Stadt oder Land- ein Buchexperiment

Ich lese Bücher auf einem E-Reader oder in Papierform. Letzte Woche hatte ich dieses Buch auf meinem E-Reader angefangen:

Der Autor Martin Oswald ist Turmschreiber im Ort Abenberg, südwestlich von Nürnberg gelegen. Er nutzt seinen längeren Aufenthalt, im Ort und in den dazu gehörigen Dörfer ausgiebig spazieren zu gehen und dabei Beobachtungen zu sammeln und sich mit Ansässigen zu unterhalten. Mir gefiel das Buch sehr gut, direkt die ersten Sätze waren ganz nach meinem Geschmack: „Nebensächlichkeitsforscher bin ich. …“Täglich breche ich auf zu meinen Erkundungsgängen, als Marginaliensammler, als Stadtrandläufer und Ortumgehungsethnologe.“

Um so ärgerlicher war es, als ich an einem Abend merkte, dass die Batterie des E-Readers leer war. Etwas unwirsch nahm ich das erstbeste Buch von meinem Bücherstapel auf dem Nachttisch.

Die Autorin lebt in Berlin. Sie hatte vor Jahren eine Panikattacke in der U-Bahn und das konzentrierte Beobachten der Mitfahrenden und das Zuhören der Gespräche halfen ihr, diese Attacke zu überstehen. Dabei entdeckte sie quasi ihr Talent zum genauen Hinsehen und Zuhören und machte daraus ein Buchprojekt. Vorzugsweise besuchte sie Cafés und saugte dort viel Menschliches auf, was sie in ihrem Buch zu Papier bringt. Auch dieses Buch mochte ich sehr und am nächsten Abend fiel es mir schwer, welches Buch ich weiterlesen sollte.
Kein Wunder, denn letztendlich sind beide Titel „Flaneurbücher“, in denen der Alltag auf der Straße unter die Lupe genommen wird. Das Spannende bei diesen beiden Bücher war der Unterschied zwischen Land und Stadt und diesen Doppelpack kann ich sehr empfehlen.

Martin Oswald hat einen feinen Humor. Wenn er beschreibt, wie auf der Straße ein Beerdigungszug den eiligen Fahrer eines Amazon-Prime Autos zur Entschleunigung zwingt, so ist das wie ein feiner Pinselstrich. Zudem versorgt er seine Leser en passant mit vielen Informationen über Abenberg und Umgebung und ja, er hat es geschafft, dass ich im Internet mehr über dieses Städtchen lesen wollte. Das Klöppelmuseum hatte es mir beispielsweise angetan, die Burg oder die Kneipe, die nur noch am Donnerstag geöffnet hat. Die Abschnitte, in denen er über seine Gespräche schreibt, zeigen besonders deutlich, dass das „alte“ Leben mit traditioneller Gemeinschaft nur schwer aufrecht zu erhalten ist.
Das Buch von Martin Oswald schärft das genaue Hinsehen in Orten und Dörfern, die nur auf den ersten Blick nichts sagend sind.

Mit dem Buch von Linda Rachel Sabiers tauchen wir so richtig in Berlin ein, denn in den Momentaufnahmen, die vielfach nicht länger als auf einer Seite beschrieben sind, wird oft herrlich berlinert. Ob alte Leute, Kinder, Hundebesitzer, Cafébetreiber oder Ehepaare, die Autorin beobachtet mit menschenfreundlichem Auge und ihre kurzen Schilderungen zeigen oft, wie viel Gutes in uns Menschen steckt. Weitere Texte beinhalten kurze Gespräche, die die Autorin mit ihrer 96 jährigen Großmutter am Telefon führt. Zu ihr hat sie ein sehr inniges Verhältnis und die Großmutter mit ihrer Abgeklärtheit und ihrem Witz sieht die Welt mit besonderen Augen.

Wenn Sie Bedarf an kleinen positiven Auszeiten haben, sind diese beiden Bücher genau richtig!

Wenn Frauen flexen

Flexen Sie, liebe Leserinnen? Das Wort „flexen“ hat mehrere Bedeutungen, u.a. von „ eine Frau läuft durch eine Stadt“. Ich schreibe bewusst nicht „flanieren“, denn damit werden Muße, Wohlempfinden, kultivierte Lebensfreude verbunden. Diese guten Gefühle findet man in den Texten dieses Buches selten. „Flexen heißt, mich dort zu bewegen, wo ich nicht vorgesehen bin und etwas tun wollen, was für mich erst einmal als etwas Ungewöhnliches gilt. Ich habe Lust am Stören.“ Flexen heißt, eine Flâneusin zu sein, keine Flaneurin!

