Wenn eine Frau zum Morgengebet ruft…

In einem nicht konkret benannten muslimischen Land: Bilqiss soll gesteinigt werden. Sie wird angeklagt, anstatt des Muezzin, der zuhause betrunken unter dem Tisch lag, zum Morgengebet aufgerufen zu haben. Dabei tat sie dann auch gleichzeitig einige Ihrer Meinungen kunt, z.B. dass Allah diejenigen nicht bestraft, die nicht zum Gebet kommen, wenn sie arbeiten und dem Allgemeinwohl dienen. Dieser Anklagepunkt ist aber nur einer von vielen, Bilqiss schminkt sich, besitzt Spitzen-BHs und Stofftiere.
Bei der Gerichtsverhandlung brodelt die Seele der Gläubigen, sie hassen Bilqiss, die dem Richter mit besten Korankenntnissen dessen Auslegungen widerlegt und keine Angst zeigt. Merkwürdigerweise zieht der Richter die Verurteilung in die Länge, lässt Bilqiss “nur” zwischendurch auspeitschen und besucht sie im Gefängnis mit Heilsalbe und gutem Essen. Zwischen den beiden besteht eine außergewöhnloiche Beziehung, die dann auch zu einem unerwarteten Ende der Geschichte führt.

Der Roman besteht aus Erzählungen von Bilqiss, dem Richter und einer amerikanischen Journalistin, die anfänglich mit dem Berichten über Bilqiss für sich eine Möglichkeit sieht, in New York in Zeitungskreisen zu glänzen, dann aber emotional immer mehr in die Geschichte hineingezogen wird.

Die marokkanische Autorin bedankt sich im Nachwort bei ihrem Vater für seine aufgeklärte, weitgefächerte Erziehung. Dies merkt man dem Buch an, es ist für mich mal wieder ein Buch, das sich in meinen Bucherinnerungen einen festen Platz erobert hat. Ich werde die beiden anderen Romane von Saphia Azzeddine ebenfalls noch lesen.

 

Selten, aber es kommt vor

In meinem Bücherleben habe ich schon viele Bücher gelesen, die ich toll fand und die teilweise immer noch wichtig für mich sind. Sehr selten kam es aber bisher vor, dass ich beim Lesen den Eindruck gewann, dass der Autor/die Autorin eines Buches eine Art Seelenverwandschaft mit mir hat. Nun habe ich einen dritten Autoren gefunden…

Meir Shalev schreibt nicht nur über seinen Wildgarten mit seinen Entdeckungen, Versuchen, Lieblingsblumen, Tierbekanntschaften, traurigen und lustigen Momenten, sondern er spannt immer wieder Bögen zu anderen Themen, wie beispielsweise zur hebräischen Sprache, der in Israel vertretenen Religionen oder zu der aktuellen politischen Lage. Er reflektiert Episoden in seinem Leben und nimmt sich dabei auch manchmal nicht ganz ernst. So ist dies nicht das einhundertachtundfünfzigste Gartentagebuch auf dem Büchermarkt, sondern es ist mehr. (Nicht zu vergessen die zauberhaften Illustrationen im Buch, die zu eine besonderen Stimmung beitragen).

Seine Liebe zur und Demut vor der Natur, seine Neugierde, seine feinen Antennen, auch in kleinsten Dingen etwas Besonderes zu sehen und zu beobachten, machen mir Herrn Shalev sehr sympathisch. Und das alles bietet er in einem Schreibstil, bei dem immer wieder feiner Humor und auch Ironie aufblitzt.

Meir Shalev hat bereits diverse hochgelobte Romane, Kinder- und Sachbücher geschrieben. Ich bekenne, ich habe bisher noch kein anderes Buch von ihm gelesen, werde das jetzt aber nachholen und freue mich darauf “wie Bolle”.