Der Teufelskreis der Einsamkeit

Als wir Anfang des Monats in Luxemburg waren, sah ich abends überall Menschen, die etwas Verlorenes ausstrahlten. Vielleicht lag es daran, dass ich gerade dieses Buch las und meine Antennen für Einsamkeit besonders sensibel waren:

Die Autorin gibt ihr Leben in England vollständig auf, um zu ihrem neuen Freund nach New York zu ziehen. Eine fatale Entscheidung, denn ihr Freund serviert sie sehr schnell ab. Sie beschließt, in New York zu bleiben, findet eine Arbeit und wechselt in den nächsten Jahren mehrmals die trostlosen Unterkünfte. Was Olivia Laing völlig unterschätzt hat ist die Wucht, mit der das Einsamkeitsgefühl sie trifft. Sie kennt niemanden in New York und versucht auf langen Spaziergängen, das Gefühl in den Griff zu bekommen. Doch beim Anblick von Pärchen und Familien breitet sich die Einsamkeit immer mehr in ihr aus und bestimmt ihr Denken und Handeln. Sie zieht sich zurück, hat Angst davor, in der Öffentlichkeit als Einsame entlarvt zu werden.
Glücklicherweise hat sie als studierte Kulturwissenschaftlerin Zugang zur Kunst und sie entdeckt schließlich für sich Künstler, deren Leben und Werke ihrer Meinung nach auch von großer Einsamkeit geprägt sind. Parallel zu ihrer eigenen Geschichte erzählt sie deshalb auch von Edward Hopper, Andy Warhol, David Wojnarowicz und anderen Künstlern, die für sie verschiedene Facetten der Vereinsamung repräsentieren. So geht es beispielsweise um das Abhandenkommen von Sprache bei Warhol oder bei Wojnarowicz um die grenzenlose Suche nach Sex und Intimität in den heruntergekommenen Piers und Kinos am Trafalgar Square in den 70er Jahren.
Einsamkeit „passiert“ nicht nur bei Verlust einer geliebten Person, sondern auch, wenn Menschen durch die Gesellschaft ausgegrenzt oder stigmatisiert werden. Der Umgang mit Aidskranken in den 80er Jahren ist für Olivia Laing ein Paradebeispiel.
Die Einsamkeit der Menschen in Zeiten des Internets mit dem Wunsch nach endloser Aufmerksamkeit und Anerkennung ist ein weiteres Thema in diesem Buch. Auch hier gibt die Autorin wieder ihre eigenen Erfahrungen preis und berichtet über die Aktivitäten des Internetgurus Josh Harris.
Die Analysen der Autorin, was Einsamkeit ist und wie tiefgreifend sich Einsamkeit bei Menschen auf Körper und Psyche auswirkt, haben mich sehr beeindruckt. Ihre eigene Geschichte mit Texten über die amerikanische Künstlerszene zu kombinieren, ist überraschend und nachvollziehbar.
Olivia Laing findet etwas Trost in der Tatsache, dass sie in ihrer Verlorenheit nicht alleine ist, sondern immer mehr Menschen von Einsamkeit heimgesucht werden. Auch scheint es so, dass einsame Menschen eine erweiterte Wahrnehmung des Alltagslebens haben, daraus zieht sie selbst eine positive Kraft.
Nach Laings Meinung ist das offene Bekennen zur eigenen Einsamkeit fast immer noch ein Tabu in der Gesellschaft. Diese fürchtet sich vor dem Gefühl und verdrängt es gerne. Die wohl gemeinten Ratschläge Nichtbetroffener (einem Verein beitreten, ein Ehrenamt übernehmen, sich einen Hund anschaffen) helfen gegen das Alleinsein, sind für die Einsamkeit aber nur ein Pflaster. Deshalb wünscht sich die Autorin mehr Orte, in dem einsame Menschen sich ohne Scham treffen und sich gegenseitig unterstützen können, um aus dem Teufelskreis der Einsamkeit zu entkommen.

