Im Land der Wölfe

In Grenzlitz stehen Bürgermeisterwahlen an. Die Sensation: In anderen sächsischen Gemeinden bieten sich bei dieser Wahl die konservative und die rechte Partei ein Kopf-an-Kopf-Rennen, in Grenzlitz erreicht Katja, die Spitzenkandidatin der Grünen, bei den bisherigen Umfragen 30 %. Als Nana, die in Berlin lebt und als Coach für Berufstätige arbeitet, davon hört, ist sie fasziniert und bietet Katja an, sie bis zum Wahltag zu begleiten. Katja stimmt zu und so fährt Nana in das Land der Wölfe.

Dort angekommen, eckt Nana als Außenstehende schnell mehrmals an und muss lernen, dass die Uhren in Grenzlitz völlig anders ticken als in der Hauptstadt. Jeder dritte Einwohner wählt potentiell die rechte Partei, also auch der Bäcker, die Kindergärtnerin, der Kneipenwirt. Man muss mit diesen Menschen den Alltag gemeinsam bewältigen. Erik, der lieber Frauenkleidung und lila Haare trägt und ein Baumhaus-Ferienparadies eröffnen will und auch Knut, ein Mann der seit 25 Jahren für grüne Ideen kämpft, erzählen Nana von ihren Erfahrungen mit der rechten Partei. Man braucht Rückgrat, Visionen und einen langen Atem, um es in Grenzlitz trotz Anfeindungen und Bedrohungen von Anhängern der Blauen auszuhalten. Besonders schwer fällt Nana anfänglich der Umgang mit Falk Schloßer, Justizvollzugsbeamter und im Wahlkampf aktiv für die rechte Partei tätig. Sein Duft und sein Auftreten erinnern Nana an ihren Exfreund Tom, mit dem sie zusammen in der Antifa-Bewegung auf Demonstrationen gegen Nazis gekämpft hat. Wie kann jemand wie Falk rechts wählen? Aber Nana hört ihm und anderen zu, lernt, beginnt zu verstehen und Falk zu mögen. Sie überzeugt Katja, die sich zu der rechten Partei hin zuerst abschottet, auf ihren politischen Gegner zuzugehen.
Kurz vor der Wahl findet das islamische Zuckerfest auf dem Marktplatz statt. Nana und Katja sind mit dabei und viele Bürger feiern friedlich, bis eine rechte Schlägertruppe auftaucht, an deren Spitze Falk Schloßer steht. Es kommt zu Auseinandersetzungen. Nana fährt unter Schock kurz nach Berlin zurück. Hier kann sie wieder in der Anonymität frei atmen und den rechten Mief hinter sich lassen. Sie hofft auch auf ein Gespräch mit ihrem Bruder Noah, mit dem sie sich vor ihrer Abreise zerstritten hat. Es gab zwischen ihnen seitdem nur Emailverkehr und aus diesem erfährt man, dass Nana noch eine ganz andere Baustelle hat, nämlich die traurige Geschichte ihrer eigenen Familie, vor deren Aufarbeitung sie bisher immer geflohen ist. Als sie Noah in Berlin nicht antrifft wird ihr klar, dass sie in Berlin ganz alleine ist und kehrt nach Grenzlitz zurück. Beim ersten Wahldurchgang am Sonntag muss sie Katja zur Seite stehen. Das Ergebnis ist unglaublich knapp.

In diesen Roman fließen die Erfahrungen der Autorin, die sie während eines mehrtägigen Aufenthalts in Görlitz gemacht hat. Sie beschreibt sehr differenziert die Lebensumstände der jungen und alten Beteiligten und dass es teilweise schwer ist, diese im Westen zu verstehen. Miteinander respektvoll (!) sprechen und versuchen, die Gemeinschaft zu retten, das sollte für alle die oberste Priorität sein.

Mehr Respekt vor Fahrstühlen

1854 präsentierte Elisha Graves Otis seine Erfindung des Fahrstuhls auf der Weltausstellung in New York und läutete damit eine neue Ära des Städtebaus ein. Nicht mehr horizontal, sondern vertikal bauen, ungeahnte neue Möglichkeiten des Wohnens ergeben sich. 110 Jahre später spielt diese Roman:

Lila Mae Watson ist die erste farbige Frau in der hochangesehenen Gilde der Fahrstuhlinspektoren in New York. In einer Domäne weißer Männer hat sie einen schweren Stand, doch ihre tadellose Arbeit nötigt zumindest einigen ihrer Kollegen einen gewissen Respekt ab. Das ändert sich schlagartig, als in der Gilde Neuwahlen für den Vorsitz anstehen. Die Gilde wird dominiert von der Gruppe der Empirikern, die bei ihrer Arbeit auf dokumentiertes technisches Wissen setzen. Es gibt aber auch die Intutionisten, die Mängel erhorchen und erfühlen und zu ihnen gehört Lila Mae. Als in einem Wolkenkratzer ein leerer Fahrstuhl, den Lila Mae kurz zuvor inspiziert hat, in die Tiefe stürzt, wird sie von den Empirikern sofort als Sündenbock abgestempelt. Sie taucht unter, denn sie weiß, dass sie keinen Fehler gemacht hat. Unterstützt wird sie von dem Kandidaten der Intutionisten. Hat jemand den Fahrstuhl sabotiert, wenn ja, ist die Wahl der Grund dafür?