30 Autorinnen sind weltweit in verschiedenen Städten unterwegs. Erwarten Sie keine kontemplativen Texte über Architektur, Cafébeobachtungen oder Parkschlendereien. Nein, in einem z.T. wütenden, provozierenden oder atemlosen Schreibstil erzählen Frauen über ihre Angst und Frustration, dass sie auf der Straße einmal mehr männlichen Übergriffen ( mal direkt, mal subtil) ausgesetzt sind oder waren.
Städte sind auf die Bedürfnisse von Männern ausgelegt, fragen Sie eine Mutter, die täglich ihre Runden mit dem Kinderwagen dreht oder Frauen, die verzweifelt eine Toilette suchen, weil das Hinhocken in der Öffentlichkeit nicht die Akzeptanz wie das Nachlustundlaunehinstellen der Männer hat.
Die Stadt ist ein Molloch, in dem bei genauer Betrachtung der Wahnsinn herrscht. Armut, Dreck, Kakophonie gepaart mit den verrücktesten Werbebotschaften und unaufhörliche Bewegung.
Dieses Buch ist wie ein Faustschlag auf den Tisch. Ich bin froh, dass ich es gelesen habe und werde mich mit den Werken einiger Autorinnen auch noch weiter beschäftigen.

Ein Reiseführer, nicht nur für Corona Zeiten

Reisebeschränkungen hin oder her, mit diesem „Reiseführer des Zufalls“ sind sie für alle Eventualitäten gut gerüstet, sogar wenn Sie zuhause bleiben und unbekannte Stadtteile Ihrer Heimatstadt erkunden.
Das Buch besteht aus vier Teilen.

Das Abcdarium macht den Anfang:

Kurze Essays zu den Themen „Alltag“, „Das Banale“, „Experimente“, „Serendipität“, „Erwartungen“und „Zufall“ ergänzen das ABC.

Und dann geht es los mit Stadtexperimenten

und vielen ungewöhnlichen Vorschlägen, was man in einer Stadt tun kann, wenn Sehenswürdigkeiten und Museen schon bekannt oder mal nicht von Interesse sind. Beispiele: Was sehen Sie, was alles blau ist? Kaufen Sie sich das hässlichste Souvenir der Stadt und verschenken es freudestrahlend weiter. Was gibt es kostenlos in dieser Stadt?

Dazu kommen Tipps, wie man auch einmal anders fotografieren kann. (z.B. das Handy/ den Fotoapparat immer nur vor den Bauch halten).

Die ersten Bauchfotos mit und ohne Bearbeitung

Abgerundet wird alles durch diverse Fragen nach der eigenen Befindlichkeit, während man mit dem Reiseführer des Zufalls eine Stadt kennenlernt. Welche Geräusche hört man? Würden Sie in dieser Stadt gerne wohnen? Haben Sie etwas entdeckt, das Sie noch nicht kannten? Was könnte man in der Stadt verbessern?
Das Buch bringt einen dazu, sich mit dem Gesehenen und Erlebten ausführlich auseinander zu setzen und gibt viele Denkanstöße. Ich habe mir in ein leeres Notizbuch diverse Fragen und Ideen aufgeschrieben und freue mich schon auf meinen ersten „Zufallspaziergang“ im November. Erst flanieren und dann in einem Café das Notizbuch mit hoffentlich vielen Eindrücken füllen, so ist der Plan.

Einfach mal flanieren-Roussillon Nr. 2

Béziers war unser zweites Ausflugsziel, ca. eine halbe Stunde von Agde entfernt. Es war Montag, also waren die zwei Kunst-Museen geschlossen und leider auch die alte Markthalle. Aber da war erst einmal die Lage der Stadt, die uns schon sehr gut gefiel.

Üppige Häuser aus der Belle Époque-Zeit beeindruckten,

aber direkt daneben kann man sich auch in Gassen wie diese verlieren:

Einfach mal flanieren und gucken, was man sonst noch so entdeckt, das war die Devise. Mir fiel irgendwann dabei auf, dass es viele alte Werbeschilder in Béziers gibt. Hier einige Beispiele:

Auch über römisches Gemäuer stolpern ist möglich und dazu natürlich dann auch über die dazugehörigen Katzen.

Sehr schön waren auch verschönerte Hauswände

und letztendlich die Nähe zum Canal du Midi, dessen Erbauer in Béziers geboren wurde.

Wir haben mehrere Stunden in Béziers verbracht, Flanieren mit Kaffeepäuschen. Sehr schön!

Morgen stelle ich Ihnen meine erste Ferienlektüre vor, hat nichts mit Frankreich zu tun, eher allgemein mit Urlaub, denn zu diesem Buch brauchte ich Muße.