Andy Warhol in Köln

Am späten Samstagnachmittag besuchten wir im Kölner Ludwigmuseum die Ausstellung mit Werken von Andy Warhol.

Seitdem mein Mann vorletzte Woche im Internet zwei Eintrittskarten ergattert hatte war ich in Hochstimmung: Endlich mal wieder ein Museum besuchen! Diese Begeisterung bekam einen ersten Schleier, als wir in die Kölner Innenstadt fuhren. Zum letzten Mal war ich im September in einer lebhaften Großstadt gewesen und sah jetzt eine Geisterstadt, ich fand es schrecklich.
Nach der Registrierung im Museum, war ganz unkompliziert, durften wir in die Ausstellung: Es war voll! Zu voll nach meinem Geschmack. Direkt am Anfang staute es sich, denn an einer Wand stand ein stichwortartiger Lebenslauf in zu kleiner Schrift, wenn man sich nicht nach vorne drängeln wollte und auf Abstandhalten achtete.

Die Ausstellung erstreckt sich über mehrere Räume, die z.T. auch klein sind. Obwohl ich bedingt durch meine Arbeit bei der AWO schon geimpft bin, fühlte ich mich unwohl und konnte den Museumsbesuch nicht so recht genießen. Was ebenfalls nicht fördernd war: Fast ununterbrochen erklang ein Warnton, dass jemand zu nah an ein Bild herantrat. Nur vor wenigen Bildern hatte man mit Holzstäben auf dem Boden einen Sicherheitsabstand sichtbar gemacht, so dass bei den anderen Exponaten ein unbeabsichtigtes Tappen in die Alarmfalle fast unvermeidbar war. Das konnte man schließlich nur noch mit Galgenhumor ertragen.

Diese „Silberwolken“ waren mit Helium gefüllt und schwebten durch den Raum, d.h. auch vor die Füße der Besucher. Wollte man weitergehen, musste man notgedrungen die Wolken mit den Füßen wegkicken= Anschiss vom Museumswärter.
Nein, es gab nicht so viele „Good Vibrations“ in dieser Ausstellung. Das hätte ich locker weggesteckt, wenn die Auswahl der Warhol Exponate eine andere gewesen wäre. Es wurden neben Videoinstallationen in zwei Räumen fast nur die typischen Siebdrucke gezeigt und ich empfand zu diesem Zeitpunkt die große Ausstellung letztendlich etwas langweilig.

Am interessantesten fand ich zu diesem Zeitpunkt seine frühen Werke, wie z.B. dieses Bild

und eine Dokumentation über seine Kunstzeitschrift, die er eine Zeitlang herausgegeben hatte.

Sonntag : Ich beschäftigte mich zuhause weiter mit der Ausstellung und las das kostenlose Begleitheft, das im ersten Museumsraum auslag.

Hätte ich dies nur während der Ausstellung gelesen! Sehr gute Hintergrundinformationen zu den einzelnen Werken, die mir jetzt teilweise in einem ganz anderen Licht erscheinen. Ich ärgerte mich über mich selbst und ließ im Kopf meinen Gang durch die Ausstellung noch einmal Revue passieren. Hätte ich vor den Bildern oder in einer ruhigen Ecke das Heft lesen können? Njein. In den kleinen Räumen auf keinen Fall, in den größeren Räumen vielleicht, aber nicht mit Muße und in Ruhe. Zu viele Menschen, zu laut und natürlich auch keine Sitzgelegenheiten.
Ich grummelte und dabei kam dann diese Postkarte heraus:

Sie trägt den Titel „Wie die Motten das Licht“.

Resümee: Diesen Museumsbesuch werde ich sicherlich nicht vergessen und bei meinem ganzen Gemäkele bleibt trotzdem ein gutes Gefühl. Endlich sich mal wieder live mit Kunst beschäftigen, das war für mich ein Stück zurückgewonnene Lebensqualität.

Ja und der Samstagabend war nach dem Verlassen der Ausstellung ja auch noch nicht zu Ende…Er hielt für mich noch eine kreative Überraschung bereit, die mich richtig beflügelte. Am Donnerstag geht es weiter.