Dieses Buch ist teilweise keine leichte Lektüre, denn die Handlung, die durchaus Elemente eines Krimis hat, wird von Rückblenden und Einschüben unterbrochen. Beschrieben werden Lila Maes Werdegang und die philosophische Gedanken zum Thema Fahrstuhlbau und Architektur. Es ist auch ein Buch über Rassismus, Emanzipation, Verrat und das Leben in New York in den Sechzigern. Genau richtig für Leser und Leserinnen, die Bücher jenseits des Mainstreams suchen.

Ein Krimiabend mit Dominique Manotti (Französischstunde Nr. 31)

Letzte Woche war auf Einladung der Duisburger deutsch-französischen Gesellschaft und der Duisburger VHS die französische Krimiautorin Dominique Manotti im Café Museum im Kantpark zu Gast. Ich hatte letztes Jahr auf ARTE einen Bericht über die Stadt Marseille gesehen und dort trat u.a. auch Frau Manotti auf. Da ich sie sehr sympathisch fand, besuchte ich jetzt ihre Lesung.

Waltraud Schleser und  Wolfgang Schwarzer von der deutsch-französischen Gesellschaft führten durch den Abend und machten dies sehr gut. Da Frau Manotti kein Deutsch spricht, übersetzten die beiden abwechselnd Frau Manottis Ausführungen, so dass man selbst bei geringen Französischkenntnissen einen unterhaltsamen Abend verbrachte.
Zuerst erzählte Frau Manotti ein bisschen über ihr Leben, das in den 60er und 70er Jahren geprägt war durch politisches Engagement und Arbeit für die Gewerkschaft. Die Machtübernahme Mitterands bedeutete für sie einen großen Einschnitt, denn nach ihrer Meinung hat Mitterand die politischen Ideen der Linken verraten. Ihr Leben bekam eine neue Richtung und sie begann im Alter von 50 Jahren, Kriminalromane zu schreiben. Ausschlaggebend war die Lektüre eines Buches des amerikanischen Autors Ellroy. Ihr wurde klar, dass man mit Kriminalromanen Menschen erreichen und aufklären kann.
Manotti wurde schnell erfolgreich, denn in ihren „Crime noir“ verarbeitet sie tatsächlich stattgefundene  Skandale in Frankreich.

In ihrem neusten Buch, aus dem sie zwei Passagen vorlas,

geht es um Rassismus in Frankreich. Die Quelle vieler Übel dieser Art ist der Algerienkrieg in den 60er Jahren und in ihrem Krimi erzählt Manotti von mehreren Morden an algerischen Mitbürgern in Marseille. Diese Straftaten werden von der Polizei und noch höheren Behörden kleingeredet oder noch lieber unter den Teppich gekehrt. Aber es gibt glücklicherweise eine Handvoll Polizisten und Anwälte, die dagegen angehen. 
Am Anfang fand ich den Krimi (knapp 400 Seiten) etwas schwierig zu lesen, da viele Organisationen pro/ contra Einwanderer, Arbeiter, Franzosenalgerier in der Geschichte involviert sind und ich erst lernen musste, die Gruppierungen auseinander zu halten.  Aber insgesamt ist es ein sehr lesenswertes Buch, da es, wenngleich es in den 70ern spielt, an Aktualität nichts verloren hat.

Auf den Geschmack gekommen, wurde Manottis ersten Krimi, der 1995 erschien, meine nächste Lektüre.

1980, Paris. Im Stadtteil Sentier waren damals wie noch heute viele Schneidereien und Läden angesiedelt, die von den bekannten Modehäusern Aufträge bekamen. (Siehe auch Beitrag „Frischlufttherapie“). Damals arbeiteten hauptsächlich nur Männer in diesem Metier, viele kamen aus der Türkei. Die meisten von ihnen besaßen keine Arbeitsgenehmigung und wurden ausgebeutet.

Das führte irgendwann dazu, dass sich die Arbeiter organisierten und auflehnten. Inspektor Daquin, den ich aus dem Marseiller Krimi bereits kannte, versucht mit seinen Kollegen einen Drogenhandel aufzudecken und gerät dabei in die Arbeitskämpfe.
Manotti hat für die Gewerkschaft lange in dem Viertel Sentier gearbeitet, so verwundert es nicht, dass sie ihren ersten Krimi hier ansiedelt. Ich fand diesen Krimi härter, aber man ist schneller Thema drin.