Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten

Angesichts der Tatsache, dass die Autorin Annabelle Hirsch deutsch-französische Wurzeln und u.a. in Paris Kunstgeschichte studiert hat, ist es nicht verwunderlich, dass von den 100 beschriebenen Objekten ca. die Hälfte aus Frankreich kommt. So liest man nicht nur eine Geschichte der Frauen, sondern erfährt auch viele überraschende Details über unser Nachbarland.
Dieses Buch (411 Seiten) hat mich in vieler Hinsicht begeistert. Jedes Objekt stellt die Autorin auf höchstens drei Seiten vor, so dass sich die Lektüre optimal für den kleinen Lesehunger von dem Einschlafen eignet.
Das Alter der Objekte reicht von 30000 Jahren vor Chr. bis zum Jahr 2017.
Wussten Sie, dass es seit zehn Jahren Indizien gibt, dass die urzeitlichen Gemälde in den französischen Höhlen, die von den Wissenschaftlern bis dahin wie selbstverständlich den Männern zugeschrieben wurden, auch von ihren Frauen stammen?
Kennen Sie die Geschichten vom „Le rouge Baiser“, dem „100-KM/H-Mantel“ des Pariser Modehauses Dornac oder des Messers der Mère Filloux, die den Ruhm Lyons als Haute Cuisine-Stadt auslöste? Ich habe oft gestaunt, durch welche Umstände die Rechte von Frauen vergrößert oder öfter beschnitten wurden, wenn es den Männern gerade passte. (In Hollywood gab es beispielsweise bis in die 30er Jahren mehr Regisseurinnen und Produzentinnen, doch dann entdeckten Männer, dass man mit Filmen Geld verdienen konnte und das Ende der mächtigen Frauen von Hollywood wurde eingeläutet.)

Lois Weber drehte bis 1940 138 Filme, also in einer Zeit, in der Frauen noch nicht wählen oder ein eigenes Bankkonto besitzen durften

Manche Kapitel haben mich empört. Schlimm das Foto von Robert Capra, das 1944 die dreiunszwanzigjährige Simone Touseau in Chartres zeigt, die glatzköpfig mit einem Baby auf dem Arm von Menschen beschimpft und auf der Straße gejagt wird. Die Autorin erzählt anhand des Fotos die Geschichte der „Épuration sauvage“, bei der Frauen, die mit den Deutschen kollaborierten, gebrandmarkt wurden.
Kennen Sie Brownie Wise, Liane Berkowitz, Majorie Hills oder Elisabeth Selbert? Dieser Name und viele andere, oft vergessene, Namen sind mir im Zusammenhang mit der Geschichte der Frauen zum ersten Mal begegnet. Da die Autorin in jedem Kapitel kurz und knackig schreibt, bleiben viele Möglichkeiten, sich nach Beendigung des Buches in eins der hundert Frauenthemen zu vertiefen.

Annabelle Hirsch bietet in ihrem Buch Fakten aber auch Denkmodelle an, in denen sie die Geschichte der Frau neu interpretiert. Bei manchen dieser Überlegungen verfällt sie allerdings in ein schwarz-weißes Denkschema, das sie sonst den Männern vorwirft. Das ist schade.

P.S. Meine Heldin ist übrigens Elisabeth Selbert.

Man spricht immer von den „Vätern des Grundgesetzes“, aber „nur“ 61 von den 65 Mitgliedern des Gremiums waren Männer. Zu den vier Frauen der Gruppe gehörte Elisabeth Selbert. Gegen große Widerstände aller anderen Mitglieder setzte sie durch, dass der Satz:“Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ in das Grundgesetz mit aufgenommen wurde.

Wenn Frauen flexen

Flexen Sie, liebe Leserinnen? Das Wort „flexen“ hat mehrere Bedeutungen, u.a. von „ eine Frau läuft durch eine Stadt“. Ich schreibe bewusst nicht „flanieren“, denn damit werden Muße, Wohlempfinden, kultivierte Lebensfreude verbunden. Diese guten Gefühle findet man in den Texten dieses Buches selten. „Flexen heißt, mich dort zu bewegen, wo ich nicht vorgesehen bin und etwas tun wollen, was für mich erst einmal als etwas Ungewöhnliches gilt. Ich habe Lust am Stören.“ Flexen heißt, eine Flâneusin zu sein, keine Flaneurin!

30 Autorinnen sind weltweit in verschiedenen Städten unterwegs. Erwarten Sie keine kontemplativen Texte über Architektur, Cafébeobachtungen oder Parkschlendereien. Nein, in einem z.T. wütenden, provozierenden oder atemlosen Schreibstil erzählen Frauen über ihre Angst und Frustration, dass sie auf der Straße einmal mehr männlichen Übergriffen ( mal direkt, mal subtil) ausgesetzt sind oder waren.
Städte sind auf die Bedürfnisse von Männern ausgelegt, fragen Sie eine Mutter, die täglich ihre Runden mit dem Kinderwagen dreht oder Frauen, die verzweifelt eine Toilette suchen, weil das Hinhocken in der Öffentlichkeit nicht die Akzeptanz wie das Nachlustundlaunehinstellen der Männer hat.
Die Stadt ist ein Molloch, in dem bei genauer Betrachtung der Wahnsinn herrscht. Armut, Dreck, Kakophonie gepaart mit den verrücktesten Werbebotschaften und unaufhörliche Bewegung.
Dieses Buch ist wie ein Faustschlag auf den Tisch. Ich bin froh, dass ich es gelesen habe und werde mich mit den Werken einiger Autorinnen auch noch weiter beschäftigen.