Erinnerungen an das Ahrtal sind gewollt

4. Juni 2024 in der Tagesschau: Der Deutsche Wetterdienst warnt in der kommenden Nacht vor einer Unwetterfront mit der Gefahr von schweren Gewittern und Überflutungen.

Innerhalb weniger Stunden wird in Unterlingen der kleine Rurbach zum reißenden Fluß, der erst die Straßen überschwemmt und dann mit seinem Wasser in die Häuser eindringt und auch viele Tiere tötet. Fast alle Dorfbewohner sind geflohen, aber die 81jährige Gudelia harrt in der oberen Etage ihres Hauses aus. Als der technische Hilfsdienst kommt, um sie zu retten, weigert sie sich, ihr Haus zu verlassen, erzählt allerdings dem jungen Mann, dass sie zwei Leichen mit gefesselten Händen im Fluss gesehen hätte. Es waren keine Dorfbewohner. Am nächsten Morgen, als das Wasser zurückgeht, kommen zwei Polizisten zur Befragung, aber auch sie glauben Gudelia eher nicht, obwohl sie ihnen den Hinweis gibt, dass die Leichen eventuell Gäste eines Reiterhofes waren.
Nach der Unwetterkatastrophe überprüfen Statiker, in welche Häuser die Bewohner wieder zurückkehren dürfen, bzw. welche Häuser abgerissen werden müssen. Durch einen Trick schafft es Gudelia, dass ihr Haus bei der Prüfung übersprungen wird. Auf keinen Fall darf jemand die Rückseite ihres Hauses sehen, denn dort geht ein breiter Riss durch die Wand und Gudelias Geheimnis, das sie seit 40 Jahren bewahrt hat, ist plötzlich sichtbar. Und dann taucht plötzlich ein Kommissar auf, der Interesse an Gudelias beiden Leichen hat. Seine Besuche werden Gudelia zunehmend lästig.

Während das Wasser in der Nacht unaufhörlich steigt, denkt Gudelia über ihr Leben nach. Die Jahre 1984 und 1998 waren prägend, denn 84 verloren sie und ihr Mann Heinz ihren 15jährigen Sohn Nico. 14 Jahre später ergreift Gudelia die Gelegenheit und erpresst den Besitzer des Reiterhofes. Mit dem Geld löst sie den Kredit für ihr Haus ab. Heinz, der inzwischen Alkoholiker geworden ist und auf der Arbeit nicht mehr klarkommt, schickt sie in den Entzug. Danach lebt Gudelia mit ihrem Geheimnis alleine im Haus.

Dieser Krimi ist keiner für einen Kuschelsonntag auf dem Sofa, sondern eher etwas für Spezialisten, die eine außergewöhnliche Geschichte suchen. Das Buch bietet Spannung, Humor, eine gewisse Morbidität und extreme Gefühle, Gudelia wird mir in Erinnerung bleiben.

Kommt ein Pferd in die Bar

Der Autor David Grossman erzählt in seinem Roman vom letzten Auftritt des israelischen Stand-up Comedians Dovele Grinstein. Sehen Sie sich das Titelbild des Buches an, was denken Sie, was fühlen Sie?

Das Bild strahlt Trauer aus, der Mann wirkt einsam, Sie haben vielleicht Mitgefühl mit ihm? Wie passt das zu dem Auftritt eines Komikers?

Zu Beginn seiner Show ist Dovele der bekannte Possenreißer. Er pöbelt die Zuschauer an, erzählt gute und schlechte Witze, umgarnt sein Publikum, um es im nächsten Moment wieder zu schockieren. Die Stimmung schwankt manchmal gefährlich, doch Dovele hat die Gäste fest im Griff und zieht alle Register. Ihm ist es an diesem Abend besonders wichtig, dass er gut ist, denn unter den Zuschauern ist ein bekannter Richter, mit dem Dovele in seiner Kindheit kurze Zeit befreundet war. Die beiden haben sich seit Jahrzehnten nicht gesehen, doch Dovele hatte den Richter zuvor zuhause aufgesucht und gebeten, zu seiner Show zu kommen. Er soll Dovele beobachten und ihm danach sagen, was für ein Mensch auf der Bühne steht.
Der Richter willigt nach einigen Bedenken ein. Was er dann am Abend während der Vorstellung sieht und hört, findet er abstoßend. Er will gerade gehen, als Dovele beginnt, die Geschichte von seiner ersten Beerdigung zu erzählen. Es ist eine traurige und verzweifelte Geschichte. Nach und nach verlassen immer mehr Zuschauer, die einen lustigen Abend erwartet hatten, empört den Saal.
Dovele erzählt seine Geschichte bis zum Ende. Nur noch wenige Besucher hören ihm zu, u.a. auch der Richter. Dieser ist danach schockiert, denn die Geschichte betrifft auch ihn und sein Lebenskartenhaus gerät ins Schwanken.

Als ich dieses Buch gelesen habe, hatte ich den Eindruck, dass ich im Zuschauersaal sitze. Ich lachte über einen Witz, im nächsten Moment schüttelte ich über eine Geschmacklosigkeit den Kopf oder reagierte erschrocken, als Dovele sich selbst erbarmungslos ins Gesicht schlägt. Der Sog dieses Romans ist unglaublich.
Ich habe nicht zu lesen aufgehört, als Dovele die Geschichte seiner ersten Beerdigung erzählt. Es ist nebenbei auch die Geschichte seiner Eltern, die in jungen Jahren den Holocaust zwar überlebt haben, aber danach täglich um Normalität in ihrem Alltagsleben kämpfen müssen.

Ich kann mir kein besseres Titelbild vorstellen.