Annäherung an Marina Abramović

In den letzten Jahren las ich mehrere Zeitungsartikel über die Performancekünstlerin Marina Abramović. Mich stießen ihre Vorstellungen, in denen sie sich über mehrere Stunden oder sogar Tage selbst körperliches Leid antat, ab, für mich waren die Zuschauer in den Museen oder Theatern Voyeure, die nur darauf warteten, dass der Künstlerin etwas Schlimmes passiert. Dafür hatte ich kein Verständnis.
Der letze Artikel erschien Mitte November, es wurde darüber berichtet, dass Marina Abramović die erste Inhaberin der Pina-Bausch-Professur an der Folkwang-Uni sei. Auch dieser Bericht nahm mich nicht für die Künstlerin ein, denn sie beansprucht für sich das Wissen, was gute und was schlechte Kunst ist. Solche rigorosen Aussagen sind mir suspekt.
Aber ich wollte Frau Abramović nicht unrecht tun und so beschloss ich, ihre Biografie zu lesen.

Man bekommt bereits in den ersten Kapiteln über ihre Kindheit und Jugend eine Ahnung davon, warum sich die Gewalt gegen sich selbst wie ein roter Faden durch ihr Werk zieht. Sie ist die Tochter eines Paares, das bei Tito, dem damaligen Machtinhaber Jugoslawiens, hoch im Kurs steht. Im Krieg sind die Eltern mutige und aufopfernde Kämpfer gewesen und Tito belohnt beide mit einem Luxusleben in Belgrad. Während der Vater dies zusammen mit anderen Frauen zu schätzen weiß, bleibt die Mutter im Partisanenmodus und erzieht dementsprechend ihre Tochter mit aller Härte. Sie schlägt sie oft, Zärtlichkeiten kommen nicht vor, Wünsche werden nur dann erfüllt, wenn sie mit Bildung zu tun haben. Marina leidet sehr, erst das Malen verschafft ihr eine Möglichkeit, dem schrecklichen Elternhaus für kurze Zeit zu entfliehen. Sie lernt andere Künstler kennen, erste Performanceversuche finden statt. Geld hat sie nicht, so wohnt sie auch als Erwachsene weiterhin bei ihrer Mutter, die sie permanent kontrolliert.
Ihre Situation ändert sich, als sie auf den deutschen Künstler Ulay trifft und beide sich ineinander verlieben. Mit ihm findet Marina für die nächsten 12 Jahre eine verwandte Seele und ihr gelingt die Abnabelung vom Elternhaus. Beide führen diverse Performances auf, langsam etablieren sie sich in der internationalen Kunstszene. Geld hat das Paar nur wenig und so lebt es u.a. völlig ungebunden vier Jahre in einem Auto. Die beiden beginnen, sich mit anderen Religionen, alten Mythen, Heilungs-und Meditationsmethoden zu beschäftigen und die daraus resultierenden Erfahrungen fließen immer häufiger in ihre Kunstform ein.
Der zunehmender Ruhm als Performancepaar belastet die Beziehung schließlich so sehr, dass sich das Paar trennt. Marina ist am Boden zerstört. Sie fühlt sich mit 40 alt, einsam, ohne Zukunft. Doch dieses Tief stärkt sie noch mehr und macht ihre neuen Vorführungen teilweise noch extremer. Dann lernt sie Paolo kennen, ihre zweite große Liebe. In den nächsten Jahren wird sie zum Superstar, der sich aber nie ausruht, sondern seine Ideen immer weiter vorantreibt. Finanzielle Probleme hat Marina keine mehr, doch machen ihr Gedanken an Alter und Tod zunehmend zu schaffen- neue Themen für ihre Darbietungen.

Marina Abramović schreibt „frei von der Leber weg“, ihr Schreibstil und auch ihre Offenheit überraschten mich positiv. Die Erklärungen zu ihren einzelnen Aufführungen waren aufschlussreich und ich sah mir, nachdem ich das Buch zu Ende gelesen habe, mehrere Videos auf YouTube an.
Mich hat diese Biografie beeindruckt und ich zolle Marina Abramović Respekt. Ihre Kunst verstehe ich nun besser, aber sie wird mir weiterhin fremd bleiben.