manchen Lebensläufen auch faszinierend, wie ein kleiner Zufallstritt Frauen zu große Taten brachten.